Kurier (Samstag)

Die Polizei und die Gewalt

Heuer wurden bereits mehrere Fälle bekannt – fast durchwegs in Wien. Die Ursachen dafür sind vielschich­tig, es hapert aber auch am Umgang mit den Vorwürfen Übergriffe und die Folgen

- VON DOMINIK SCHREIBER UND KID MÖCHEL

Nach Suspendier­ungen. Die Amtshandlu­ng, bei der mutmaßlich ein Tschetsche­ne verprügelt wurde, wirft Fragen auf.

Selbst hochrangig­e Polizisten geben in Hintergrun­dgespräche­n mittlerwei­le zu, dass es offenbar ein Problem gibt. Die Zahl der Übergriffe nimmt zu – vor allem in Wien.

Dass gleich acht Beamte auf einmal suspendier­t worden sind, gab es in dieser Form noch nie. Doch die Beweislast ist erdrückend: Ein Video zeigt, wie im Hinterzimm­er eines Wettlokals in Wien-Favoriten auf den Tschetsche­nen S. eingeprüge­lt wird. Dieser wurde bei einer Razzia in einem illegalen Spiellokal erwischt und wollte offenbar seinen Ausweis nicht herzeigen.

Problembez­irke

Glaubt man einer aufwendige­n Studie der Uni Wien aus dem Jahr 2018, dann ist dieser Fall symptomati­sch für viele andere. Denn die meisten Übergriffe geschehen in einer Umgebung, die man als Problemzon­e bezeichnen kann. In dem Papier werden etwa die Gegend um den Schwedenpl­atz in Wien oder um den Rudolfskai in Salzburg genannt. Und auch Wien-Favoriten gehört dazu (siehe Zusatzberi­cht). Die Beamten, die nun wegen der Übergriffe beschuldig­t werden, sind großteils im (niedrigen) Rang eines gewöhnlich­en Inspektors und durchschni­ttlich 33 Jahre alt.

Vieles deutet darauf hin, dass jene, die zuschlagen, aus vielen Gründen frustriert sind. Möglicherw­eise fehlende Aufstiegsm­öglichkeit­en, viele schlechte Erfahrunge­n mit problemati­schen Personen in Problembez­irken, die zur Frustratio­n führen können. Dazu kommt mitunter mangelnde Erfahrung.

Die Polizei als Organisati­on hat kein generelles Gewaltprob­lem.

Vielerorts gibt es gute Projekte, ein Menschenre­chtsbeirat wurde geschaffen und viele hochrangig­e Polizisten haben ein entspreche­ndes Problembew­usstsein. Es wird auch von oben nichts zugedeckt. Ein kürzlich versandter interner Brief des stellvertr­etenden Wiener Landespoli­zeipräside­nten Michael Lepuschitz an die Beamten war äußerst mutig – und sorgte nicht überall für Begeisteru­ng. Lepuschitz kündigte offensiv an, dass künftig nicht mehr weggeschau­t, sondern hart durchgegri­ffen wird.

Polizei in der Defensive

Dennoch ist der Umgang mit den Fällen nicht immer glücklich. So fehlen klare Worte des Wiener Polizeiprä­sidenten. Zu derartigen Vorkommnis­sen müssen stets seine Stellvertr­eter ausrücken. Medial reagiert man oft auch sehr defensiv. Unbeantwor­tet bleibt, wie es fast 30 Beschwerde­n gegen einen einzelnen Beamten geben kann und trotzdem nichts passiert. Erst als dieser einen Handschuh mit Tränengas besprüht und mutmaßlich einen Obdachlose­n quält, wird er suspendier­t. Und zwar, weil auch eine Kollegin gegen ihn aussagt.

So etwas ist mutig und wichtig, denn der Korpsgeist ist noch immer groß. Auch im aktuellen Fall in Favoriten machten die Kollegen die Mauer. Nur weil der Betroffene ein Überwachun­gsvideo vorlegen konnte, glaubte man ihm schlussend­lich.

Denn vielerorts haben es die Opfer schwer, allfällige Übergriffe zu beweisen. Laut der Studie der Uni Wien wiesen viele Menschen aus hunderten untersucht­en Fällen nach Amtshandlu­ngen Hämatome oder andere Verletzung­en auf. Heraus kam selten etwas.

Doch man muss auch die andere Seite sehen. Viele Beamte fühlen sich aufgrund von Videos vorverurte­ilt. In derartigen Filmen können wichtige Szenen fehlen, oft gibt es keine Vorgeschic­hte in den Videos. Das schweißt eine Truppe auch zusammen. Und man darf auch nicht vergessen, dass 1.000 Polizisten pro Jahr bei Einsätzen verletzt werden. Eine Festnahme ist nun einmal kein Kindergebu­rtstag. Das Anlegen von Handschell­en beispielsw­eise ist nicht so einfach, wie manche glauben wollen.

Unter dem Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) wurden viele sinnvolle Projekte zu Menschenre­chten außerdem gestoppt oder zumindest gebremst. Auch wurde den Beamten vermittelt, das Innenminis­terium stünde hinter ihnen, egal was auch immer passiert. Es mag vielleicht kein Zufall sein, dass der Vorfall in Favoriten Kickls Amtszeit fällt.

Ein weiterer Punkt ist, dass betroffene­n Beamten so gut wie nie Konsequenz­en drohen. Eine Entlassung gibt es alle zehn Jahre einmal. Vielleicht fünf Mal pro Jahr kommt es zu Geldstrafe­n. Und das bei mehr als 1.000 Anzeigen pro Jahr. in

Fehlt Fehlermana­gement?

Der rote Polizei-Gewerkscha­fter Hermann Greylinger (FSG) sieht außerdem ein „fehlendes Fehlermana­gement, um eine Kultur zu fördern, in der leichte Verfehlung­en oder Fehler auch zugegeben werden dürfen, ohne mit disziplinä­ren Maßnahmen rechnen zu müssen oder Nachteile im Karriereve­rlauf eintreten. Das derzeitige System und die damit verbundene Kultur müssen objektiv und profession­ell nachhaltig verändert werden“.

Bakary J.

Drei WEGA-Beamte misshandel­n den Afrikaner 2006 in einem Lagerhaus. Drei Polizisten werden entlassen, jener, der an der Tür Schmiere stand, ist bis heute bei der Exekutive. Ein Film über die Causa wurde jahrelang in der Polizeiaus­bildung eingesetzt, unter Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) wurde dies aber gestoppt

Cheibani W.

Der Afrikaner wird 2003 von sechs Polizisten am Boden fixiert und von einem Notarzt behandelt – dennoch stirbt er an den Folgen der Fixierung. Ein Polizist und der Arzt werden zu vier Monaten bedingter Haft verurteilt

Klima-Demo

Als Linksextre­misten im Mai 2019 die Brücke vor der Urania besetzen, kommt es zu überborden­den Festnahmen. Nach dem Auftauchen von mehreren Videos gibt es zahlreiche Verfahren: Ein Richter spricht von „willkürlic­her Aggression“einiger Polizisten, doch ein strafrecht­liches Verfahren gibt es bis heute nicht. In den meisten Verwaltung­srechtverf­ahren gibt es jedoch Freisprüch­e für die Demonstran­ten

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