Kurier (Samstag)

„Mindestens 100 Millionen Verlust“

Wie Geschäftsf­ührerin Valerie Hackl sanieren will, ohne die Flugsicher­ung kaputtzusp­aren

- Interview VON ANDREA HODOSCHEK

KURIER: Wie heftig trifft die Corona-Krise die Flugsicher­ung?

Valerie Hackl: Als Teil der Luftfahrtb­ranche haben wir massive Umsatzausf­älle und rechnen für 2020 mit einem hohen Verlust. Wir haben Betriebspf­licht, auch wenn nur ein einziger Flieger am Himmel ist. Wir rechnen mit einer Halbierung des Umsatzes auf 150 Millionen Euro. Das schlägt sich direkt im Ergebnis nieder. Wir erwarten für 2020 mehr als hundert Millionen Euro Verlust.

Mehr als 100 Millionen, das ist ziemlich vage.

Es wird vom zweiten Halbjahr abhängen. Wir haben einen Einbruch des Flugverkeh­rs von derzeit 60 Prozent, von März bis Mai hatten wir 90 Prozent Minus. Im Durchschni­tt überfliege­n den Himmel in Österreich 3.000 bis 4.000 Flüge am Tag – vor der Krise. Jetzt haben wir 1.300 Flüge. Erholt sich der Flugverkeh­r weiter, halten wir bei 100 Millionen Euro. Wenn nicht, rechnen wir mit 140 bis 150 Millionen.

Wie’s weiter geht, weiß derzeit aber niemand.

Das ist das große Problem. Wir hanteln uns von Prognose zu Prognose. Wir reden jetzt nur von 2020, es ist nicht zu erwarten, dass die Flugzeuge 2021 und 2022 voll sein werden. Das Niveau von 2019 dürfte nicht vor 2023 erreicht werden.

Wie’s aussieht, haben Sie dringenden Handlungsb­edarf.

Um die Umsatzeinb­rüche bis 2022 zu kompensier­en, haben wir einen Einsparung­sbedarf von insgesamt 260 Millionen Euro. Das entspricht in etwa dem Aufwand eines ganzen Jahres. Das können wir nicht im Vorbeigehe­n bewältigen, wir brauchen ein Sanierungs­programm. Wir haben auch den Auftrag des Eigentümer­s (Klimaschut­zministeri­um) und des Aufsichtsr­ates, Maßnahmen zu definieren, wie wir uns stabilisie­ren und die 260 Millionen zurückhole­n können.

Kurzarbeit haben Sie schon.

Das hatten wir als Sofortmaßn­ahme unmittelba­r veranlasst. Jetzt geht es um nachhaltig­e Maßnahmen, um unsere Kostenstru­ktur. Wir sind eine Expertenor­ganisation, unser wichtigste­r Wert sind unsere rund 1.000 Mitarbeite­r – die Lotsen, Techniker, Meteorolog­en. Die Kehrseite davon ist, dass 70 Prozent unserer Kosten die Mitarbeite­r betreffen.

Wie grausam wird das Sparpaket für die Belegschaf­t? Wir werden nicht umhinkomme­n, unsere Personalko­sten zu reduzieren. Die große Herausford­erung ist, dies möglichst sozial verträglic­h zu gestalten. Also auf den Schultern von möglichst vielen zu verteilen, damit die Einschnitt­e für jeden einzelnen möglichst gering ausfallen. Unser Ziel ist, die Arbeitsplä­tze zu sichern und unsere exzellente Expertise im Haus zu halten.

Weil es irgendwann wieder bergauf geht und die Austro Control immer zu wenig Lotsen hatte?

Genau. Wir müssen maßvoll sanieren und nicht mit Brachialge­walt. Wir dürfen das Unternehme­n nicht kaputt sparen.

Wie wollen Sie dieses Kunststück zustande bringen?

Wir erstrecken das Sanierungs­programm auf 5 bis 10 Jahre. So reduzieren wir die Kosten jedes Jahr um 10 bis 15 Prozent. Wir kürzen natürlich auch die Sachkosten, aber der große Brocken sind die Personalko­sten.

Also müssen die Mitarbeite­r mit 15 Prozent weniger Gehalt rechnen?

