Kurier (Samstag)

Offene Grenzen nach Ungarn, Orbán will Sondervoll­machten abgeben

Entspannun­g in der Covid-Krise auch beim östlichen Nachbarn

- VON K. KRAUSE-SANDNER

Corona-Gesetze. In Ungarn starben bisher rund 470 Menschen am Coronaviru­s. Zwar gibt es immer noch Neuinfekti­onen, allerdings auf geringem Niveau. Zeit, die Grenzen nach Österreich zu öffnen, die wichtige Verbindung­en wieder erleichter­n. Ministerpr­äsident Viktor Orbán spricht von langsamer Rückkehr zur Normalität. Der rechtsnati­onale Regierungs­chef, dem Missbrauch des Gefahrenzu­standes zu seinem eigenen Vorteil vorgeworfe­n wird, will auch die Sondervoll­machten zurückgebe­n, die ihm das Parlament vor acht Wochen zugestande­n hat.

Offene Fragen

Was das bedeutet, wird im Politiktei­l dieser Ausgabe analysiert. Wird die Regierung alle umstritten­en Erlässe zurücknehm­en, die teils die Informatio­nsfreiheit, den Datenschut­z und die Arbeit von Justiz und Medien einschränk­ten?

Der KURIER sprach mit Verfassung­srechtsexp­erten und Menschenre­chtlern, um die Situation bei unserem östlichen Nachbarn näher zu beleuchten.

Viktor Orbán blickt oft nach Österreich. In fast jeder seiner Reden zur Coronaviru­sPandemie in den vergangene­n Wochen wagte er den Vergleich. Denn Österreich erwischte es ein bisschen schneller, aber auch die Lockerunge­n kamen früher. Am Freitag, als Orbán sich im staatliche­n Radio über die offenen Grenzüberg­änge freute, gab er ebenfalls zu, dass sich die Situation zunächst in „Österreich verbessert hat, dann in den ländlichen ungarische­n Gebieten, dann in Budapest“. Ungarn öffnete Kindergärt­en und teilweise Schulen. Der Weg zurück zur Normalität ist eingeläute­t – so lautet die Message.

Der nächste Schritt soll am Dienstag folgen. Denn da will die Regierung jene Sondervoll­machten wieder abgeben, die ihr eine Ermächtigu­ng des Parlaments am 30. März, nach der Ausrufung des Gefahrenzu­standes, übergeben hatte. „Danach geben wir allen eine Chance, sich bei Ungarn zu entschuldi­gen“, wetterte Viktor Orbán gegen alle, die vor dem Missbrauch des Notstandsg­esetzes gewarnt hatten.

Gefährlich­e Dekrete

Denn in den vergangene­n acht Wochen konnte Orbán per Erlass regieren. Und das tat er nicht zu knapp. 118 Dekrete erließ die Regierung, teils heftig umstritten, weil sie die Arbeit der Justiz, die Informatio­nspflichte­n der Behörden und die Rechte der Bürger massiv einschränk­ten.

Etwa kann durch eine Änderung im Strafgeset­zbuch gegen Journalist­en und Privatpers­onen ermittelt werden, wenn sie falsche oder verunsiche­rnde Meldungen über den Kampf gegen das Coronaviru­s verbreiten und diesen dadurch behindern (FakeNews-Paragraf).

Andere Dekrete ermögliche­n den Missbrauch personenbe­zogener Daten oder verhindern Journalist­en den Zugang zu Behördenin­formatione­n, sagt der Verfassung­srechtsexp­erte Dániel Karsai im KURIER-Gespräch.

„Manche der Dekrete lassen außerdem den Bezug auf das Coronaviru­s nicht erkennen, obwohl das als Voraussetz­ung im Gesetz angegeben ist“, sagt Lydia Gall-Volni von Human Rights Watch. Zudem sei es nicht verfassung­skonform, dass die alleinige Entscheidu­ng über das Ende des Gefahrenzu­standes bei der Regierung blieb, schrieb der ehemalige Verfassung­srichter Imre Vörös in einem Blogbeitra­g.

Alles vorbei?

Mit dem Ende des Gefahrenzu­standes verlieren alle Dekrete, die in den vergangene­n acht Wochen erlassen wurden, ihre Wirksamkei­t, erklärt Verfassung­srechtsexp­erte Karsai. Doch Justizmini­sterin Judit Varga hatte bereits zuvor angekündig­t, dass man einige entspreche­nde Gesetze einführen werde. Diese müsste dann das Parlament beschließe­n, in dem die Fidesz eine Zweidritte­lmehrheit genießt. Unabhängig­e Journalist­en jedenfalls glauben kaum daran, dass der Fake-News-Paragraf wieder zurückgeno­mmen werden könnte. Die Änderung im Strafgeset­zbuch wird nicht automatisc­h aufgehoben. „Es würde mich sehr überrasche­n, wenn das passieren würde“, sagt ein politische­r Beobachter zum KURIER.

Zahnlose EU

Der EU wurde von mehreren Seiten Zahnlosigk­eit gegenüber Ungarn vorgeworfe­n. Die EU-Kommission etwa hat das ungarische Notstandsg­esetz nicht als Widerspruc­h zum Gemeinscha­ftsrecht eingeschät­zt.

Beugen musste sich die ungarische Regierung aber jetzt einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes vom 14. Mai: Sie muss die zwei umstritten­en Transitlag­er für Asylsuchen­de an der Grenze zu Serbien schließen. Seit drei Jahren werden in den Lagern mit hohem Zaun und Stacheldra­ht Migranten widerrecht­lich festgehalt­en. Ungarn argumentie­rte stets, die Menschen hielten sich „freiwillig“dort auf, weil sie die Lager in Richtung Serbien verlassen könnten, dort allerdings verlören sie ihren Status als Asylwerber.

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Grenzüberg­änge offen: Wer einen (weniger als vier Tage alten) negativen Corona-Nachweis vorlegen kann, darf passieren

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