„Mindestens 100 Millionen Verlust“
Wie Geschäftsführerin Valerie Hackl sanieren will, ohne die Flugsicherung kaputtzusparen
KURIER: Wie heftig trifft die Corona-Krise die Flugsicherung?
Valerie Hackl: Als Teil der Luftfahrtbranche haben wir massive Umsatzausfälle und rechnen für 2020 mit einem hohen Verlust. Wir haben Betriebspflicht, auch wenn nur ein einziger Flieger am Himmel ist. Wir rechnen mit einer Halbierung des Umsatzes auf 150 Millionen Euro. Das schlägt sich direkt im Ergebnis nieder. Wir erwarten für 2020 mehr als hundert Millionen Euro Verlust.
Mehr als 100 Millionen, das ist ziemlich vage.
Es wird vom zweiten Halbjahr abhängen. Wir haben einen Einbruch des Flugverkehrs von derzeit 60 Prozent, von März bis Mai hatten wir 90 Prozent Minus. Im Durchschnitt überfliegen den Himmel in Österreich 3.000 bis 4.000 Flüge am Tag – vor der Krise. Jetzt haben wir 1.300 Flüge. Erholt sich der Flugverkehr weiter, halten wir bei 100 Millionen Euro. Wenn nicht, rechnen wir mit 140 bis 150 Millionen.
Wie’s weiter geht, weiß derzeit aber niemand.
Das ist das große Problem. Wir hanteln uns von Prognose zu Prognose. Wir reden jetzt nur von 2020, es ist nicht zu erwarten, dass die Flugzeuge 2021 und 2022 voll sein werden. Das Niveau von 2019 dürfte nicht vor 2023 erreicht werden.
Wie’s aussieht, haben Sie dringenden Handlungsbedarf.
Um die Umsatzeinbrüche bis 2022 zu kompensieren, haben wir einen Einsparungsbedarf von insgesamt 260 Millionen Euro. Das entspricht in etwa dem Aufwand eines ganzen Jahres. Das können wir nicht im Vorbeigehen bewältigen, wir brauchen ein Sanierungsprogramm. Wir haben auch den Auftrag des Eigentümers (Klimaschutzministerium) und des Aufsichtsrates, Maßnahmen zu definieren, wie wir uns stabilisieren und die 260 Millionen zurückholen können.
Kurzarbeit haben Sie schon.
Das hatten wir als Sofortmaßnahme unmittelbar veranlasst. Jetzt geht es um nachhaltige Maßnahmen, um unsere Kostenstruktur. Wir sind eine Expertenorganisation, unser wichtigster Wert sind unsere rund 1.000 Mitarbeiter – die Lotsen, Techniker, Meteorologen. Die Kehrseite davon ist, dass 70 Prozent unserer Kosten die Mitarbeiter betreffen.
Wie grausam wird das Sparpaket für die Belegschaft? Wir werden nicht umhinkommen, unsere Personalkosten zu reduzieren. Die große Herausforderung ist, dies möglichst sozial verträglich zu gestalten. Also auf den Schultern von möglichst vielen zu verteilen, damit die Einschnitte für jeden einzelnen möglichst gering ausfallen. Unser Ziel ist, die Arbeitsplätze zu sichern und unsere exzellente Expertise im Haus zu halten.
Weil es irgendwann wieder bergauf geht und die Austro Control immer zu wenig Lotsen hatte?
Genau. Wir müssen maßvoll sanieren und nicht mit Brachialgewalt. Wir dürfen das Unternehmen nicht kaputt sparen.
Wie wollen Sie dieses Kunststück zustande bringen?
Wir erstrecken das Sanierungsprogramm auf 5 bis 10 Jahre. So reduzieren wir die Kosten jedes Jahr um 10 bis 15 Prozent. Wir kürzen natürlich auch die Sachkosten, aber der große Brocken sind die Personalkosten.
Also müssen die Mitarbeiter mit 15 Prozent weniger Gehalt rechnen?
