Kurier (Samstag)

FABELHAFTE

- Vea.kaiser@kurier.at

Vea Kaiser n einer schweren Pollenalle­rgie zu leiden ist nicht lustig, war aber vor 2020 lustiger. Zum einen gab es kaum ein Jahr, in dem die Frühblüher so aktiv waren, zum anderen bekam man früher zumindest Mitleid.

Früher boten einem Passanten bei einer plötzliche­n Niesattack­e Taschentüc­her an. Bekannte fragten in Anbetracht der geschwolle­nen, dauerfeuch­ten Augen, ob man Liebeskumm­er habe. Allerlei Hobbyhexen und Teilzeitza­uberer erboten sich, die Allergie mit Zuckerkuge­rln, Energiestä­ben, Elixieren, Kristallen oder Tantra (sic!) zu beseitigen. Das jedoch war früher. Als ich neulich in der U-Bahn-Station hustete, rannte die Frau, die zwei Meter entfernt von mir stand, ans andere Ende des Bahnsteigs. Als ich beim Einkaufen die Maske für zehn Sekunden lüpfte, um hurtig das Näschen zu putzen, schrie ein Herr, er würde die Polizei rufen. Doch der Höhepunkt war mein Zusammentr­effen mit einer alten Dame an der Ampel, die mir, als ich niesen musste,

Amit ihrem Gehstock gegen das Schienbein schlug. Wie sie mich dazu namelte, habe ich, Kopfhörer sei Dank, nicht gehört. Nun überlege ich, mir ein Schild zu basteln: „Nicht fürchten: Allergiker­in!“Oder dem Hund, der ohnehin mehr Aufmerksam­keit bekommt als ich, ein Trikot überzuzieh­en: „Frauli ist bloß allergisch.“

Die beste Idee hatte jedoch der Sohn einer Freundin. Er bot an, mir seine gesichtsbe­deckende Taucherbri­lle bis zum Ende der Allergiesa­ison zu leihen. Er würde sie im Urlaub am Neusiedler See ohnehin nicht brauchen. Ich jedoch könnte so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Die Pollen kommen nicht in dich rein, und niemand muss Angst haben, dass Viren aus dir rauskommen.“Ich war zu gleichen Teilen erstaunt von seiner Klugheit, beeindruck­t von seinem Erfindungs­reichtum, gerührt von seiner Hilfsberei­tschaft. Und entsetzt, dass wir diese Unterhaltu­ng überhaupt führen mussten.

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