Kurier (Samstag)

Wer braucht denn schon die Welt da draußen?

Graham Swift hat den Roman zu Joni Mitchells Lied „Both Sides Now“geschriebe­n

- P. PISA

Da sind wir. „Da sind wir“könnte man vermutlich rasch abhandeln, hätte jemand anderer den Roman geschriebe­n: Ein Varieté – eine Dreiecksge­schichte. Der Conférenci­er, der Zauberer und seine Assistenti­n.

Die Assistenti­n ist mit dem Zauberer verlobt, doch als der Zauberer zu seiner toten Mutter fährt, wechselt sie zum Conférenci­er.

Alle sind 25, 28 Jahre alt. Daraufhin zieht der Zauberer noch ein letztes Mal vor Publikum eine Schnur aus seinem Mund, eine lange Schnur, die sich in einen Regenbogen verwandelt, durch den ein Papagei geflogen kommt.

Der

Regenbogen verschwind­et. Der Papagei verschwind­et. Der Zauberer verschwind­et.

Für immer.

Weg sein

Graham Swift hat „Da sind wir“geschriebe­n. Der Londoner, der zu wenig laut und umtriebig ist, um als derzeit „größter“britischer Schriftste­ller zu gelten.

Mitten in der Geschichte, die ihr Zentrum 1959 im Seebad Brighton hat, wo im Sommer für die Urlauber die Show stattfinde­t ... nahezu übergangsl­os, man merkt es kaum, ist die ehemalige Assistenti­n des Zauberers 75; und denkt zurück, als ihr verstorben­er Mann, der ehemalige Conférenci­er, zu ihr gesagt hat: „Scheiß auf die Welt da draußen. Wer braucht die schon?“

Und mitten im Geschehen auf der Varieté-Bühne ist der Zauberer acht Jahre alt, und die Mutter gibt ihn weg. Weg – das Wort kommt oft vor.

Man blickt bei der Liebe nicht durch, man kennt sich im Leben nicht aus – es sind

Graham Swift: „Da sind wir“Übersetzt von Susanne Höbel. dtv.

160 Seiten. 20,60 Euro

KURIER-Wertung: āāāāā die Illusionen, an die man sich erinnert. Joni Mitchell hat davon gesungen („Both Sides Now“). Der Zauberer, der am Ende kein Gaukler mehr ist, sondern zum Magier wird, ist dafür das beste Symbol.

So viel Licht kann gar nicht eingeschal­tet werden, um zu erkennen, wie schäbig alles ist.

Anderseits: Wie soll man überleben können ohne Täuschung – wenn jemand „weg“ist (das Wort „tot“wird lieber nicht verwendet).

Es war nicht damit zu rechnen gewesen, dass genau dieses Buch mit genau dieser Thematik jetzt gebraucht wurde – gebraucht und verschlung­en.

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Ein zurückhalt­ender Schriftste­ller: Graham Swift lebt in London
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