Nicht unbedingt. Wir haben einen Polster von 800 Millionen Euro an Rückstellungen für Pensionen, Frühpensionen, Abfertigungen und Jubiläumsgeldern. Wenn wir den Mix schaffen aus Reduktion des Sozialkapitals, Einfrieren der Pensionen und Nulllohnrunden, dann kommt schon was zusammen. Die Mitarbeiter würden keine Inflationsanpassung und keine Verkehrsbelastungszulage bekommen, auf die Pensionen wären die Auswirkungen marginal. Dazu brauchen wir aber die Sozialpartner, die Gewerkschaften Vida und die GPF (Post- und Fernmeldebedienstete).
Die Gewerkschaften sind in der Austro Control traditionell stark verankert. Wie laufen die Gespräche?
Wir sind noch am Anfang und gerade dabei, den Ernst der Lage zu vermitteln: Dass wir nicht warten können, sonst wird uns der Wirtschaftsprüfer fragen, wie wir uns den Fortbestand bei solchen Verlusten vorstellen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit Vida und GPF an einem Strangziehen. Das Gesprächsklima ist konstruktiv, aber sehr herausfordernd.
Was, wenn die Gewerkschaften nicht mitgehen?
Ich bin überzeugt, dass etwas Gemeinsames gelingt.
Was wäre der Worst-Case?
Aus heutiger Sicht können wir nichts ausschließen und gehen ohne Tabus und Denkblockaden an die Sanierung heran. Unser Problem ist, dass wir zu viele Altlasten und Altverträge haben. Wenn wir diese an ein marktübliches Niveau heranführen, hat das Unternehmen viel gewonnen.
Der Rechnungshof schlägt einen Pensionssicherungsbeitrag vor. Sollten die Pensionisten nicht auch etwas beitragen?
Wie gesagt, es darf keine Tabus geben. Aber diese konkrete Frage wäre wohl nicht ohne den Gesetzgeber lösbar.
Der Rechnungshof hat wiederholt die Aufhebung des
Zwei-Klassen-Systems gefordert. Werden Sie den üppigen Kollektivvertrag 1 an den moderateren KV 2 anpassen?
Ganz geht das nicht. KV1 und KV2 wird es immer geben. Wir wollen einen neuen KV entwickeln. Der gilt für die Mitarbeiter, die neu eingestellt werden.
Das dauert doch 30 Jahre, bis alle im neuen KV sind.
Genau deswegen brauchen wir maßvolle Einschnitte in die bestehenden Verträge. Je öfter wir dabei ein kategorisches Nein hören, desto weniger Spielraum bleibt und desto drastischer werden die Maßnahmen.
Sie haben doch viel weniger Flugverkehr, warum stellen Sie neue Lotsen ein?
Wir treiben die Ausbildung weiter voran. Die derzeitigen Überkapazitäten gehen in die Ausbildung.
Ist die Austro Control insolvenzgefährdet?
Derzeit nicht, wir sind liquide und können uns über die Bundesfinanzierungsagentur
sehr günstig und flexibel mit Krediten finanzieren. Außerdem haben wir Wertpapiere, die wir maßvoll veräußern können.
Staatshilfe?
Die Kurzarbeit läuft Ende Juli aus. Wir nehmen noch die KÖSt-Stundung in Anspruch, das ist alles. Wenn wir uns aus eigener Kraft sanieren, können wir unsere Unabhängigkeit erhalten und bekommen keine Auflagen so wie die AUA.
Werden die Gebühren für die Airlines erhöht?
Die Gebühren sind stark reguliert, das wird auf EUEbene entschieden. Derzeit wird intensiv verhandelt, welchen Anteil die Airlines an den Verlusten der Flugsicherungen tragen sollen. Ich rechne mit einem Ergebnis erst in einem dreiviertel Jahr.
Aber die Airlines haben doch selbst Riesenprobleme.
Darum können wir nicht darauf vertrauen, dass die Airlines alles kompensieren werden, sondern müssen uns aus eigener Kraft helfen.