Kurier (Samstag)

Homeoffice: Moderne Welt oder schleichen­de „Hausfrauis­ierung“

- VON GEORG LEYRER VON ANITA STAUDACHER

Ich vermisse im Homeoffice meine Kollegen. Sehr! Kennt ihr mich noch? Und erinnert ihr euch eh noch an meine immer total konstrukti­ven Einwürfe und Bonmots bei den Sitzungen?

Aber jetzt ganz allgemein gemir sprochen – nichts davon hat mit zu tun! –, sind Bürostunde­n nicht umsonst Stoff für Running Gags und Lebensdepr­ession. Täglich wälzen sich Hunderttau­sende allein in Wien von A nach B, um dort unter unangenehm­eren Bedingunge­n als zu Hause weniger von dem zu tun, wofür sie bezahlt werden. Und am Abend wälzen sie sich zurück. (Bei einer halben Stunde Fahrzeit in eine Richtung ist das fast ein zusätzlich­er Arbeitstag pro Woche, den noch mal wer bezahlt?)

Was für eine Chance wäre es für ein Neudenken von Städten und Dörfern (huch, weniger Autos!), wenn das wegfällt.

Das Arbeiten ist für die, bei denen Homeoffice infrage kommt, längst digital geworden. Bisher hat davon der Arbeitgebe­r was und der Arbeitnehm­er halt mehr Arbeit. Die Nutzen der Digitalisi­erung sind ungleich verteilt.

Da wäre es doch ein Anfang eines Gegengesch­äfts, zu sagen: Dann mach ich das zumindest tageweise lieber zu Hause als im wunderschö­nen Großraumbü­ro. Zu Hause könnte man vielleicht sogar zwischendu­rch auch was Konstrukti­ves für die Familie tun. Und die Meetings mach’ ich im Café. Da verfangen sich manche Chefs jedoch sofort in abstruse Produktivi­tätsverlus­tfantasien. Bitte, der arbeitet nicht jede Sekunde! Als ob nicht die Reibungsve­rluste im Bürodrama noch viel mehr Zeit fressen.

Der Autor ist Leiter des Kulturress­orts und arbeitet derzeit von zu Hause aus.

Flexibel, nett und familiär kommt die neue Heimarbeit daher; allein sie ist es nicht. Schon gar nicht für Frauen. Bevor sie es noch bewusst wahrnehmen, befinden sie sich schon in der schleichen­den „Hausfrauis­ierung“, also der Rückkehr zu tradierten Geschlecht­erklischee­s längst vergangene­r Tage. Frau sorgt zu Hause für Essen und Kinder, Mann sitzt vor allem am Schreibtis­ch und vorm Fernseher. Leider hat mehr Flexibilit­ät noch nie dazu geführt, dass Männer auch mehr Fürsorgear­beit leisten. Für erwerbstät­ige Mütter ist das permanente Homeoffice die komprimier­te Doppelbela­stung mit garantiert­em Karrierekn­ick.

Für die gesamte Arbeitswel­t lauern – angeheizt durch die rasante Digitalisi­erung – vor allem drei große Gefahren: Entgrenzun­g, Entfremdun­g und Entsolidar­isierung.

Arbeit und Freizeit verschwimm­en, Um auch ja nichts zu verpassen, sind Heimarbeit­er immer erreichbar. Fixe und laufende Kosten für Infrastruk­tur, Miete, Strom und Internet wandern klammheiml­ich vom Arbeitgebe­r zum Arbeitneh„Wozu mer. noch ein Büro?“fragen sich schon jetzt viele Betriebe. „Wozu noch eigenes Personal anstellen?“, werden sie in einigen Jahren fragen.

Dank Digitalisi­erung lässt sich Büroarbeit in kleine Häppchen aufteilen und über „die Cloud“an Billigstbi­eter ins entferntes­te Homeoffice vergeben. Hunderttau­sende IchAGs treten gegeneinan­der an, mucken nicht auf und tragen brav das volle Risiko. Kommt die Krise, gibt’s Almosen aus dem Härtefallf­onds. Wenn der Antrag fehlerfrei ist ...

Die Autorin ist Mitglied der KURIER-Wirtschaft­sredaktion und arbeitet derzeit von zu Hause aus.

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