H. Schützenhöfer, Landeshauptmann
Hermann Schützenhöfer. Der steirische Landeshauptmann über das Motto „Koste es, was es wolle“, die Achse zu Hans Peter Doskozil und die Krise als Weckruf für eine beliebig gewordene Gesellschaft
Interview mit dem steirischen ÖVP-Regierungschef. Warum er beim Satz „Koste es, was es wolle“des Kanzlers zusammengezuckt ist.
KURIER: Herr Landeshauptmann, wie beurteilen Sie das bisherige Krisenmanagement der Bundesregierung? Hermann Schützenhöfer: Wir haben eine solche Situation in meiner Generation – ich bin Jahrgang 1952 – noch nie erlebt. Von daher würde ich sagen, nehmt alles nur in allem, ist es sehr gut gelaufen.
Könnte es sein, dass durch die Corona-Krise die ideologischen Bruchlinien zwischen ÖVP und Grünen überdeckt wurden und diese daher nach Überwindung der Krise verstärkt zutage treten?
Davon kann man ausgehen. In einer Krise hält man eben zusammen – in der Familie, im Betrieb und auch in der Politik. Wenn alles wieder seinen gewohnten Weg geht, hat man noch immer genug Zeit, um die Unterschiede klarzumachen. Aber solange die Krisenbewältigung im Vordergrund steht, würde niemand verstehen, wenn man Differenzen zu sehr herausarbeitet.
Es haben ja sowohl ÖVP wie Grüne im Wahlkampf und noch während der Regierungsverhandlungen stets betont, dass sie sehr unterschiedliche Zugänge zu fast allen Politikfeldern haben …
Ich erinnere an den Satz des Sebastian Kurz, wonach es sich bei dem Regierungsprogramm um „das Beste aus beiden Welten“handelt. Das sind zwei Welten, die noch nie in einer Koalition auf Bundesebene zusammen waren. Man muss aber auch im Hinterkopf haben: Wenn die Maßnahmen, die jetzt gesetzt wurden, eine ÖVP-FPÖ-Regierung gesetzt hätte, dann gnade uns Gott.
Wir leben jetzt in der vom Kanzler so bezeichneten „neuen Normalität“. Manche halten das für einen beschönigenden Begriff, hinter dem sich ein perpetuierter Ausnahmezustand verbirgt …
Mir hat kürzlich ein Wissenschafter gesagt, wir würden erst 40 Prozent des Gesamtschadens merken, das dicke Ende komme noch. Auch ich habe immer darauf hingewiesen, dass nach der Krise die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, die größere Herausforderung sein wird: Wir stehen erst am Anfang eines steinigen Weges.
Ist das Motto „Koste es, was es wolle“das richtige zurzeit?
Da sage ich: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Ich habe den schlichten Beruf des Kaufmanns erlernt. Da bleibt zwei plus zwei vier und nicht fünf oder sechs. Und wenn ein Kaufmann so einen Satz hört, zuckt er zusammen. Aber das ist halt gesagt worden.
Das heißt, Sie sind bei dieser Aussage des Finanzministers innerlich zusammengezuckt?
Nach dem Motto „koste es, was es wolle“kann keine Familie leben. In Ausnahmesituationen buttert auch eine Familie natürlich alles hinein, aber es kann kein Dauermotto sein.
Könnte auch darin Sprengkraft für Türkis-Grün liegen? Das glaube ich nicht. Die Grünen fordern ja immer Geld, das kein Mensch hat …
Ich meine ja, dass genau das dann ein Problem wird, wenn die ÖVP wieder zu ihrer Sparpolitik zurückkehren will …
Die ÖVP muss zur Stabilitätspolitik zurückkehren. Aber hören Sie sich doch Experten an, die bestätigen, dass zum Beispiel das Kurzarbeitsmodell das weltbeste ist. Dass das an die Grenzen der Finanzierbarkeit geht, ist eine andere Sache. Es hat jedenfalls Hunderttausende vor der Arbeitslosigkeit bewahrt und nun geht es darum, diese Menschen wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.
