Romeos und Honigfallen Lockvögel. Geheimdienste nutzten die Verführungskünste schöner Frauen und charmanter Herren zu allen Zeiten. Ursprünglich war der Lockvogel aber der Jagd vorbehalten
Schon als Dieter Bacher das Video das erste Mal sah, dachte er: „Die Methode kenne ich doch. Die ist eine altbekannte.“Sie stammt aus der Werkzeugkiste der Geheimdienste: Ein Lockvogel (die angebliche russische Milliardärsnichte Aljona Makarova), tastet sich über einen Vertrauensmann (Johann Gudenus) an das Ziel (H.-C. Strache) heran; Misstrauen wird mittels gekonntem Schauspiel zerstreut; optische Reize erledigen den Rest. Bacher, Grazer Historiker, beschäftigt sich viel mit Spionage. „Im Kalten Krieg nutzten die Geheimdienste beider Seiten diese Methode.“Honigfalle sei der Fachbegriff – „wenn es sich um eine Frau handelt; wird ein Mann eingesetzt, ist das ein sogenannter Romeo“.
Wobei: Die Erforschung amouröser Methoden in einem Metier, das von Geheimhaltung lebt, sei schwierig, Akteneinsicht oft unmöglich. Es gibt aber das Gerücht, dass der KGB Agentinnen zielgerichtet ausbildete. Man kannte die bevorzugten Sexualpraktiken potenzieller Opfer, stimmte den Lockvogel darauf ein, und das Opfer glaubte, endlich seine Traumfrau gefunden zu haben. Nach kurzer Zeit wurde der Mann animiert, für den KGB zu arbeiten, wollte er nicht, dass sein Sexualleben publik würde. Im Agentenjargon hießen diese Lockvögel passenderweise „Schwalben“.
Legendär ist auch die „Sekretärinnen-Offensive“, die unter umgekehrten Vorzeichen ablief: „Der KGB überlegte in den 1950er-Jahren, wer außer den schwer zu kriegenden Chefs Zugang zu wichtigen Informationen hat“, erzählt Bacher. Rasch kam man auf die Damen in den Vorzimmern und „sorgte dafür, dass sich hübsche Herren an sie heranmachten und zur Informationsbeschaffung anwarben“.
Die Verführungskünste schöner Frauen nützten Dienste zu allen Zeiten: von der legendären Tänzerin Mata Hari um 1900 bis zur 2010 enttarnten russischen Spionin Anna Chapman. Wobei: „Im Fall der immer wieder genannten Mata Hari, ist bis heute nicht klar, ob sie wirklich spioniert hat“, sagt der Historiker. Bei Ramón Mercader gibt es keine Zweifel: Der stalinistische Agent verlobte sich Ende der 1930er-Jahre mit Leo Trotzkis Sekretärin Sylvia Ageloff. So konnte der Romeo 1940 ein erfolgreiches Attentat auf den Politiker verüben.
Psychologie dahinter
Ein überzeugender Lockvogel muss sich jedenfalls in seiner Rolle wohlfühlen. Je mehr die Fassade der eigenen Persönlichkeit entspricht, desto bühnenreifer gelingt der Auftritt, weiß Psychologe Cornel Binder-Krieglstein. „Wenn alle Schalter auf Grün stehen, wird gewünschtes Verhalten gezeigt.“Dabei überholen die Gefühle oft den Verstand, und Entscheidungen lassen sich später nicht mehr logisch erklären. Zu dem, was Lockvögel antreibt, gibt es ebenfalls Untersuchungen: So hat die US-Soziologin Ira Winkler das MICE-Modell entwickelt – Motive, die Menschen für dieses Metier anfällig machen: M steht für Money (Geld), I für Ideologie, C steht für Coercion (Erpressung). „Und das E steht für das Ego, das man ansprechen kann“, sagt Historiker Bacher, der findet, dass man Letzteres im Fall des Ibiza-Videos sehr schön erkennen könne.
Tiere. Der ideale Zeitpunkt; ein begabter Lockvogel, der alle Rufe beherrscht; eine Falle, die im richtigen Moment zuschnappt: Das sind die Zutaten für einen fetten Fang. Das Rezept geht bei kleinen wie bei großen Tieren auf.
„In Österreich sind Lockvögel für den Vogelfang bzw. für Jagdzwecke nur sehr eingeschränkt erlaubt“, sagt Johannes Hohenegger von Birdlife Österreich. Der Präsident von Jagd Österreich, Roman Leitner, verweist überhaupt nur auf Kunststoffattrappen, die – überzeugend platziert – „ein gutes Hilfsmittel“sind.
Dabei haben gefiederte Köder eine lange Tradition. Die modernen Papagenos des Salzkammerguts können ein Lied davon singen. Hier helfen Lockvögel seit Jahrhunderten legal beim Fang von „Stubenvögeln“.
Bei der Jagd werden Lockvögel heute vor allem eingesetzt, um den Krähenbestand zu regulieren. Rabenvögel fressen Hasen, plündern Gelege und richten in der Landwirtschaft Schaden an. Die schwarzen Beutegreifer werden auf zwei Arten ins Verderben gelockt: Entweder warten ein paar Lockvögel in einer Voliere ohne Fluchtmöglichkeit auf Artgenossen. Oder ein Uhu wird auf einen Pflock gesetzt, um Angreifer auf sich zu ziehen. „Das ist eine heikle Sache. Es wird mit Schrot geschossen“, sagt Hohenegger. Die Munition trifft mitunter nicht nur das gewünschte Ziel. Es bringt auch den Lockvogel in Gefahr.