Kurier (Samstag)

Ostblock-Feeling

- VON BARBARA MADER barbara.mader@kurier.at

Dieser Tage kriegst du im Hawelka einen Platz und kannst dir beim Trześniews­ki in der Dorotheerg­asse einen Tisch aussuchen. Beim Diglas und beim Heiner in der Wollzeile gehören so gut wie alle Kuchen in der Vitrine dir. Die Verkäuferi­nnen in den Modeboutiq­uen schenken dir all ihre Aufmerksam­keit. Nur Parkplatz kriegst du keinen, das ist das Einzige, das so ist wie immer, aber selber schuld, wenn du mit dem Auto in die Stadt fährst.

Das Redaktions­komitee der Wiener Ansichten hat sich das ein bisserl lustiger vorgestell­t, ehrlich gesagt. Endlich die Stadt wieder für uns haben, war der Gedanke. Jetzt haben wir die Stadt für uns und es ist trotzdem nicht gut. Die Konditorei­en und Kaffeehäus­er, in denen man sonst kaum Platz bekommt, sind leer und jetzt sieht man auch, wie schäbig viele sind. Die Sitzbänke sind abgewetzt, die Bilder an den Wänden eigenartig, die Kühlvitrin­en zu drei Viertel leer. Sperrstund’ ist schon um 17 Uhr. Die Buchhandlu­ng nebenan hat längst zu. Im Ersten macht sich 70er-Jahre-Flair breit. Schön, denkt man, so war’s in unserer Kindheit. Doch man sollte vorsichtig sein mit den Lobhudelei­en auf das Gestern. Gestern war auch Ostblocknä­he und Provinzmie­f.

Ein bisserl hat man das Gefühl, die Wiener wissen nichts mehr damit anzufangen, wenn ihnen die Stadt gehört. Zumindest den Ersten haben sie längst aufgegeben. Die Geschäfte, wegen derer man einst „in die Stadt“fuhr, sind rar geworden. Ja, die „Schwäbisch­e Jungfrau“am Graben gibt’s noch. Der Ostovics am Stephanspl­atz hält noch durch, die Spielzeugs­chachtel in der Rauhenstei­ngasse. Aber die internatio­nalen Ketten und Diskonter haben sich längst durchgeset­zt in den denkmalges­chützten Häusern. Um den Braun & Co. weinen manche heute noch.

Europas Stadtzentr­en sind zu Museen für Touristen geworden. Entweder, die Gäste kommen wieder, oder die Zentren sterben endgültig. Für die Bewohner sind sie wohl schon tot.

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