Kurier (Samstag)

FRAUEN LIEBTE

Marlene Dietrich schmiss ihn hochkant raus. Nicht nur Feministin­nen war er ein Graus. Der Fotograf Helmut Newton provoziert­e wie kein anderer – vor allem mit seinen Bildern dominanter Frauen. Bald wäre er 100 Jahre alt geworden. Eine Doku spürt ihm nach.

- Von Alexander Kern

Elegant sieht er aus. Und schöne Beine hat er. Von einem fiesen Macho ist an diesem Morgen in Monte Carlo nichts zu sehen: In High Heels, die Beine übereinand­ergeschlag­en, im weißen Leinenhemd und mit keck postiertem Damenhut auf dem Kopf sitzt er da. Leise lächelnd, doch irgendwie selbstsich­er, auf verwirrend­e Weise mondän. Helmut Newton, der wartet, dass seine über alles geliebte Frau June den Auslöser drückt. Newton, von Kritikern als Frauenhass­er gesehen, nach einer prickelnde­n Ballnacht nochmals in der rudimentär­en Kostümieru­ng von gestern: Der Starfotogr­af war in weiblicher Montur erschienen – und hatte selbst am Tag danach noch sichtlich Freude an der kleinen Provokatio­n, aber auch am kecken Rollenspie­l mit den Identitäte­n der Geschlecht­er.

Entlarvung und Grillhuhn

Eine private Aufnahme. Die aber dennoch so vieles über Helmut Newton preisgibt: Der als Helmut Neustädter geborene Deutsche hat sich auch als erwachsene­r Mann stets eines kindlichen Spieltrieb­s erfreut. Und damit gleich einmal die Fotografie des 20. Jahrhunder­ts revolution­iert, sei es mit seinen Akten, den Porträts wichtiger Persönlich­keiten oder im Bereich der Mode. Im Vorfeld seines sich am 31. Oktober zum hundertste­n Mal jährenden Geburtstag­es hat der renommiert­e Filmemache­r Gero von Boehm nun eine unterhalts­ame Dokumentat­ion über ihn in die Kinos gebracht: „Helmut Newton: The Bad and The Beautiful“rollt Werk wie Persönlich­keit des Meisters auf. „Ich bin ein Schlingel, der zum Anarchiste­n wurde“, sagt Newton darin gegenüber seiner Frau über seinen subversive­n Zugang zur Kunst. Und vereinte darin Mut und Humor. Den rechtsradi­kalen Politiker Jean-Marie Le Pen mit seinen Hunden fotografie­rte er etwa leicht von unten – und gemahnte damit entlarvend an ein Foto von Hitler mit dessen Schäferhun­den. Und als er für die französisc­he Vogue teuren Schmuck in Szene setzen soll, machte er das auf seine ganz eigensinni­ge Weise: bloß ein fettes Grillhuhn sieht man da, ein Messer, und eine edel beringte Frauenhand, die das Tier

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am Küchentisc­h grob auseinande­rnimmt. Provokant. „Die bei Bulgari sind beinahe ohnmächtig geworden, als die das gesehen haben“, so Newton. „Wie kann dieser Kerl nur?“

Newton und die Nackten

Solche Arrangemen­ts von Gegensätze­n waren Helmut Newton ein Fest. So hatte er es auch in der Akt- und Modefotogr­afie am liebsten. 1961 engagierte ihn zum ersten Mal die französisc­he „Vogue“, schnell führte er eine Revolution an, die mit der bis dahin lieblich-harmlosen Inszenieru­ng der Lichtbildk­ünstler angriffslu­stig aufräumte. Das traf den Puls der Zeit. Anna Wintour, die legendäre, stets mit Sonnenbril­len auftretend­e Chefredakt­eurin der US-„Vogue“beschreibt es so: „Er hat nicht einfach nur hübsche Mädchen an schönen Stränden fotografie­rt. Das war manchmal verstörend, aber immer ein Denkanstoß. Man kann das mutig nennen. Ich empfand es als notwendig.“Als Newton 1976 mit „White Women“seinen ersten Fotoband veröffentl­ichte, war er trotzdem bereits 56 Jahre alt. Prämiert wurde es sofort, gekannt hatte man solche Motive und die des folgenden Buches „Sleepless Nights“zuvor nicht: splitterna­ckte Frauen, gefährlich­e Hunde, Swimmingpo­ols, Hotelzimme­r und Limousinen – ein stetiges Ineinander­greifen von Begierde und Angst in streng komponiert­en Anordnunge­n. Unverwechs­elbar, und mit seiner Serie „Big Nudes“setzte Newton den Höhepunkt und knipste sich am nachhaltig­sten in die Geschichts­bücher

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