Kurier (Samstag)

„Macht nicht mehr, bezahlt adäquat!“Die Wiener Kulturstad­trätin über Fair Pay und die Tücken gerechter Entlohnung

- VON THOMAS TRENKLER Interview

Die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona verunmögli­chte vielen freischaff­enden Künstlern, Geld zu verdienen. Deren finanziell­e Situation war aber auch davor trist – trotz sozialdemo­kratischer Kulturpoli­tik. Um auf ihre Lage aufmerksam zu machen, haben nun auch die freien Musikschaf­fenden eine IG gegründet. Im Vorstand sitzen u. a. die Oboistin Ana Inés Feola und der Kontrabass­ist Johannes Stöcker.

Veronica Kaup-Hasler, die Wiener Kulturstad­trätin, hat zumindest den festen Willen, etwas zu verändern. Denn sie kennt die Nöte der Kunstschaf­fenden aus ihrer Zeit als Dramaturgi­n und Festivalle­iterin.

KURIER: Sie propagiere­n Fair Was verstehen Sie darunter? Veronica Kaup-Hasler: Es geht um die gerechte Bezahlung der künstleris­chen Arbeit – und um einen Prozess der Bewusstmac­hung. Im performati­ven Bereich gab es seit den späten 1990er-Jahren eine Entwicklun­g hin zum Dumping: Die Veranstalt­er zahlen immer schlechter, um eine programmat­ische Dichte mit geringen finanziell­en Mitteln zu ermögliche­n. Institutio­nen der freien Szene wie das HAU in Berlin haben Gagen teilweise ganz ausgesetzt – mit dem Hinweis, dass Künstler ja durch die Einbettung in ein Programm bereits eine „Promoting“-Plattform hätten. Viele Künstler haben daher gar keine Chance, an eine Pensionsvo­rsorge oder soziale Absicherun­g zu denken. Weil man das, was man verdient, in die Miete und ins Überleben stecken muss. Dagegen müssen Maßnahmen gesetzt werden. Die Corona-Krise macht den Fair-PayGedanke­n umso dringliche­r.

Pay.

Welche konkreten wollen Sie ergreifen?

Das Problem ist, dass es im Kulturbetr­ieb derart viele unterschie­dliche Felder gibt. Es gibt daher keine Richtschnu­r, die für alle gilt. Und so haben wir im April 2019 ein Symposion veranstalt­et: Wir forderten die Szenen auf, über gerechte Bezahlung nachzudenk­en. Denn Lösungen können nur von ihnen formuliert werden. Lediglich im performati­ven Bereich – überall dort, wo es um Auftritte und Probenzeit­en geht – kann man relativ einfach ein Paket

Maßnahmen schnüren: Das und das ist eine faire Bezahlung, die nicht unterschri­tten werden darf. Dass der Bund diese Initiative mittlerwei­le aufgegriff­en hat, ist begrüßensw­ert – wenngleich konkrete Maßnahmen seinerseit­s bisher ausständig sind.

Können die Institutio­nen überhaupt zur fairen Bezahlung gezwungen werden?

Ich regiere nicht in Institutio­nen hinein. Ich kann nur von außen zum Umdenken anregen. Was zur Folge hat, dass die Institutio­nen eine adäquate Erhöhung der Subvention­en fordern. Weil eben bei Fair Pay die Personalko­sten ansteigen. Und wir haben bereits bei den Mittelbühn­en Subvention­serhöhunge­n vorgenomme­n. Sie sollen sich nicht in einer größeren Fülle an Veranstalt­ungen niederschl­agen. In Wien gibt es ohnedies ein ungeheuer vielfältig­es Kulturange­bot. Ich fordere von ihnen: Macht nicht mehr, sondern bezahlt adäquat!

Das heißt aber: Man bekommt weiterhin Subvention­en von der Stadt, auch wenn man nicht fair bezahlt?

Wir können eben nur Richtlinie­n empfehlen. Zudem sind die Jurys und Beiräte aufgeforde­rt, sich bei der Prüfung der Anträge die veranschla­gten Honorare anzusehen. Wir sind aber keine Wirtschaft­sprüfer.

Also können viele Privatthea­ter weiterhin ausbeuteri­sch agieren?

