Kurier (Samstag)

Die Goldgräber­stimmung unter Amerikas „Frackern“ist Geschichte

Fracking machte die USA zum weltgrößte­n Ölförderer, doch jetzt stehen viele Betriebe vor dem Ruin. Die Branche setzt auf Trump

- ANGELIKA AHRENS, NEW YORK

Folgen der Pandemie. Lois Zabrocky hat in ihrer Karriere auf hoher See schon viel gesehen. Aber als Boss von Internatio­nal Seaways, einem der größten Tankerunte­rnehmen weltweit, waren die vergangene­n Monate für sie ein Abenteuer der besonderen Art. Als Mitte April wegen der Pandemie der Ölpreis ins Bodenlose fiel, war klar, dass damit kein Geschäft zu machen ist. In den USA mussten ÖlVerkäufe­r sogar zahlen, damit ihnen jemand den Rohstoff abnimmt. Der Preis für die US-Ölsorte WTI fiel auf historisch­e Minus 37 Dollar.

Während viele Öllager fast übergingen, konnte Lois auf ihren Tankern noch immer Öl lagern: Zwei Millionen

Fass pro Schiff. Statt 40.000 blätterten die Kunden dafür 150.000 Dollar hin – pro Schiff und Tag.

Die USA sind dank Frackings weltweit zum größten Ölförderla­nd aufgestieg­en. Doch vielen „Frackern“ist das Lachen vergangen. Bei dieser umstritten­en Fördertech­nik wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalie­n in ölhaltiges Schieferge­stein gepresst. Das Gestein wird aufgespren­gt, das Öl oder Gas anschließe­nd abgepumpt.

Ob und wann Ölfirmen profitabel sind, hängt von der Gegend und vom Grund ab: „Es kommt auf die Tiefe des Reservoirs an, auf die Gesteinsfo­rmation, wie hoch die Kosten für die Bohranlage,

Wasservers­orgung und Abwasseren­tsorgung oder die lokalen Gehälter sind,“erklärt Magdalena Klemun. Die gebürtige Österreich­erin forscht am Massachuse­tts Institute of Technology. Der „break-even“liege im Schnitt bei 40 bis 50 Dollar pro Fass für Neubohrung­en.

Seit dem Absturz im April haben sich die Preise wieder auf ein Niveau von rund 40 Dollar pro Fass erholt. Aber viele Fracking-Firmen mussten dennoch um Gläubigers­chutz ansuchen, darunter der Pionier Chesapeake Energy (mit einem Schuldenst­and von neun Milliarden Dollar).

Bis vor fünf Jahren hatte in den USA Goldgräber-Stimmung geherrscht. Doch sie versiegte, als die OPEC unter

Führung Saudi-Arabiens mit einer Ölschwemme und fallenden Preise antwortete. Mehr als 40 Prozent der Mitarbeite­r der Schiefer-Energieunt­ernehmen sind damals entlassen worden.

Strudel nach unten

Neben den börsennoti­erten Ölunterneh­men gibt es in den USA Abertausen­de kleine Ölfirmen, Familienun­ternehmen mit wenigen Bohrlöcher­n, vor allem in Oklahoma, sozusagen hinten im Garten. „Es werden sicher auch regionale Banken, vor allem in Texas in den Strudel mit hineingezo­gen“, sagt Professor Willi Semmler, Ökonom an der New School in New York. „Die kleinen und mittleren

Unternehme­n werden besonders betroffen sein. Die großen haben auch andere Einnahmequ­ellen, die werden dann wieder gewinnen, wie in der letzten Krise. Präsident Trump hat angekündig­t, sie vor der Insolvenz zu retten.“

Ob die USA ihre Toppositio­n halten, hänge auch davon ab, ob US-Präsident Trump bei der Wahl gewinne oder nicht. Er werde viele neue Fördergebi­ete erlauben, um die nationale Energiever­sorgung zu sichern. Semmler: „Die Demokraten würden sicher bald umschalten auf mehr erneuerbar­e Energie und die ganzen unbeschrän­kten Abbaurecht­e wieder zurücknehm­en.“

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Tanker als Zwischenla­ger für billiges Erdöl in den USA. Im April waren die Lager überfüllt

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