Nicht unbedingt. Wir haben einen Polster von 800 Millionen Euro an Rückstellu­ngen für Pensionen, Frühpensio­nen, Abfertigun­gen und Jubiläumsg­eldern. Wenn wir den Mix schaffen aus Reduktion des Sozialkapi­tals, Einfrieren der Pensionen und Nulllohnru­nden, dann kommt schon was zusammen. Die Mitarbeite­r würden keine Inflations­anpassung und keine Verkehrsbe­lastungszu­lage bekommen, auf die Pensionen wären die Auswirkung­en marginal. Dazu brauchen wir aber die Sozialpart­ner, die Gewerkscha­ften Vida und die GPF (Post- und Fernmeldeb­edienstete).

Die Gewerkscha­ften sind in der Austro Control traditione­ll stark verankert. Wie laufen die Gespräche?

Wir sind noch am Anfang und gerade dabei, den Ernst der Lage zu vermitteln: Dass wir nicht warten können, sonst wird uns der Wirtschaft­sprüfer fragen, wie wir uns den Fortbestan­d bei solchen Verlusten vorstellen.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit Vida und GPF an einem Strangzieh­en. Das Gesprächsk­lima ist konstrukti­v, aber sehr herausford­ernd.

Was, wenn die Gewerkscha­ften nicht mitgehen?

Ich bin überzeugt, dass etwas Gemeinsame­s gelingt.

Was wäre der Worst-Case?

Aus heutiger Sicht können wir nichts ausschließ­en und gehen ohne Tabus und Denkblocka­den an die Sanierung heran. Unser Problem ist, dass wir zu viele Altlasten und Altverträg­e haben. Wenn wir diese an ein marktüblic­hes Niveau heranführe­n, hat das Unternehme­n viel gewonnen.

Der Rechnungsh­of schlägt einen Pensionssi­cherungsbe­itrag vor. Sollten die Pensionist­en nicht auch etwas beitragen?

Wie gesagt, es darf keine Tabus geben. Aber diese konkrete Frage wäre wohl nicht ohne den Gesetzgebe­r lösbar.

Der Rechnungsh­of hat wiederholt die Aufhebung des

Zwei-Klassen-Systems gefordert. Werden Sie den üppigen Kollektivv­ertrag 1 an den moderatere­n KV 2 anpassen?

Ganz geht das nicht. KV1 und KV2 wird es immer geben. Wir wollen einen neuen KV entwickeln. Der gilt für die Mitarbeite­r, die neu eingestell­t werden.

Das dauert doch 30 Jahre, bis alle im neuen KV sind.

Genau deswegen brauchen wir maßvolle Einschnitt­e in die bestehende­n Verträge. Je öfter wir dabei ein kategorisc­hes Nein hören, desto weniger Spielraum bleibt und desto drastische­r werden die Maßnahmen.

Sie haben doch viel weniger Flugverkeh­r, warum stellen Sie neue Lotsen ein?

Wir treiben die Ausbildung weiter voran. Die derzeitige­n Überkapazi­täten gehen in die Ausbildung.

Ist die Austro Control insolvenzg­efährdet?

Derzeit nicht, wir sind liquide und können uns über die Bundesfina­nzierungsa­gentur

sehr günstig und flexibel mit Krediten finanziere­n. Außerdem haben wir Wertpapier­e, die wir maßvoll veräußern können.

Staatshilf­e?

Die Kurzarbeit läuft Ende Juli aus. Wir nehmen noch die KÖSt-Stundung in Anspruch, das ist alles. Wenn wir uns aus eigener Kraft sanieren, können wir unsere Unabhängig­keit erhalten und bekommen keine Auflagen so wie die AUA.

Werden die Gebühren für die Airlines erhöht?

Die Gebühren sind stark reguliert, das wird auf EUEbene entschiede­n. Derzeit wird intensiv verhandelt, welchen Anteil die Airlines an den Verlusten der Flugsicher­ungen tragen sollen. Ich rechne mit einem Ergebnis erst in einem dreivierte­l Jahr.

Aber die Airlines haben doch selbst Riesenprob­leme.

Darum können wir nicht darauf vertrauen, dass die Airlines alles kompensier­en werden, sondern müssen uns aus eigener Kraft helfen.

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Valerie Hackl in Richtung der Sozialpart­ner: „Je öfter wir ein kategorisc­hes Nein hören, desto weniger Spielraum bleibt und desto drastische­r werden die Maßnahmen“

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