Sie haben sich für den Fall, dass ein Corona-Impfstoff zur
Verfügung steht, „im Zweifel“für eine Impfpflicht ausgesprochen …
Seit dem Ausbruch der Pandemie habe ich mit Virologen und Medizinern aller Art gesprochen. Und wenn mir die sagen, das ist eine schwerere Lungenerkrankung als manche annehmen und man muss sie mit einer Impfung bekämpfen, dann nehme ich das zur Kenntnis. Es sind hoffentlich nur wenige Bereiche, aber es gibt solche, wo man die Menschen zu ihrem Glück zwingen muss.
Sie sind in dieser Frage auf einer Linie mit dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil von der SPÖ. Der hat dieser Tage auch generell gemeint, es verbinde sie beide „mehr als manche glauben“. Eine starke Achse?
Erstens freue ich mich für ihn, dass seine Stimme hörbar besser geworden ist. Ich habe ihn 2015 kennengelernt, da war er Landespolizeidirektor im Burgenland. Den haben wir ins steirische Grenzland zur Hilfe geholt, weil er schon in Nickelsdorf Erfahrungen in der Flüchtlingscausa gemacht hat.
Seit damals duzen wir einander, seit damals sind wir in gutem Kontakt. Das Burgenland ist ein guter Nachbar, es hat sich noch unter Hans Niessl an der Forschungsgesellschaft Joanneum beteiligt, wie auch Kärnten, wir werden auch im Gesundheitswesen zusammenarbeiten. Und ja, ich mag ihn, und er mag mich wohl auch.
Sie haben immer als Großkoalitionär gegolten und führen auch in der Steiermark eine solche Regierung. Halten Sie das Modell auch nach wie vor für den Bund für eine Option?
Die Koalition zwischen ÖVP und Grünen ist ein neuer Weg, hier werden ausgetretene Pfade verlassen, das finde ich gut. Aber ich persönlich bin noch immer der Überzeugung, dass eine Zusammenarbeit von ÖVP und SPÖ auf welcher Ebene auch immer nicht ausgedient hat. Und zwar dann nicht, wenn sie begreifen, dass sie mit ihren Bünden und Sektionen nur mehr einen ganz kleinen Teil der Gesellschaft erreichen und sich entsprechend öffnen müssen. Etwas, das Sebastian Kurz hervorragend gelungen ist. Und auch die SPÖ wird wiederkommen.
Warum kann die ÖVP wieder Wahlen gewinnen?
Weil Sebastian Kurz sich nicht verzettelt, weil er die Anliegen der Menschen spürt, weil er erkannt hat, dass die ökosoziale Marktwirtschaft das Entscheidende ist.
Gerade das wird ja oft bestritten: Die ÖVP habe unter Kurz, so heißt es oft, ihre christlichsozialen Wurzeln verraten. Was entgegnen Sie dem?
Gar nichts. Weil es ja nicht stimmt. Der Sebastian Kurz ist ein praktizierender Katholik, ohne dass er das täglich publik macht. Er gehört allerdings nicht der Gruppe derer an, die sich auf den Kopf machen lassen, wenn es um soziale Ausgewogenheit geht. Sondern er will den Sozialstaat retten, für die, die ihn brauchen, und nicht für die, die ihn ausnützen.
Wie sehen Sie der nächsten Zeit unter den gegenwärtigen Bedingungen entgegen?
Was wir erleben, ist die größte Krise, die meine Generation erlebt hat. Aber es ist keine Not, wie sie unsere Eltern und Großeltern erfahren mussten: den Krieg, die Hungersnöte, Massenarbeitslosigkeit etc. Wir können in unserem hoch entwickelten Wohlfahrtsstaat die Menschen sozial durchtragen – nicht unbefristet natürlich, aber eine Zeit lang. Jetzt haben wir das Ärgste hoffentlich hinter uns – nun müssen wir die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Vielleicht auch die Gesellschaft: möglicherweise haben wir dieses Zeichen gebraucht, um zu sehen, dass wir in den letzten Jahren über unsere Verhältnisse gelebt haben, nach dem Motto: alles hier und jetzt. Da hat sich auch manche Beliebigkeit in die Gesellschaft eingenistet. Für zu viele Menschen ist die eigene Befindlichkeit das Maß aller Dinge geworden. Jetzt sind wir aufgerüttelt worden, vielleicht hilft’s.