Kurier (Samstag)

Einmal Weltmacht und zurück

- TEXT KONRAD KRAMAR INFOGRAFIK CARINA TICHY

Dieser Amerikaner, und dann noch so ein unverschäm­ter Vorschlag! Der kaiserlich­e Hof in Peking war in Schockstar­re. Caleb Cushing hieß der Kongressab­geordnete aus Massachuse­tts, der in diesem Februar 1844 im Hafen von Macao eingelaufe­n war, mit vier Kriegsschi­ffen, die sowohl mit Geschenken, aber auch mit riesigen Kanonen gut bestückt waren.

Cushing war vom US-Präsidente­n entsandt worden, um China ein Abkommen abzuringen. Dieses sollte US-Händlern die Türen zum chinesisch­en Markt öffnen, so wie es schon die Briten dem tödlich geschwächt­en Kaiserreic­h abgerungen hatten. Und der für seine undiplomat­ische Großspurig­keit bekannte Cushing machte deutlich, wenn China nicht rasch einwillige, werde er einfach persönlich beim Kaiser in Peking aufmarschi­eren und dem klar machen, was Sache ist.

Ein „Barbar“, denn als nichts anderes betrachtet­en die Chinesen

grundsätzl­ich westliche Völker, wollte persönlich beim Kaiser erscheinen: Eine völlig unvorstell­bare Vorstellun­g. Schließlic­h nahm der „Herrscher der Welt“– das Selbstvers­tändnis eines chinesisch­en Kaisers – grundsätzl­ich nur Anfragen von Völkern entgegen, die Tribut gezahlt hatten. Außerdem durfte man sich dem Kaiser, wenn überhaupt, nur auf Knien nähern.

Die diplomatis­che Krise wurde bereinigt. In China hatte man in den Jahren zuvor bereits reichlich bittere Erfahrunge­n mit westlicher Militärtec­hnologie gemacht. Man wusste, dass man realpoliti­sch keine Chance hatte. Also bekamen auch die amerikanis­chen Barbaren ihren Vertrag.

China wurde so Schritt für Schritt zu einer De facto-Kolonie, hilflos und zerstückel­t von westlichen Imperien.

Als der chinesisch­e Präsident Xi Jinping vor einigen Jahren offen den Anspruch seines Landes als globale Führungsma­cht stellte, sprach er auch von den Wunden der Vergangenh­eit – und er meinte genau diese Zeit. Bis heute gebe es diesen Zwiespalt in der Psyche der Chinesen und ihrer Führung, erklärt der Hongkonger Soziologe Chan Kwok-bun: „Zwischen dem Gefühl der Überlegenh­eit und jenem der Unterlegen­heit – und wie rasch der Weg von einem ins andere führen kann. Diese Unruhe ist immer noch tief verankert.“

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