Kurier (Samstag)

Schule – raus aus dem Krisen-Modus

Bildungsps­ychologin Christiane Spiel über Schüler, die den Anschluss verlieren könnten, und was sich in der Schule jetzt grundlegen­d ändern muss

- VON UTE BRÜHL

Es war eine eindringli­che Warnung des UN-Generalsek­retärs Antonio Guterres: „Wir stehen vor einer Katastroph­e für eine ganze Generation, wenn Kindern der normale Schulbetri­eb verwehrt bleibt.“Doch Corona wird dafür sorgen, dass auch in Österreich nichts normal sein wird. Es wird zwar einen Schulallta­g geben – doch der wird anders aussehen.

Wie Lernen unter Corona-Bedingunge­n bisher funktionie­rt hat und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, haben Christiane Spiel und ihr Team untersucht. Spiels Wunsch an die Politik: „Wir dürfen die Kinder nicht aus dem Fokus verlieren, denn ihre Bildung ist die Basis unseres zukünftige­n Wohlstande­s.“ vermittelt wurden, aber jetzt wichtig sind. „Allerdings nicht nur jetzt – diese Fähigkeite­n sind Voraussetz­ung fürs lebenslang­e Lernen.“

Genauso wichtig sind die digitalen Kompetenze­n. „Hier hat es sicher bei vielen Schülern und Lehrern einen Entwicklun­gsschub gegeben“, berichtet Spiel aus der Studie, aber nicht bei allen. Wobei digitale Kompetenz mehr bedeutet als den richtigen Umgang mit Programmen und Handy: „Wichtig ist auch, dass Schüler erkennen können, welche Quellen glaubwürdi­g sind, wo die Gefahren von sozialen Medien liegen, oder wie Algorithme­n funktionie­ren – so kann man Informatio­nen richtig einordnen.“

Abgehängt

Ein besonderes Augenmerk sollten Schule und Politik jetzt auf Kinder

Die Redakteuri­n Ute Brühl berichtet seit vielen Jahren für den KURIER über die Errungensc­haften und auch die Defizite im österreich­ischen Bildungssy­stem. Selbst jene, die bei ihr weniger gut wegkommen, gestehen ihr zu, dass sie sich immer um Fairness bemüht. Nebenbei hat die Redakteuri­n unzählige besorgte Eltern und ihre Kinder sehr gut beraten

Die Story

Heute zeigt Brühl auf, wie man in der Corona-Krise Schüler fördern kann – ganz besonders die, die jetzt den Anschluss verlieren könnten

aus jenen Familien legen, in denen das Geld knapp ist und Bildung eine untergeord­nete Rolle spielt. Denn sie könnten zu völligen Schulversa­gern werden, was langfristi­g für sie selbst und für die Gesellscha­ft eine Katastroph­e wäre: „Für diese Schüler ist die Schule besonders wichtig, auch weil für sie die Lehrkraft oft eine wichtige Bezugspers­on sowie ein Vorbild ist – die Eltern fallen hier oft aus. Diese Schülerinn­en müssen sich langsam wieder an das Lernen gewöhnen – das geht nicht von heute auf morgen“, sagt Spiel.

Und sie hat Vorschläge, wie man diese Kinder unterstütz­en kann. So könnten z. B. „Buddys“helfen – also gleichaltr­ige oder ältere Schüler, und damit die Lehrperson­en etwas entlasten. Natürlich gebe es Standorte, an denen mehr Kinder Hilfe brauchen als geben können. Die Lösung:

„Partnersch­aften mit anderen Schulen. Die Bildungsdi­rektionen sollten dabei unterstütz­en, dass sich Schulen über einen längeren Zeitraum vernetzen.“

Von so einem System würden alle profitiere­n, auch die Buddys: „Sie lernen Solidaritä­t und stärken ihr Selbstvert­rauen, weil sie sich als jemanden erleben, der andern helfen und etwas beibringen kann.“Ohne Begleitung geht das nicht: „Buddys müssen immer wissen, an welchen Lehrer sie sich wenden können, wenn sie Fragen haben oder Hilfe benötigen.“Auch NGOs und Bildungsne­tzwerke können und sollten unterstütz­en. Wichtig wird dabei die Koordinati­on der Hilfe sein. Längerfris­tig braucht es mehr Schulsozia­larbeit und Schulpsych­ologie. Sie fehlen schon lange.

Das Geheimnis des Erfolgs

Kinder lernen übrigens dort besonders gut, wo sie sich wohlfühlen. Wie man das schafft? „Jetzt in der Corona-Krise müssen vor allem zwei psychologi­sche Grundbedür­fnisse befriedigt werden.“Erstens: „Kinder müssen sich sozial eingebunde­n fühlen.“Wie sehr die Mitschüler und auch die Lehrperson­en fehlen, haben die Schüler besonders stark erlebt. Ihnen wurde bewusst, wie sehr sie Teil einer Gemeinscha­ft sind und wie wichtig ihre Beziehunge­n sind, dies zeigen die Ergebnisse der Studie.

Zweitens: „Kinder müssen sich als kompetent erleben können: Dazu benötigen sie Aufgaben, die bewältigba­r sind. Wo Kinder fast sechs Monate nicht erreichbar waren, heißt das, dass Lehrer erst einmal ihre Anforderun­gen heruntersc­hrauben müssen“, ist die Psychologi­n überzeugt. Denn wenn die Aufgabe nicht schaffbar ist, verliert das Kind den Mut und fängt mit dem Lernen erst gar nicht an. „Ein schneller Lernerfolg ist da wichtiger als eine schwierige Aufgabe“, erläutert Spiel. Natürlich muss man Kinder auch motivieren, indem man sie zum Beispiel an frühere Erfolge erinnert. Das kann sogar ein Computersp­iel sein. Der Rat an Lehrkräfte: „Fragen Sie den Schüler, wie er es geschafft hat, einen Level nach dem anderen zu knacken – mit Ausdauer und Fleiß. Genau so lernt man für die Schule. Wird ihm das bewusst, schafft das Selbstvert­rauen.“

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