Mallorca.
Nachdem vergangenes Wochenende trotz Corona-Pandemie hemmungslos abgefeiert wurde, sind die Exzess-Lokale rund um den Ballermann wieder zu – in der Partyzone herrscht Ernüchterung Fakten
„Wir sind kein Biergarten und dürfen trotzdem nicht aufsperren, weil sich einige schlecht benommen haben – das ist ungerecht“. In großen Lettern prangt ein Transparent auf einer geschlossenen Tapas-Bar in der Schinkenstraße von S’Arenal. Auf der Partymeile von Mallorca, wo sonst gefeiert, getrunken und gegrölt wird, herrscht gähnende Leere.
Nachdem vor allem deutsche Party-Touristen vergangenes Wochenende gefeiert hatten, als ob es keine Pandemie gäbe, wurden am Mittwoch die bekanntesten Exzess-Lokale der Touristenhochburg S’Arenal, darunter der „Bierkönig“und das „Oberbayern“, behördlicherseits wieder geschlossen – diesmal gleich bis September. Die Saison am Ballermann ist vorbei, noch bevor sie richtig begonnen hat.
Viel wäre auch ohne die neuerliche Sperre nicht los: Die Zahl der Gästeankünfte liegt in diesem Sommer mehr als 90 Prozent unter dem Niveau der vergangenen Jahre. Auf der Strandpromenade von S’Arenal sind mehr afrikanische Sonnenbrillen-Verkäufer als Touristen zu sehen.
Im berüchtigten Ballermann 6 – das Strandlokal heißt mittlerweile offiziell „Beach Club Six“– ist am Nachmittag jeder zweite Tisch frei. Eine halbe Stunde vor Mitternacht gibt es keine freien Plätze – da hat die vielleicht berühmteste PartyLocation der Insel nämlich längst geschlossen.
Polizeipräsenz
Trotz geschlossener Lokale sollen Mittwoch noch Hunderte Menschen am Strand gefeiert haben. Einen Tag später kommt dank eines massiven Polizeiaufgebots erst gar keine Partystimmung auf – fünf Einsatzfahrzeuge auf der Strandpromenade, darunter zwei Arrestantenda wagen, signalisieren in Kombination mit hohen Geldstrafen deutlich die mittlerweile Null-Toleranz-Politik.
Die Reaktionen der Betroffenen auf den neuerlichen Lockdown könnte nicht unterschiedlicher ausfallen: Die Mehrzahl der – ohnedies nicht zahlreichen – Touristen nimmt es achselzuckend zur Kenntnis und zieht sich noch vor Mitternacht paarweise oder in kleinen Gruppen mit ein paar Bierdosen und Musik aus dem Handy auf die Balkone ihrer Hotelzimmer zurück.
Auch die Mallorquiner –
der Tourismus für drei Viertel der lokalen Wirtschaftsleistung verantwortlich ist, ist beinahe jede Familie auf der Insel von der Krise betroffen – nehmen das, was sie nicht ändern können, augenscheinlich gelassen.
Weitaus verärgerter reagieren jene Ausländer, die selbst Teil der Party-Industrie auf Mallorca sind: „Das ist reine Schikane“macht der deutsche Schlagersänger und Ballermann-Star Mickie Krause seinem Ärger in der Bild-Zeitung Luft. Er sieht dahinter eine Strategie der spanischen Regierung, den unbeliebten Party-Tourismus „ausbluten zu lassen“.
Gerüchteküche
Corona-Pandemie und Ballermann-Sperre sind auf der Insel Nährboden für viele Gerüchte. Unter anderem ist zu hören, dass die kolportierten Live-Bilder und Fotos gar nicht vom Wochenende, sondern aus den Vorjahren stammen. „Da sind Lokale zu sehen, die heuer ganz anders ausschauen“, sagt ein deutscher Kellner. Zumindest auf den Bildern der Mallorca Zeitung, die als erste über das Exzess-Wochenende berichtete, sind allerdings, vereinzelt, aber doch, Gesichtsmasken zu sehen – und die gibt es auf Mallorca erst in dieser Saison.
Schwerer wiegen da schon die Vorwürfe einer Taxifahrerin. Sie erzählt von Corona-Infektionen in Touristenhotels, die unter den Teppich gekehrt worden seien, um die Saison zu retten. Bei zwei verschiedenen Hotels, an denen wir vorbeifahren, sagt sie: „Hier gab es Fälle.“
Woher sie das weiß? „Man hört viel, wenn man auf Mallorca herumkommt.“
Eine Reportage von der Freitag-Nacht auf Mallorca finden Sie im Sonntag-KURIER.
