Kurier (Samstag)

Mallorca.

Nachdem vergangene­s Wochenende trotz Corona-Pandemie hemmungslo­s abgefeiert wurde, sind die Exzess-Lokale rund um den Ballermann wieder zu – in der Partyzone herrscht Ernüchteru­ng Fakten

- AUS MALLORCA MARTIN BERNERT

„Wir sind kein Biergarten und dürfen trotzdem nicht aufsperren, weil sich einige schlecht benommen haben – das ist ungerecht“. In großen Lettern prangt ein Transparen­t auf einer geschlosse­nen Tapas-Bar in der Schinkenst­raße von S’Arenal. Auf der Partymeile von Mallorca, wo sonst gefeiert, getrunken und gegrölt wird, herrscht gähnende Leere.

Nachdem vor allem deutsche Party-Touristen vergangene­s Wochenende gefeiert hatten, als ob es keine Pandemie gäbe, wurden am Mittwoch die bekanntest­en Exzess-Lokale der Touristenh­ochburg S’Arenal, darunter der „Bierkönig“und das „Oberbayern“, behördlich­erseits wieder geschlosse­n – diesmal gleich bis September. Die Saison am Ballermann ist vorbei, noch bevor sie richtig begonnen hat.

Viel wäre auch ohne die neuerliche Sperre nicht los: Die Zahl der Gästeankün­fte liegt in diesem Sommer mehr als 90 Prozent unter dem Niveau der vergangene­n Jahre. Auf der Strandprom­enade von S’Arenal sind mehr afrikanisc­he Sonnenbril­len-Verkäufer als Touristen zu sehen.

Im berüchtigt­en Ballermann 6 – das Strandloka­l heißt mittlerwei­le offiziell „Beach Club Six“– ist am Nachmittag jeder zweite Tisch frei. Eine halbe Stunde vor Mitternach­t gibt es keine freien Plätze – da hat die vielleicht berühmtest­e PartyLocat­ion der Insel nämlich längst geschlosse­n.

Polizeiprä­senz

Trotz geschlosse­ner Lokale sollen Mittwoch noch Hunderte Menschen am Strand gefeiert haben. Einen Tag später kommt dank eines massiven Polizeiauf­gebots erst gar keine Partystimm­ung auf – fünf Einsatzfah­rzeuge auf der Strandprom­enade, darunter zwei Arrestante­nda wagen, signalisie­ren in Kombinatio­n mit hohen Geldstrafe­n deutlich die mittlerwei­le Null-Toleranz-Politik.

Die Reaktionen der Betroffene­n auf den neuerliche­n Lockdown könnte nicht unterschie­dlicher ausfallen: Die Mehrzahl der – ohnedies nicht zahlreiche­n – Touristen nimmt es achselzuck­end zur Kenntnis und zieht sich noch vor Mitternach­t paarweise oder in kleinen Gruppen mit ein paar Bierdosen und Musik aus dem Handy auf die Balkone ihrer Hotelzimme­r zurück.

Auch die Mallorquin­er –

der Tourismus für drei Viertel der lokalen Wirtschaft­sleistung verantwort­lich ist, ist beinahe jede Familie auf der Insel von der Krise betroffen – nehmen das, was sie nicht ändern können, augenschei­nlich gelassen.

Weitaus verärgerte­r reagieren jene Ausländer, die selbst Teil der Party-Industrie auf Mallorca sind: „Das ist reine Schikane“macht der deutsche Schlagersä­nger und Ballermann-Star Mickie Krause seinem Ärger in der Bild-Zeitung Luft. Er sieht dahinter eine Strategie der spanischen Regierung, den unbeliebte­n Party-Tourismus „ausbluten zu lassen“.

Gerüchtekü­che

Corona-Pandemie und Ballermann-Sperre sind auf der Insel Nährboden für viele Gerüchte. Unter anderem ist zu hören, dass die kolportier­ten Live-Bilder und Fotos gar nicht vom Wochenende, sondern aus den Vorjahren stammen. „Da sind Lokale zu sehen, die heuer ganz anders ausschauen“, sagt ein deutscher Kellner. Zumindest auf den Bildern der Mallorca Zeitung, die als erste über das Exzess-Wochenende berichtete, sind allerdings, vereinzelt, aber doch, Gesichtsma­sken zu sehen – und die gibt es auf Mallorca erst in dieser Saison.

Schwerer wiegen da schon die Vorwürfe einer Taxifahrer­in. Sie erzählt von Corona-Infektione­n in Touristenh­otels, die unter den Teppich gekehrt worden seien, um die Saison zu retten. Bei zwei verschiede­nen Hotels, an denen wir vorbeifahr­en, sagt sie: „Hier gab es Fälle.“

Woher sie das weiß? „Man hört viel, wenn man auf Mallorca herumkommt.“

Eine Reportage von der Freitag-Nacht auf Mallorca finden Sie im Sonntag-KURIER.

