Unverzichtbar, aber unterbezahlt
Eine Million Beschäftigte, vor allem Frauen, halten das Land am Laufen
Ohne die viel beklatschten „Heldinnen und Helden der Arbeit“lief während der Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen gar nichts. Während viele es sich bequem im Homeoffice einrichten konnten, mussten sie raus und trotz Ansteckungsrisiko weiter ihren Dienst direkt am Menschen verrichten. Insgesamt sind es rund eine Million Beschäftigte im Gesundheits-, Betreuungs- und Pflegebereich, im Lebensmittelhandel, in der Reinigungsbranche, bei Zustelldiensten oder bei der Polizei, die als „systemrelevant“eingestuft werden.
Dies geht aus einer Sonderauswertung des Arbeitsklimaindex durch das SORAInstitut im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) hervor. Allein auf Einzelhandel, Reinigung und Bildung entfällt mehr als die Hälfte aller Beschäftigten. Was die überwiegende Mehrheit dieser unverzichtbaren Berufe gemeinsam hat: hoher Frauenanteil, hohe Teilzeit-Quote, hoher Migranten-Anteil, hohe Arbeitsbelastung, geringes Einkommen, und – abseits der Huldigungen in der Corona-Krise – ein geringer gesellschaftlicher Stellenwert.
Durch die Corona-Krise werde die soziale Ungleichheit sowie die Ungleichheit von Männer- und Frauenberufen „schonungslos offengelegt“, fasst Studienautor Daniel Schönherr vom SORAInstitut die Auswertung zusammen. Arbeit am Menschen gilt als weniger wertvoll als Arbeit mit Maschinen oder Computer. Anders formuliert: „Je höher der Frauenanteil, desto geringer die Bezahlung“, so Schönherr.
Am unteren Ende der Gehaltsskala der „Unverzichtbaren“befinden sich Reinigungskräfte und Verkäuferinnen (siehe Grafik). Sie verdienen wegen der hohen Teilzeit im Schnitt weniger als 1.300 Euro netto/Monat. Besser ergeht es den Ärzten und Apothekern sowie den Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Hohe Belastung
In den klassischen Frauenberufen gehören auch unattraktive Arbeitszeiten, etwa Schicht- und Wochenenddienste, psychische und körperliche Belastungen sowie viele Überstunden zum Berufsalltag. Die hohe Arbeitsbelastung wirkt sich wiederum negativ auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die eigene Gesundheit aus. „Viele glauben nicht, dass sie es bis zur Pension durchhalten werden“, ergänzt Schönherr. In der Altenund Behindertenbetreuung
halten es sogar sieben von zehn Beschäftigten für unwahrscheinlich, bis zum Pensionsantrittsalter durcharbeiten zu können.
Mindestlohn-Debatte
Die Arbeiterkammer (AK) fordert neben einem Bündel diverser Maßnahmen einmal mehr die Umsetzung eines Mindestlohns von 1.700 Euro brutto in allen Kollektivverträgen. „Das Beklatschen der systemrelevanten Berufe hilft niemandem. Wir brauchen keine Heldinnen-Denkmäler, sondern fairere Arbeitsbedingungen und eine bessere Entlohnung“, sagt Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl. Für die Teilzeitkräfte will die AK den Mehrarbeitszuschlag schon ab der ersten Stunde auf 50 Prozent anheben und den Durchrechnungszeitraum abschaffen. Jede geleistete Überstunde müsse auch bezahlt werden, fordert Anderl.