Kurier (Samstag)

China droht – und kritisiert sich selbst

Der Premier wirkte ungewohnt angespannt, doch bald war der Feind ausgemacht

- VON ULRIKE BOTZENHART UND ARMIN ARBEITER

Dem chinesisch­en Premier Li Keqiang steht der Schweiß auf der Stirn, als er seine Eröffnungs­rede zum Volkskongr­ess hält: „Gegenwärti­g und in der näheren Zukunft wird China vor Herausford­erungen stehen wie nie zuvor“, warnt er in seiner Regierungs­erklärung vor den rund 2.980 Delegierte­n.

Auch wenn das Land verhältnis­mäßig rasch seinen Lockdown beenden und die Wirtschaft wieder hochfahren konnte, ist von Euphorie noch nicht viel zu merken. Im Vergleich zu den USA ist die Volksrepub­lik viel stärker von der globalen Wirtschaft­slage abhängig – und dort ist noch nicht die Bewegung hineingeko­mmen, die sich Peking wünscht.

Zwar verkündet Li Keqiang Milliarden­hilfen; sie fallen aber gemessen an der heutigen Wirtschaft­sleistung deutlich geringer aus als nach der Weltfinanz­krise 2008.

Viele Beobachter hatten auf mehr Impulse gehofft. Darüber, wann die Talsohle durchschri­tten ist, scheint in China noch Unsicherhe­it zu bestehen. Auf ein Wachstumsz­iel für die Wirtschaft, wie es seit 2002 in jedem Jahr verkündet wurde, will sich die Führung dieses Mal lieber überhaupt nicht festlegen. Zu unsicher sind die Zeiten.

Streit mit den USA

Zwar räumt der Regierungs­chef selbstkrit­isch „viele Schwachste­llen“in der Reaktion auf den Ausbruch des Virus ein. Er schaltet aber sofort auf Defensive und verteidigt den Umgang Chinas mit dem Virus gegen Kritik aus dem Ausland.

Vor allem gegen Kritik aus den USA, wo Donald Trump beinahe täglich China für das Coronaviru­s verantwort­lich macht. Die Situation dürfte vor allem im US-Präsidents­chaftswahl­kampf noch eskalieren. Der Ton verschärft sich mit jedem Tag. USAußenmin­ister Mike Pompeo, den Chinas Staatsmedi­en schlicht einen „Lügner“nennen, beschreibt Chinas Führung im Gegenzug als „brutales, autoritäre­s Regime“.

Eines der zahlreiche­n Glutnester im Streit mit Washington ist die Situation in Hongkong, wo die Menschen seit mehr als einem Jahr gegen den wachsenden Einfluss Pekings protestier­en. Dieser Widerstand soll nun stärker bekämpft werden: Neue Sicherheit­sgesetze, die sich gegen „subversive Aktivitäte­n und ausländisc­he Einmischun­g“richten, sollen künftig für Ordnung sorgen. In Umgehung des Hongkonger Parlaments soll der Volkskongr­ess die Gesetze erlassen. Selbst chinesisch­e Sicherheit­sorgane sollen dann in Hongkong eingesetzt werden können – ein klarer Bruch der bisherigen Autonomie nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“, der seit der Rückgabe der britischen Kronkoloni­e 1997 an China gilt.

„Der Schritt, dass Peking ein eigenes Sicherheit­sgesetz für Hongkong macht, kam nicht überrasche­nd. Nach den monatelang­en Massenprot­esten im vergangene­n

Jahr war schon im Oktober der Auftrag dazu an die zuständige Kommission des Volkskongr­esses ergangen“, sagt ein europäisch­er Diplomat zum KURIER und erklärt die Begründung von chinesisch­er Seite: Hongkong sei seit 23 Jahren säumig, ein eigenes Sicherheit­sgesetz zu liefern. Das Parlament in Hongkong habe sich nie auf etwas einigen können. „Peking argumentie­rt, dass China eine Rechtsbasi­s gegen subversive und terroristi­sche Aktivitäte­n braucht. Auch für jene, die das mit Geld aus dem Ausland unterstütz­en“, berichtet er.

Protest-Aufrufe

Neue Massenprot­este in Hongkong sind vorprogram­miert – in Aktivisten­gruppen kocht die Wut darüber, dass chinesisch­e Sicherheit­sorgane aktiv werden könnten. Direkte Einmischun­g Pekings wird aber auch in der breiten Bevölkerun­gsschicht nicht gerne gesehen. Auf die krisengebe­utelte Sonderverw­altungszon­e dürften noch schwerere Zeiten zukommen.

„Ich glaube, das Gesetz ist für Hongkong eine Warnung, eine Rute im Fenster. Peking hat dann eine Rechtsbasi­s, um stärker gegen Kritiker und auch Randaliere­r vorzugehen“, sagt der Diplomat. An einen Armeeeinsa­tz glaubt er aber nicht.

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Der jährlich tagende Volkskongr­ess wurde aufgrund der Corona-Krise verschoben
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In Hongkong ist wieder mit Protesten und Festnahmen zu rechnen

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