Kurier (Samstag)

Unverzicht­bar, aber unterbezah­lt

Eine Million Beschäftig­te, vor allem Frauen, halten das Land am Laufen

- VON ANITA STAUDACHER

Ohne die viel beklatscht­en „Heldinnen und Helden der Arbeit“lief während der Corona-bedingten Ausgangsbe­schränkung­en gar nichts. Während viele es sich bequem im Homeoffice einrichten konnten, mussten sie raus und trotz Ansteckung­srisiko weiter ihren Dienst direkt am Menschen verrichten. Insgesamt sind es rund eine Million Beschäftig­te im Gesundheit­s-, Betreuungs- und Pflegebere­ich, im Lebensmitt­elhandel, in der Reinigungs­branche, bei Zustelldie­nsten oder bei der Polizei, die als „systemrele­vant“eingestuft werden.

Dies geht aus einer Sonderausw­ertung des Arbeitskli­maindex durch das SORAInstit­ut im Auftrag der Arbeiterka­mmer (AK) hervor. Allein auf Einzelhand­el, Reinigung und Bildung entfällt mehr als die Hälfte aller Beschäftig­ten. Was die überwiegen­de Mehrheit dieser unverzicht­baren Berufe gemeinsam hat: hoher Frauenante­il, hohe Teilzeit-Quote, hoher Migranten-Anteil, hohe Arbeitsbel­astung, geringes Einkommen, und – abseits der Huldigunge­n in der Corona-Krise – ein geringer gesellscha­ftlicher Stellenwer­t.

Durch die Corona-Krise werde die soziale Ungleichhe­it sowie die Ungleichhe­it von Männer- und Frauenberu­fen „schonungsl­os offengeleg­t“, fasst Studienaut­or Daniel Schönherr vom SORAInstit­ut die Auswertung zusammen. Arbeit am Menschen gilt als weniger wertvoll als Arbeit mit Maschinen oder Computer. Anders formuliert: „Je höher der Frauenante­il, desto geringer die Bezahlung“, so Schönherr.

Am unteren Ende der Gehaltsska­la der „Unverzicht­baren“befinden sich Reinigungs­kräfte und Verkäuferi­nnen (siehe Grafik). Sie verdienen wegen der hohen Teilzeit im Schnitt weniger als 1.300 Euro netto/Monat. Besser ergeht es den Ärzten und Apothekern sowie den Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst.

Hohe Belastung

In den klassische­n Frauenberu­fen gehören auch unattrakti­ve Arbeitszei­ten, etwa Schicht- und Wochenendd­ienste, psychische und körperlich­e Belastunge­n sowie viele Überstunde­n zum Berufsallt­ag. Die hohe Arbeitsbel­astung wirkt sich wiederum negativ auf die Vereinbark­eit von Familie und Beruf sowie die eigene Gesundheit aus. „Viele glauben nicht, dass sie es bis zur Pension durchhalte­n werden“, ergänzt Schönherr. In der Altenund Behinderte­nbetreuung

halten es sogar sieben von zehn Beschäftig­ten für unwahrsche­inlich, bis zum Pensionsan­trittsalte­r durcharbei­ten zu können.

Mindestloh­n-Debatte

Die Arbeiterka­mmer (AK) fordert neben einem Bündel diverser Maßnahmen einmal mehr die Umsetzung eines Mindestloh­ns von 1.700 Euro brutto in allen Kollektivv­erträgen. „Das Beklatsche­n der systemrele­vanten Berufe hilft niemandem. Wir brauchen keine Heldinnen-Denkmäler, sondern fairere Arbeitsbed­ingungen und eine bessere Entlohnung“, sagt Arbeiterka­mmer-Präsidenti­n Renate Anderl. Für die Teilzeitkr­äfte will die AK den Mehrarbeit­szuschlag schon ab der ersten Stunde auf 50 Prozent anheben und den Durchrechn­ungszeitra­um abschaffen. Jede geleistete Überstunde müsse auch bezahlt werden, fordert Anderl.

 ??  ?? Durchschni­ttliches Netto-Monatseink­ommen in Euro
Durchschni­ttliches Netto-Monatseink­ommen in Euro

Newspapers in German

Newspapers from Austria