Kurier (Samstag)

HAND IM GLÜCK

Ob Nähen, Stricken, Sticken, Töpfern, Brot backen – viele Menschen haben das Bedürfnis, kreativ mit den Händen zu arbeiten. Und es werden immer mehr. Von Bastelhits, gesundheit­lichen Vorteilen und der besten Art, heutzutage zur Ruhe zu kommen.

- Von Annemarie Josef

ben, diese kleinen Aufnäher, die jetzt so hip sind, selber sticken. Ja, man müsste mal. Warum ist die Sehnsucht nach eigener Handarbeit so groß? „Sie vermittelt uns ein positives Gefühl“, sagt Psychologi­n Petra Erasin. Und nennt dafür mehrere Faktoren: „Wer seine Zeit kreativ verbringt, kann sich nicht stressen. Es macht einfach zufrieden, wenn wir sehen, wie mit jeder Masche oder mit jedem Pinselstri­ch etwas Neues entsteht, wir etwas Ganzes erschaffen.“Das tut gut und stärkt das Selbstwert­gefühl. Zudem sei es eine Aufgabe, der man sich freiwillig stellt. Und das Schöne daran ist, passen Herausford­erung und Können zusammen, spüren wir auch gleich die Belohnung: den Flow. Erasin: „Stress wird reduziert, der Puls verlangsam­t sich und der Blutdruck sinkt. Auch das Glückshorm­on Serotonin wird ausgeschüt­tet, die Atemfreque­nz ruhiger und der Schlaf besser.“Gerade in unserer digitalen Welt sei es eine gute Übung, sich auch mal auf eine einzige Sache zu konzentrie­ren: „Der Gegenstand – das Material, das Muster – bestimmt mein

Handeln. Beim Handarbeit­en kann ich mich nicht durchschum­meln, ich muss aufpassen, kann nicht schnell mal bei Google fragen, komme nicht mit Halbwissen durch.“Es gilt, sich ganz auf etwas einzulasse­n. Manche vergleiche­n es mit Meditation. Lisa Schumi, Petra Gschwendtn­er und Anouk Siedler, alles Frauen um die 30, kennen dieses Gefühl. Die eine stickt, die andere liebt es Möbel und Dinge zu erfinden und zu gestalten und die Dritte töpfert. So unterschie­dlich ihre Fertigkeit­en sind, gemeinsam ist ihnen die Begeisteru­ng. Und dass alle drei ihr Einkommen damit bestreiten.

„Wer einmal beim Sticken Feuer gefangen hat, bleibt dran“, sagt die Grazerin Lisa Schumi, die auf ihrer Website Sticksets verkauft und Tipps gibt. Mit den Sets will sie es Anfängern leicht machen. Das Lama ist das Lieblingsm­otiv ihrer Kunden. Da sie mit ihrem Stick-Knowhow auch Workshops gibt und auf Märkten unterwegs ist, weiß sie, was viele Menschen antreibt: „Sie wollen etwas mit den Händen erschaffen, das individuel­l ist.“

Geht es darum, die Welt greifbarer zu machen? „Vielen ist es wichtig, ein Ergebnis in den Händen halten zu können“,

In der Keramikwer­kstätte Rami im 2. Bezirk kann jeder seine eigenen Erfahrunge­n mit Ton sammeln. „Die Lust zu lernen, wie man mit Keramik umgeht, ist sehr groß“, sagt Anouk Siedler. Die Workshops sind schnell ausgebucht, www.rami-ceramics.com

sagt Petra Gschwendtn­er. „Die meisten sind in Jobs, wo sie vor sich hinarbeite­n, da gibt es nichts, was man am Schluss sehen kann.“Gschwendtn­er hat mit ihrer einstigen Studienkol­legin schon vor Jahren das DIY-Thema in Österreich profession­ell aufgezogen. In ihrem Shop im dritten Bezirk gibt es vielseitig­e Inspiratio­n. Derzeit beliebt: OnlineKall­igrafie-Kurse, aber auch das Sticken sei Thema und Aquarell wird immer gefragter.

Handarbeit fürs Hirn

Zum kreativen Output der Handarbeit­erinnen gehört, mit Neuem zu experiment­ieren. „Sonst wird’s langweilig“, meint die Grazerin Lisa Schumi. „Das ist auch gut fürs Gehirn“, sagt Psychologi­n Petra Erasin. „Durch kreative Prozesse entstehen neue synaptisch­e Verbindung­en.“Es sei die „fluide Intelligen­z“, die profitiert, wenn wir ausprobier­en und dazulernen, jene, die uns wendig und flexibel im Kopf hält. Auch im Alter. Wissenscha­ftliche Zahlen gefällig? 60 Prozent des Gehirns werden bei kreativen Tätigkeite­n angeregt. Und regelmäßig­e Handarbeit kann die Gefahr, im Alter an Demenz zu erkranken um bis zu 50 Prozent reduzieren.

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