FRAUEN LIEBTE
Marlene Dietrich schmiss ihn hochkant raus. Nicht nur Feministinnen war er ein Graus. Der Fotograf Helmut Newton provozierte wie kein anderer – vor allem mit seinen Bildern dominanter Frauen. Bald wäre er 100 Jahre alt geworden. Eine Doku spürt ihm nach.
Elegant sieht er aus. Und schöne Beine hat er. Von einem fiesen Macho ist an diesem Morgen in Monte Carlo nichts zu sehen: In High Heels, die Beine übereinandergeschlagen, im weißen Leinenhemd und mit keck postiertem Damenhut auf dem Kopf sitzt er da. Leise lächelnd, doch irgendwie selbstsicher, auf verwirrende Weise mondän. Helmut Newton, der wartet, dass seine über alles geliebte Frau June den Auslöser drückt. Newton, von Kritikern als Frauenhasser gesehen, nach einer prickelnden Ballnacht nochmals in der rudimentären Kostümierung von gestern: Der Starfotograf war in weiblicher Montur erschienen – und hatte selbst am Tag danach noch sichtlich Freude an der kleinen Provokation, aber auch am kecken Rollenspiel mit den Identitäten der Geschlechter.
Entlarvung und Grillhuhn
Eine private Aufnahme. Die aber dennoch so vieles über Helmut Newton preisgibt: Der als Helmut Neustädter geborene Deutsche hat sich auch als erwachsener Mann stets eines kindlichen Spieltriebs erfreut. Und damit gleich einmal die Fotografie des 20. Jahrhunderts revolutioniert, sei es mit seinen Akten, den Porträts wichtiger Persönlichkeiten oder im Bereich der Mode. Im Vorfeld seines sich am 31. Oktober zum hundertsten Mal jährenden Geburtstages hat der renommierte Filmemacher Gero von Boehm nun eine unterhaltsame Dokumentation über ihn in die Kinos gebracht: „Helmut Newton: The Bad and The Beautiful“rollt Werk wie Persönlichkeit des Meisters auf. „Ich bin ein Schlingel, der zum Anarchisten wurde“, sagt Newton darin gegenüber seiner Frau über seinen subversiven Zugang zur Kunst. Und vereinte darin Mut und Humor. Den rechtsradikalen Politiker Jean-Marie Le Pen mit seinen Hunden fotografierte er etwa leicht von unten – und gemahnte damit entlarvend an ein Foto von Hitler mit dessen Schäferhunden. Und als er für die französische Vogue teuren Schmuck in Szene setzen soll, machte er das auf seine ganz eigensinnige Weise: bloß ein fettes Grillhuhn sieht man da, ein Messer, und eine edel beringte Frauenhand, die das Tier
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am Küchentisch grob auseinandernimmt. Provokant. „Die bei Bulgari sind beinahe ohnmächtig geworden, als die das gesehen haben“, so Newton. „Wie kann dieser Kerl nur?“
Newton und die Nackten
Solche Arrangements von Gegensätzen waren Helmut Newton ein Fest. So hatte er es auch in der Akt- und Modefotografie am liebsten. 1961 engagierte ihn zum ersten Mal die französische „Vogue“, schnell führte er eine Revolution an, die mit der bis dahin lieblich-harmlosen Inszenierung der Lichtbildkünstler angriffslustig aufräumte. Das traf den Puls der Zeit. Anna Wintour, die legendäre, stets mit Sonnenbrillen auftretende Chefredakteurin der US-„Vogue“beschreibt es so: „Er hat nicht einfach nur hübsche Mädchen an schönen Stränden fotografiert. Das war manchmal verstörend, aber immer ein Denkanstoß. Man kann das mutig nennen. Ich empfand es als notwendig.“Als Newton 1976 mit „White Women“seinen ersten Fotoband veröffentlichte, war er trotzdem bereits 56 Jahre alt. Prämiert wurde es sofort, gekannt hatte man solche Motive und die des folgenden Buches „Sleepless Nights“zuvor nicht: splitternackte Frauen, gefährliche Hunde, Swimmingpools, Hotelzimmer und Limousinen – ein stetiges Ineinandergreifen von Begierde und Angst in streng komponierten Anordnungen. Unverwechselbar, und mit seiner Serie „Big Nudes“setzte Newton den Höhepunkt und knipste sich am nachhaltigsten in die Geschichtsbücher