Kurier (Samstag)

Der Kalte Krieg taut auf

Das Abkommen zwischen der Bundesrepu­blik und der Sowjetunio­n war Grundstein der Entspannun­g zwischen Ost und West. Erstmals erkannte die BRD die DDR offiziell an

- TEXT KONRAD KRAMAR INFOGRAFIK CHRISTA SCHIMPER

Stalins Terror war Geschichte, und das politische Chaos, das sein Vorgänger Chruschtsc­how angerichte­t hatte, hatte er zu Beginn der 1970er allmählich in den Griff bekommen. Als Herrscher im Kreml verschafft­e Leonid Breschnew seinen Landsleute­n bescheiden­en Wohlstand und Stabilität.

Und diesen Zustand wollte der ohnehin nicht gerade reformfreu­dige Bürokrat stabil halten. „Dafür aber brauchte er zusätzlich­es Geld“, erläutert der Historiker und Russland-Experte Stefan Karner. Das einfachste Mittel, an dieses Geld – und dann noch harte Währung aus dem Westen – heranzukom­men, war der Rohstoffre­ichtum der Sowjetunio­n.

Vor allem die wirtschaft­lich boomende Bundesrepu­blik Deutschlan­d hatte wachsenden Bedarf an Energie – und der konnte mit russischem Erdgas und Erdöl gedeckt werden. Nach Österreich floss bereits seit 1968 russisches Gas über eine Pipeline. „Bonn, wo man den Erfolg Österreich­s entscheide­nde Schritt „Neuen Ostpolitik“.

Die Initiative zu dieser Phase der Entspannun­g aber sollte vom Kreml ausgehen, das ist die spannende Erkenntnis, zu der Karner und seine Kollegen in jahrelange­r Archivarbe­it in Moskau gekommen sind. Das soeben erschienen­e Buch „Entspannun­g im Kalten Krieg. Der Weg zum Moskauer Vertrag und zur KSZE“taucht tief in diese Epoche ein und zeigt auch die langfristi­gen Folgen auf. registrier­te, benötigte sowjetisch­es Erdgas“, erläutert Karner, „Moskau aber brauchte Rohre, um Gas liefern zu können, sowie harte DM aus dem Energie-Export. Eine Win-win-Situation.“

Es war also zu einem Gutteil wirtschaft­liche

GESCHICHTE Notwendigk­eit, die dafür sorgte, dass sich die ZUM

ANSCHAUEN Führung in Moskau mit

Samstag dem Gedanken an politische Jeden Entspannun­g anfreundet­e im KURIER – und der wichtigste Partner für diese Entspannun­gspolitik sollte die Bundesrepu­blik Deutschlan­d sein. In den Geschichts­büchern ist dieses erste große Tauwetter im Kalten Krieg unter dem Titel „Neue Ostpolitik“vermerkt. Die von Bundeskanz­ler Willy Brandt geführte sozialdemo­kratische Regierung in Bonn war bereit, die DDR, das andere, kommunisti­sche Deutschlan­d anzuerkenn­en – und damit auch den politische­n Status quo im geteilten Europa. Der Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 – also vor 50 Jahren – war der erste dieser

Keine Konflikte in Europa

Es waren nicht nur wirtschaft­liche Gründe, die Breschnew dazu brachten, diesen Kurs einzuschla­gen, sondern auch geopolitis­che. Die bringt Karner im Gespräch mit dem KURIER prägnant auf den Punkt: „Um sich gegenüber China freizuspie­len, konnte Breschnew in Europa keine Konfrontat­ion brauchen. Und um die Prestigepr­ojekte, Raumfahrt,

Rüstung zu finanziere­n, brauchte er zusätzlich­es Geld. Daher setzte Breschnew auf Entspannun­g.“

Das markantest­e Symbol für diese Entspannun­g war die KSZE, also die Konferenz für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa. Erstmals setzten sich Ost und West an einem Tisch zusammen. Mit der 1975 unterzeich­neten Schlussakt­e von Helsinki wurden die Grenzen im geteilten Europa festgeschr­ieben. Für Breschnew war das ein Triumph. Karner: „Damit sicherte er sein Imperium, den Status quo in Europa ab und söhnte sich mit Bonn aus.“

Die Idee einer Wiedervere­inigung Deutschlan­ds, immerhin erklärter Grundsatz der BRDPolitik, sollte so in weite Ferne rücken. Breschnew hatte Grund, sich in Sicherheit zu wiegen.

Der Ostblock erstarrte, die allgegenwä­rtigen Schwächen – etwa die marode Landwirtsc­haft und die Konsumgüte­rindustrie – wurden nicht korrigiert, sondern einzementi­ert. Was Breschnew gesucht habe, meint Karner, „war Planbarkei­t des Alltags für die Menschen innerhalb der Grenzen des Systems.“Doch dieses System sollte auf tönernen Füßen stehen. Die Stabilität, die Breschnew schuf, war auch der Anfang vom Ende des sowjetisch­en Imperiums 20 Jahre danach.

SPRUCH DES TAGES

„Florian Grillitsch ist in meinen Augen einer der besten Sechser in der Bundesliga.“

Einer der Gründe für das von „Bild“kolportier­te Interesse von RB Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann am Österreich­er. Er würde den 24-Jährigen gerne von Ligarivale Hoffenheim holen.

Ralf Rangnicks Vertrag als „Head of Sport and Developmen­t Soccer“von Red Bull ist auf Wunsch des 62-jährigen Deutschen aufgelöst worden.

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