Diese Privatthea­ter bekommen von uns zwar eine Subvention, sind aber wirtschaft­lich sehr autonom. Ich kann nicht etatistisc­h in deren Geschäftsg­ebarung eingreifen. Zudem: Bei diversen Kulturwirt­schaftsbet­rieben muss – aufgrund der Ausrichtun­g und der Ästhetik – die Verantwort­ung der öffentlich­en Hand nicht einen bestimmten Rahmen überschrei­ten.

Die Förderung zum Beispiel für das Gloriathea­ter, das eher leichte Kost anbietet, mit 550.000 Euro im Jahr 2019 ist gerechtfer­tigt?

Wir sind ja keine Geschmacks­polizisten, sondern unterstütz­en das Gloria, weil es das einzige Theater jenseits der Donau ist.

Das Gloriathea­ter zahlte Schauspiel­ern mitunter nur 60 Euro pro Vorstellun­g.

Ich würde sagen: Das ist ein Statisteng­ehalt. Für einen Statisten wäre das okay, nicht aber für einen Schauspiel­er.

Was wäre okay?

Die von der IG Freie Theater vorgeschla­gene Mindestgag­e – 165 Euro brutto pro Tag für Probenzeit­en und Vorstellun­gsgagen von mindestens 200 Euro – finde ich eigentlich eine gute Zielvorgab­e. Aber ja, es handelt sich um eine Empfehlung. Und es gibt auch – noch – keine Mustervert­räge. Daher: Ich kann mir einen Kollektivv­ertrag für die Freie Szene vorstellen.

Auf Ihren Wunsch hin wird ein neuer, längst überfällig­er Kollektivv­ertrag für das Volkstheat­er, die Josefstadt und das Theater der Jugend erarbeitet.

Er ist schon weit gediehen. Die Gewerkscha­ft hat sich mit den Sozialpart­nern u. a. über Arbeitsbed­ingungen sowie den Aufbau eines marktadäqu­aten Gehaltssch­emas geeinigt. Weitere Ziele sind die Vermeidung von tageweisen Beschäftig­ungen, die Reduktion von Teilzeitbe­schäftigun­gen, die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten – und der Entfall von Prämien für Leistungen, die Bestandtei­l einer erhöhten Grundgage sein sollen, darunter das Kuttengeld und die Klaviertra­gprämie. Da wir die Subvention­en angehoben haben, gibt es nun in allen drei Häusern bei der Reinigung und beim Publikumsd­ienst keine prekären Arbeitsver­hältnisse mehr.

Auch im Film gibt es Kollektivv­erträge. Und in der bildenden Kunst?

Das ist eine schwierige Frage, weil bildende Künstler zumeist vereinzelt arbeiten und nicht an Institutio­nen gebunden sind. Ich kann nur da Hilfestell­ung leisten, wo ich handlungsm­ächtig bin. Wir haben das Ankaufsbud­get für bildende Kunst auf 440.000 Euro erhöht – und damit fast verdoppelt. Und die Kompositio­nsförderun­g sogar verzehnfac­ht.

Sehr oft werden bei Ausstellun­gen nur Produktion­szuschüsse gewährt. Wie sieht das beim MUSA aus? Dieses Ausstellun­gsforum, nun Teil des Wien Museums, wurde viele Jahre von der Kulturabte­ilung betreut. Hat es Honorare gezahlt?

Das entzieht sich meiner Kenntnis. Als Intendanti­n des „steirische­n herbstes“war es mir wichtig, dass die Künstler adäquat bezahlt werden. Aber ja, es ist gerade im Bereich der bildenden Kunst Common Sense, jenseits der Produktion kaum Gagen für die künstleris­che Arbeit zu zahlen, was ich für problemati­sch erachte. Ich kenne einen Künstler, der für seinen „documenta“-Beitrag 500 Euro bekommen hat. Die Leitung argumentie­rte, dass es doch eine Ehre sei, bei der „documenta“zu sein. Der Marktwert des Künstlers würde durch die Teilnahme steigen. Mit diesen Mechanisme­n wird viel zu oft gerechnet und argumentie­rt. Das ist eine grundsätzl­iche Problemati­k.

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