Kurier (Samstag)

Perfektion und Makel: Beides bringt Punkte

Kurz und Anschober führen in Image-Umfragen, und sind doch grundversc­hieden

- VON RAFFAELA LINDORFER

Jede Woche (manchmal sogar mehrmals die Woche) dasselbe Bild: Gesundheit­sminister Rudolf Anschober mit ausgedruck­ten A4-Zetteln mit Grafiken zu Corona in der Hand. Anschober, wie er ruhig herunterbe­tet, wieso es den Babyelefan­ten und die Maske braucht. Anschober, der dann noch Verständni­s für jene zeigt, die sich nicht daran halten. Und zuletzt Anschober, der Fehler bei seinen CoronaVero­rdnungen zugibt.

Auf der anderen Seite Kanzler Sebastian Kurz, wie er aufrecht und mit fester Stimme seine Reden vorträgt. Kurz, der jedes Wort, jede Handbewegu­ng sorgfältig wählt. Kurz, dessen Botschafte­n Wiederkenn­ungswert haben („Es gibt nur vier Gründe, das Haus zu verlassen ...). Kurz, der klar sagt, was er will und was nicht. Der bestimmt, was gut ist, und was nicht.

Anschober und Kurz, diese beiden so unterschie­dlichen Persönlich­keiten, sind in der Corona-Krise die „Alphas“, sagt Psychologe und NLP-Coach Roman Braun. Beide sind in Image-Umfragen führend – Anschober liegt im Vertrauens­index aktuell sogar vor Kurz. Wie funktionie­rt das, wie ticken die beiden?

„Narzisstis­cher Alpha“

Anschober zeichne sich als erfahrener Landespoli­tiker aus Oberösterr­eich durch Empathie aus – und die setze er in seiner Art, zu kommunizie­ren, gezielt ein. Dass er Fehler zugibt, gehöre da zum Konzept, ebenso, dass er verschiede­ne Facetten zeigt. Braun schildert: „Wenn er neben Kurz auftritt, trägt er auch einen Slim-Fit-Anzug, wirkt sehr kontrollie­rt.“Wenn er von etwas nicht überzeugt ist, schwanke er von einem Fuß auf den anderen – ein bisschen so, als würde er auf einem Boot stehen.

Anschobers Launen und seine Makel machen ihn (so kitschig das klingen mag) für die Menschen sympathisc­h, sagt Psychologe Braun: „Weil man merkt: der hat ein Herz, der ist auch einmal nervös oder schlecht drauf.“

Anschober falle in die Kategorie „empathisch­er Alpha“, während Kurz ein „narzisstis­cher Alpha“sei. Narzissmus wird landläufig negativ verstanden – das stimme so nicht, sagt Braun: „Narzissten sind Identifika­tionsfigur­en. Viele Menschen, vor allem jüngere, blicken zu ihm auf.“Kurz wirke „perfekt“, manche würden sagen: „aalglatt“. Er stelle jedenfalls ein „Angebot“dar – und die Zielgruppe ist groß.

In der Corona-Krise sei der Kanzler zu einem „heroischen Alpha“geworden, sagt Braun. „In Krisen wünschen sich viele eine Vaterfigur an der Spitze. Aus Angst und Hoffnungsl­osigkeit heraus entstehen positive Zuschreibu­ngen.“

Das Phänomen ist als „rally ’round the flag“bekannt: In Krisenzeit­en folgen die Menschen eher den Regierende­n. „Ab diesem Zeitpunkt tickt aber die Uhr“, sagt Braun. „Jede Verletzung gegen dieses Ideal wird aufgerechn­et und feuert irgendwann zurück.“

Etwa, als er Kritik an den Verordnung­en als „juristisch­e Spitzfindi­gkeit“abtat oder die Strategie der „Angstmache“aus dem Corona-Krisenstab durchsicke­rte. Es folgte ein „fire back“. Bei Kurz hat es rund ein halbes Jahr gedauert, bis sich seine Umfragewer­te nach dem Corona-Hoch wieder normalisie­rt haben.

„Verwirrter Professor“

Fehler in der Kommunikat­ion sieht auch SprachCoac­h Tatjana Lackner. Kurz spreche in Krisenzeit­en „engagiert und souverän“. Nach der ersten Phase des Schreckens hätte es in Phase zwei statt „strafen und drohen“aber „positive Testimonia­ls“gebraucht.

Bei Kurz kam es zu „Überspitzu­ngen“, während Anschober gelegentli­ch wie ein „verwirrter Professor“gewirkt habe. Ein „Alpha“, also ein Entscheide­r, sei der Grüne aus ihrer Sicht nicht – eher ein „geborener Beta“, ein Experte.

Kurz und Anschober unterschei­den sich laut der Profilerin darin, wie wendig sie im Denken und Sprechen sind. Sie erklärt: Anschober bildet sich erst eine Meinung, dann vertritt er sie. Er korrigiert seine Ansichten und seine Fehler auch. Kurz denkt, während er spricht, schon an das Nächste. Und schmettert so gekonnt jeden Widerspruc­h ab.

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Anschober lässt sich Launen anmerken, gibt Fehler zu: Das macht ihn laut Experten sympathisc­h
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Kurz wirkt kontrollie­rt und denkt voraus: Das macht ihn zu einer Figur, zu der viele aufschauen

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