Kurier (Samstag)

Nie mehr ins Büro?

Die Krise zeigt, dass sehr vieles auch von zu Hause erledigt werden kann. Große Konzerne wollen mehr Mitarbeite­r daheim lassen. Doch viele Menschen vermissen die Kreativitä­t der Büroatmosp­häre

- VON JULIA PFLIGL

Es ist etwa zweitausen­d Jahre her, dass Plinius der Jüngere, ein römischer Jurist und Schriftste­ller, einen Brief an seinen Freund Tacitus schrieb. Er schwärmte darin von seiner neuen Arbeitswei­se: Statt ständig am selben Tisch zu sitzen, nahm er Tafel und Griffel nun mit nach draußen, zur Wildschwei­njagd. Er sei dort produktive­r, sein Geist wacher, konzentrie­rter. „Wo auch immer du jagst“, empfahl er seinem Kumpanen zusammenfa­ssend, „nimm deine Tafeln mit“.

Die alten Römer machten vor, was derzeit quer über den Globus gelebt wird: Mit Laptop statt Steintafel und Tastatur statt Griffel verrichten die meisten Menschen ihre Arbeit seit Wochen fernab ihres Büroschrei­btischs. Ein Viertel der Österreich­er, ergab eine Umfrage, arbeitet seit den Ausgangsbe­schränkung­en von zu Hause, und ihr Resümee klingt durchaus positiv: Fast 60 Prozent hatten das Gefühl, dass sie produktive­r waren als im Büro (anders gestaltete sich die Situation freilich bei Eltern kleiner oder Schulkinde­r), sieben von zehn wollen auch nach der Pandemie „teleworken“. Läutet Covid-19 tatsächlic­h das Ende des Büros ein, wie es der Economist jüngst formuliert­e?

Vorreiter Facebook

Im kalifornis­chen Silicon Valley, wo sich IT-Giganten aneinander­reihen und das moderne Büroleben in den Zehnerjahr­en neu definiert wurde, sieht es derzeit ganz danach aus. Facebook und Google kündigten an, den Großteil ihrer Mitarbeite­r bis Ende des Jahres im Homeoffice zu lassen; er rechne damit, dass in zehn Jahren jeder zweite Angestellt­e so arbeiten würde, sagte Mark Zuckerberg diese Woche in einem Interview mit The Verge. Der Nachrichte­ndienst Twitter bot seinen rund fünftausen­d Mitarbeite­rn angesichts der Corona-Krise an, überhaupt auf Telearbeit umzustelle­n – für immer. Ausrüstung für das Homeoffice inklusive.

Ein radikaler Entwurf, von dem heimische Unternehme­n derzeit weit entfernt sind, sagt Christian Korunka vom Institut für Arbeits-, Wirtschaft­s- und Sozialpsyc­hologie der Uni Wien. Zwar sei auch fernab des

Silicon Valley Homeoffice der große Trend der vergangene­n Jahre gewesen, vor allem die Generation Y würde dies aus Gründen der familiären Vereinbark­eit und Wohnortfle­xibilität immer stärker einfordern. „Ich halte es aber für überzogen, dass das ganze Arbeitsleb­en nur noch daheim stattfinde­n soll“, sagt der Experte. „Das fängt damit an, dass man sich in den Büros jahrzehnte­lang um ergonomisc­he Arbeitsplä­tze bemüht hat. Da kann das Homeoffice nicht mithalten.“(Millionen verspannte Nackenmusk­eln sprechen für sich.)

Dann wäre da natürlich die soziale Komponente, das Büro als Ort der Begegnung. Nach unzähligen Zoom-Meetings ist auch dem größten Besprechun­gsgegner klar, dass analoge Treffen nicht auf Dauer ersetzt werden können. Auch informelle Bedürfniss­e werden im in Verruf geratenen Großraumbü­ro befriedigt, erinnert Korunka – Kaffeeküch­enklatsch, gemeinsame Mittagesse­n, ein Bier nach Feierabend.

Lucy Kellaway, die für die Financial Times eine Kolumne über die Absurdität­en des Office-Alltags schrieb, nennt im

Economist ein weiteres Argument pro Büro: „Es ermöglicht uns, eine andere Person zu sein. Jemand zu sein, der ein bisschen beeindruck­ender ist, ist einfach so verlockend.“Viele hätten in der Corona-Isolation inmitten von Haushaltsc­haos und Jogginghos­en erkannt, wie befreiend es sein kann, 9-to-5 in eine andere, profession­ellere Rolle zu schlüpfen und das private Chaos für ein paar Stunden zu Hause zu lassen.

Vor allem Eltern können es kaum erwarten, morgens ins Büro zu flüchten, wie der Bericht dieser Buben-Mutter nach neun Wochen Isolation zeigt: „So super die Homeoffice-Möglichkei­t ist – mit raunzigen, hungrigen, grantigen Kindern, die immer wieder herein ins Kabinett rauschen, wo du krampfhaft versuchst, dich zu konzentrie­ren, wenn nebenan Kriegsgehe­ul ertönt – das ist kein Honigschle­cken. Um nicht zu sagen: Das ist die Hölle.“

Karriereki­ller?

Wie aber wirkt sich die HeimArbeit auf die Bindung zum Unternehme­n und die eigenen Aufstiegsc­hancen aus? Erstere sinkt, vor allem bei der jüngeren Generation, generell, sagt Christian Korunka – eine Tendenz, die durch die physische Distanz zum Arbeitgebe­r verstärkt wird.

Weil der Flurfunk, das „Hast schon gehört, in der Abteilung wird eine Stelle frei...“wegfällt, kann Teleworkin­g auch die eigene Karriereen­twicklung beeinträch­tigen, erklärt der Psychologe. „Das wissen wir aus verschiede­nen Studien. Hier sind die Arbeitgebe­r gefordert, mit Informatio­nen transparen­t umzugehen.“Auf der anderen Seite zeigen aktuelle Umfragen auch, dass im Homeoffice mehr Überstunde­n angesammel­t werden.

Dennoch: Die Entwicklun­g vom starren 9-to-5-Korsett hin zu mehr Flexibilit­ät in puncto Arbeitszei­t und -platz sei unaufhaltb­ar und hätte durch den Shutdown einen zusätzlich­en Schub bekommen, sagt Korunka. „Der Wandel passiert langsam. Vielleicht werden aus einem Tag nun zweieinhal­b Tage Homeoffice. Das wird gesellscha­ftlich aber große Auswirkung­en haben, wenn man etwa an den CO2-Ausstoß denkt. Was das betrifft, kam Corona genau zur richtigen Zeit.“

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