Babyelefant ade?
Demonstrationen trotz Corona. In New York, Wien, London und vielen anderen Städten protestierten Menschen gegen Rassismus – ohne Sicherheitsabstand. In Österreich hat das jetzt politische Folgen
Es war die größte Demonstration seit Jahren in Österreich. Und das erste große Zusammentreffen seit Ausbruch des Coronavirus. Was die einen als riesiges Zeichen gegen den Rassismus feiern, kritisieren andere als riesige CoronaParty. In den sozialen Medien gehen die Wogen hoch, weil rund 50.000 Menschen – viele ohne Mundschutz – zu nahe beieinander waren.
Heißt es also jetzt: Babyelefant, ade?
Am Tag nach den massiven #BlackLivesMatter-Protesten will niemand verantwortlich sein, dass so viele Menschen dicht gedrängt auf einem Platz zusammenkamen. Einig ist man sich nur, dass alle Beteiligten vollkommen überrascht waren.
Verschätzt
Das gilt auch für Demo-Organisatorin Mireille Ngosso, die Ärztin ist: „Wir haben mit 3.000 Teilnehmern gerechnet, gekommen sind 50.000“, sagt sie. Hätte man das gewusst, hätte man einen anderen Ort gewählt. „Die Infektionszahl ist aber so niedrig, dass ich nicht glaube, dass die Demonstration eine Gefahr darstellt“, meint sie.
Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl wollte jedenfalls keine Demo gegen Polizeigewalt mit Polizeigewalt auflösen. Das hätte wohl zu enormen Verwicklungen geführt. „Jede Versammlungsanzeige wird derzeit vorab an die Gesundheitsbehörde weitergeleitet“, sagt Pürstl zum KURIER. Da von der zuständigen MA 15 keine Vorgaben kamen, musste die Polizei grünes Licht geben.
Als sich dann abzeichnete, dass die Zahl der Demonstranten immer größer wird, machte die Polizei extra eine Straße frei. Eine derart große Menge wegen Verwaltungsübertretungen aufzulösen, wollte sich niemand antun: „Was tut man dann, wenn Menschen ausgerechnet gegen Polizeigewalt demonstrieren“, fragt Pürstl.
Das Gesundheitsministerium fragte jedenfalls im Innenministerium nach, ob man dort etwas tun könne. Dort hieß es wiederum, dass die Gesundheitsbehörden verantwortlich sind. Auf Anfrage des KURIER verweist man im Gesundheitsressort auf die Stadt Wien als lokale, zuständige Behörde. Pikanterweise war der zuständige Gesundheitsstadtrat Peter
Hacker selbst auf der Demo.
Er sagt wiederum: „In der Covid-19-Lockerungsverordnung sind Versammlungen ausdrücklich von den Regelungen für Veranstaltungen ausgenommen.“Hacker spielt den Ball wieder zurück:
„Für die Regulierung ist der Bund zuständig. Für den Vollzug die Landespolizeidirektion. Klar ist auch, dass solche Regeln vom Bodensee über das Kleinwalsertal bis zum Neusiedler See gleichermaßen gelten müssen.“
Fest steht, dass die Polizei im Vorfeld Demos untersagen kann: „Das Versammlungsrecht ist ein Grund- und Freiheitsrecht, genauso wie das Recht auf Unversehrtheit und Gesundheit. In dieser Abwägung muss die Sicherheitsbehörde bei der Anmeldung einer Demo entscheiden, ob sie zugelassen wird“, sagte Innenminister Karl Nehammer schon im April. „Da gibt es eine sogenannte PrognosenEinschätzung, wie sehr der Anmelder der Demonstration die Auflagen erfüllen kann“. Da aber keine Bedenken von der MA 15 kamen, wollte die Polizei auch nicht strenger als die Gesundheitsbehörde sein, betont Pürstl.
Anschober reagiert
Am Freitagnachmittag gab es dann eine Wende, Gesundheitsminister Rudolf Anschober zum KURIER: „Wir müssen von dieser ersten Großdemonstration lernen, wie der Mindestabstand eingehalten werden kann. Für Montag plane ich einen Runden Tisch mit Vertretern des BMI, Stadtrat Peter Hacker, Polizeipräsident Gerhard Pürstl und den Veranstaltern der Versammlung sowie den Juristen des Bundesministeriums für Gesundheit, um die gestrige Demonstration zu evaluieren und für zukünftige Demonstrationen Verbesserungen zu verankern und den Mindestabstand sicherzustellen. Der Pandemieschutz muss auch bei Demonstrationen sichergestellt werden“, gibt Anschober das Thema vor. Dass gleichzeitig Veranstaltungen nur bis 500 Personen durchgeführt werden dürfen, aber 50.000 bei einer Demo sind, dürfte derzeit jedenfalls nicht jeder verstehen.
Am Freitagabend wurde erneut gegen Rassismus demonstriert, diesmal vor der US-Botschaft. Laut Schätzungen der Polizei nahmen rund 8.000 Personen teil. Auch sie taten sich schwer, Abstand zu halten. Immerhin trugen mehr Demonstranten Masken.