Zweiter Lock-down Nachdem Bilder von feiernden Touristen ohne Masken und Sicherheitsabstand um die Welt gingen, wurden eine Reihe von Party-Lokalen am Mittwoch geschlossen – bis September
Strafen und Polizei
Die Verletzung der Abstandsregeln und Maskenpflicht ist mit Geldstrafen bedroht. Ein starkes Polizeiaufgebot sorgt vor allem nachts für die Durchsetzung der Regeln
Wirtschaftsfaktor
75 Prozent der Wirtschaftsleistung auf Mallorca stammt aus dem Tourismus. Die Jobs in Hotels und Gastronomie gingen laut „Spiegel“heuer um 26 Prozent zurück, die Neueinstellungen um 81 Prozent
Corona-Pandemie. 3,5 Millionen in den USA, zwei Millionen in Brasilien, eine Million in Indien – die drei weltweit am schlimmsten von der Corona-Seuche betroffenen Staaten haben jetzt neue, psychologisch relevante Mauern durchstoßen, was die Infektionszahlen anbelangt.
Vor allem in den USA wütet das Virus ungebremst. Mit 77.300 Neuansteckungen binnen 24 Stunden wurden so viele registriert wie nie zuvor. Amerikas Top-Epidemiologe Anthony Fauci, den das Team von US-Präsident Donald Trump zuletzt systematisch versuchte abzumontieren, führt das auf zu frühe Lockerungen zurück. Bereits Anfang des Monats, als die täglichen Neuinfektionen noch bei rund 50.000 lagen, hatte er davor gewarnt, dass sich diese Zahl auf 100.000 verdoppeln könnte – wenn man nicht gegensteuere. Nun könnte dieser Wert bald erreicht sein.
Heimgesucht werden aktuell vor allem die USBundesstaaten im Süden (Florida, Texas, Arizona) und Kalifornien verzeichnen täglich neue Rekorde. Dennoch verwehren sich Trump und seine Parteigänger gegen weitere/neue Restriktionen – primär aus wirtschaftlichen Interessen.
In Brasilien, wo der Rechtspopulist Jair Bolsonaro, auch „TropenTrump“genannt, an der Macht ist, schaut es nicht viel besser aus. Laut Experten gibt es dort wegen der sehr geringen Testungen rund sieben Mal so viele Infizierte wie die offiziellen Zahlen darstellen, also 14 Millionen – und doppelt so viele Corona-Tote, rund 150.000. Bolsonaro, der selbst an Covid-19 erkrankt ist, hatte kürzlich sogar ein Veto gegen eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen eingelegt.
Doch die „kleine Grippe“, wie er die Pandemie anfänglich bezeichnete, schlägt gerade in Lateinamerika unbarmherzig zu: Unter den Top Ten bei den Infiziertenzahlen weltweit finden sich neben Brasilien auch Peru (Platz fünf mit mehr als 340.000 Infizierten), Mexiko und Chile (Plätze sieben und acht mit jeweils rund 325.000). Was die Covid-19-Todesopfer anbelangt, liegt Mexiko mit fast 38.000 global an vierter Stelle.
Abgesehen vom menschlichen Leid hat das für die Menschen in Lateinamerika und der Karibik auch massive ökonomische Folgen: Laut UNO werden durch die Pandemie und deren Folgen weitere 45 Millionen Menschen ins Elend stürzen. Demnach würden zu Jahresende fast vier von zehn Bewohnern der Region in Armut leben.
Auch in Indien wurde jetzt die magische Marke von einer Million Infizierten erreicht. Die Regierung hatte zunächst einen strikten Lockdown verhängt. Als man jedoch sah, dass Dutzende Millionen Menschen ihre Jobs verloren – und einige buchstäblich verhungerten –, entschloss man sich zu Lockerungen, um der Wirtschaft Raum zum Atmen zu geben.
Aber selbst Länder, die zunächst gut durch die Corona-Krise gekommen sind, sehen sich mit noch nie da gewesenen Ansteckungszahlen konfrontiert. Allen voran Israel, das wieder zu drastischen Maßnahmen greifen muss: Premier Benjamin Netanjahu lässt an Wochenenden alle Strände sperren. Fitnessstudios, und Restaurants müssen neuerlich geschlossen bleiben. An Versammlungen in geschlossenen Räumen dürfen nur noch zehn Menschen teilnehmen, im Freien maximal 20.
Auch in Spanien, das das Schlimmste hinter sich wähnte, kommt es wieder zu Beschränkungen. In ganz Katalonien gilt Maskenpf licht. Im Hotspot Barcelona samt Umgebung sind Zusammenkünfte von mehr als zehn Personen, egal, ob im öffentlichen oder privaten Raum, verboten, Besuche in Altersheimen ebenso. Ausgangsrestriktionen gibt es – wie in Israel – vorerst keine.