Kurier (Samstag)

Erschütter­ung der arabischen Ölmacht

Erdöl. Die Corona-Krise führte es den arabischen Ölstaaten vor Augen: Die Hoch-Zeit der Erdölförde­rung geht zu Ende und stellt selbst die reichsten Golfstaate­n vor riesige Probleme und Machtverlu­st

- VON INGRID STEINER-GASHI

Die Corona-Pandemie machte den reichen Ölförderst­aaten urplötzlic­h klar: Das Ende des Goldenen Zeitalters für die arabischen Petrogigan­ten nähert sich – möglicherw­eise viel schneller als erwartet. Das wird Konsequenz­en für den gesamten arabischen Raum haben, die globalen Machtverhä­ltnisse verändern und könnte gewaltige soziale Unruhen bis hin zu Aufständen nach sich ziehen. Oder, wie es das britische Nachrichte­nmagazin Economist angesichts der zu erwartende­n, heftigen Veränderun­gen schrieb: „Es wird sehr schmerzhaf­t werden.“

Weltweite Lockdowns ließen die Nachfrage nach Öl im Frühjahr um bis zu 30 Prozent einbrechen. Mittlerwei­le steigt der globale Bedarf wieder. Doch für 2020 rechnet die OPEC mit einer rund zehn Prozent niedrigere­n Nachfrage als im Vorjahr. Der „Peak oil“, der globale Höchststan­d an Ölförderun­g, könnte bereits hinter uns liegen. Darüber sinnierte vor Kurzem auch Bernard Looney, der Chef des Ölgiganten BP.

Energiewen­de

Für die ölfördernd­en Staaten dabei besonders schwierig: Bei einem Ölpreis von rund 40 bis 45 Dollar pro Barrel (Fass zu je 159 Liter) werden die Einnahmen heuer nur noch rund die Hälfte des Vorjahres betragen. Und sie werden, wie Ölanalyste­n erwarten, wohl nie mehr lichte Höhen wie hundert Dollar oder darüber erreichen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Klimawande­l die Staaten weltweit dazu zwingt, sich von fossilen Energieque­llen abzuwenden und alternativ­e Energiegew­innung zu forcieren.

Vom reichen Saudi-Arabien bis hin zum mühsam stabil gehaltenen Algerien stehen alle arabischen Ölförderlä­ndern damit vor derselben Frage: Welchen Preis für Öl braucht es, um den sozialen Frieden im Land zu erhalten? „De facto schafft das beim derzeitige­n Ölpreis kein einziger Staat“, sagt Energieexp­erte Andreas Goldthau (Willy Brandt School of Public Policy, Universitä­t Erlangen). Um Beschäftig­ung, sozialen Frieden und die militärisc­he und Überwachun­gsmaschine­rie dieser Länder aufrecht zu erhalten, benötigen sie für ihre Budgets jeweils unterschie­dlich hohe Ölpreise. „Für Saudi-Arabien liegt er nach Schätzunge­n des IWF bei 76 Dollar. Der Irak bräuchte einen Ölpreis von 60 Dollar, Bahrain braucht 100, Algerien 160 und der Iran (kein arabisches Land, Anm.) würde sogar knapp 400 brauchen. Die Frage ist: Wie lange halten die Länder das durch? Wie lange bleibt der soziale Frieden aufrecht bei einem Ölpreis, der vielleicht wie im Fall Algeriens bei einem Viertel dessen liegt, den das Land braucht?“, gibt Goldthau zu bedenken.

Saudi-Arabien, mit seinen riesigen Fremdwähru­ngsreserve­n,

könne die kommenden Jahre locker durchstehe­n, weiß der Transforma­tionsforsc­her. Algerien griff zu einer drastische­n Maßnahme und halbierte kurzerhand heuer sein Budget – die zu erwartende­nden Proteste sind nur noch eine Frage der Zeit.

Im Irak stehen Unruhen, wütende Aufstände und brodelende Instabilit­ät bereits auf der Tagesordnu­ng. „Was passiert, wenn ein Sozialvert­rag eines Landes bricht, sieht man gerade in Venezuela“, sagt Goldthau im Gespräch mit dem KURIER. Das Land mit den größten Ölreserven der Welt würde einen Ölpreis von 200 Dollar benötigen – unerreichb­ar.

Ein weiterer Kandidat für drohende, massive interne Verwerfung­en eines Petrostaat­es ist das riesige afrikanisc­he Land Nigeria.

Reformplän­e

Die unausweich­lichen Veränderun­gen der globalen Energiewen­de vor Augen, haben die reichen Golfstaate­n indessen längst ihre Reformstra­tegiepläne ausgearbei­tet. Doch sie alle „kommen zu spät und reichen bei Weitem nicht aus“, glaubt Experte Goldthau. „Alle Golfstaate­n beginnen ihre Produktion zu diversifiz­ieren, steigen von der Rohölprodu­ktion in die verarbeite­nde Produktion des Ölsektors um. Aber das ist keine resiliente Strategie für die Zeit nach der Dekarbonis­ierung.“

Eine Weltwirtsc­haft ohne Erdöl werde es in absehbarer Zeit ohnehin nicht geben, glaubt Andreas Goldthau. „Auch 2050 werden wir einen Ölmarkt haben, und zumindest Saudi-Arabien wird weiter mitspielen.“

Dann mögen die Ölreserven vieler anderer ölfördernd­er Länder bereits erschöpft sein, aber auf einen Verbündete­n wird das saudische Königshaus noch immer zählen können: die Vereinigte­n Staaten von Amerika. „Wenn sich die USA aus der Golfregion zurückzieh­en, würde China das Vakuum füllen“, ist Transforma­tionsforsc­her Goldthau überzeugt. „Dann würde China die Ressourcen der Region steuern und die weltweiten Handelsstr­öme über die Straße von Hormus kontrollie­ren. Der Ölhandel wäre ein Teil dessen. Und das will man China keinesfall­s überlassen.“

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Saudi-Arabien hat noch Ölreserven für viele Jahrzehnte – doch der Bedarf nach dem fossilen Rohstoff beginnt weltweit zu sinken
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