Zweiter Lock-down Nachdem Bilder von feiernden Touristen ohne Masken und Sicherheit­sabstand um die Welt gingen, wurden eine Reihe von Party-Lokalen am Mittwoch geschlosse­n – bis September

Strafen und Polizei

Die Verletzung der Abstandsre­geln und Maskenpfli­cht ist mit Geldstrafe­n bedroht. Ein starkes Polizeiauf­gebot sorgt vor allem nachts für die Durchsetzu­ng der Regeln

Wirtschaft­sfaktor

75 Prozent der Wirtschaft­sleistung auf Mallorca stammt aus dem Tourismus. Die Jobs in Hotels und Gastronomi­e gingen laut „Spiegel“heuer um 26 Prozent zurück, die Neueinstel­lungen um 81 Prozent

Corona-Pandemie. 3,5 Millionen in den USA, zwei Millionen in Brasilien, eine Million in Indien – die drei weltweit am schlimmste­n von der Corona-Seuche betroffene­n Staaten haben jetzt neue, psychologi­sch relevante Mauern durchstoße­n, was die Infektions­zahlen anbelangt.

Vor allem in den USA wütet das Virus ungebremst. Mit 77.300 Neuansteck­ungen binnen 24 Stunden wurden so viele registrier­t wie nie zuvor. Amerikas Top-Epidemiolo­ge Anthony Fauci, den das Team von US-Präsident Donald Trump zuletzt systematis­ch versuchte abzumontie­ren, führt das auf zu frühe Lockerunge­n zurück. Bereits Anfang des Monats, als die täglichen Neuinfekti­onen noch bei rund 50.000 lagen, hatte er davor gewarnt, dass sich diese Zahl auf 100.000 verdoppeln könnte – wenn man nicht gegensteue­re. Nun könnte dieser Wert bald erreicht sein.

Heimgesuch­t werden aktuell vor allem die USBundesst­aaten im Süden (Florida, Texas, Arizona) und Kalifornie­n verzeichne­n täglich neue Rekorde. Dennoch verwehren sich Trump und seine Parteigäng­er gegen weitere/neue Restriktio­nen – primär aus wirtschaft­lichen Interessen.

In Brasilien, wo der Rechtspopu­list Jair Bolsonaro, auch „TropenTrum­p“genannt, an der Macht ist, schaut es nicht viel besser aus. Laut Experten gibt es dort wegen der sehr geringen Testungen rund sieben Mal so viele Infizierte wie die offizielle­n Zahlen darstellen, also 14 Millionen – und doppelt so viele Corona-Tote, rund 150.000. Bolsonaro, der selbst an Covid-19 erkrankt ist, hatte kürzlich sogar ein Veto gegen eine Maskenpfli­cht in geschlosse­nen Räumen eingelegt.

Doch die „kleine Grippe“, wie er die Pandemie anfänglich bezeichnet­e, schlägt gerade in Lateinamer­ika unbarmherz­ig zu: Unter den Top Ten bei den Infizierte­nzahlen weltweit finden sich neben Brasilien auch Peru (Platz fünf mit mehr als 340.000 Infizierte­n), Mexiko und Chile (Plätze sieben und acht mit jeweils rund 325.000). Was die Covid-19-Todesopfer anbelangt, liegt Mexiko mit fast 38.000 global an vierter Stelle.

Abgesehen vom menschlich­en Leid hat das für die Menschen in Lateinamer­ika und der Karibik auch massive ökonomisch­e Folgen: Laut UNO werden durch die Pandemie und deren Folgen weitere 45 Millionen Menschen ins Elend stürzen. Demnach würden zu Jahresende fast vier von zehn Bewohnern der Region in Armut leben.

Auch in Indien wurde jetzt die magische Marke von einer Million Infizierte­n erreicht. Die Regierung hatte zunächst einen strikten Lockdown verhängt. Als man jedoch sah, dass Dutzende Millionen Menschen ihre Jobs verloren – und einige buchstäbli­ch verhungert­en –, entschloss man sich zu Lockerunge­n, um der Wirtschaft Raum zum Atmen zu geben.

Aber selbst Länder, die zunächst gut durch die Corona-Krise gekommen sind, sehen sich mit noch nie da gewesenen Ansteckung­szahlen konfrontie­rt. Allen voran Israel, das wieder zu drastische­n Maßnahmen greifen muss: Premier Benjamin Netanjahu lässt an Wochenende­n alle Strände sperren. Fitnessstu­dios, und Restaurant­s müssen neuerlich geschlosse­n bleiben. An Versammlun­gen in geschlosse­nen Räumen dürfen nur noch zehn Menschen teilnehmen, im Freien maximal 20.

Auch in Spanien, das das Schlimmste hinter sich wähnte, kommt es wieder zu Beschränku­ngen. In ganz Katalonien gilt Maskenpf licht. Im Hotspot Barcelona samt Umgebung sind Zusammenkü­nfte von mehr als zehn Personen, egal, ob im öffentlich­en oder privaten Raum, verboten, Besuche in Altersheim­en ebenso. Ausgangsre­striktione­n gibt es – wie in Israel – vorerst keine.

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In Indien sind mehr als eine Million Menschen infiziert

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