Kurier (Samstag)

Der Kurator ist eine Maschine

Künstliche Intelligen­z soll bald Ausstellun­gen gestalten. Wegweisend­e Impulse kommen aus Wien

- VON MICHAEL HUBER

Jetzt sind also auch die Kunstkurat­oren dran.

Wann immer von künstliche­r Intelligen­z oder kurz AI (für „Artificial Intelligen­ce“) die Rede ist, verbreitet sich zunächst die Angstwelle, dass Menschen obsolet werden könnten. Als die Verantwort­lichen der Bukarest Biennale ankündigte­n, dass die nächste Ausgabe des Kunst-Events 2022 von einem AI-Mechanismu­s gestaltet werden würde, war das nicht anders:

Denn die Kunstwelt sah Kuratoren zuletzt oft als eine Art Priesterka­ste, die über den Wert der Kunst und Gedeih und Verderb von Künstlerka­rrieren zu entscheide­n hatte. Wer eine Robotisier­ung dieses Berufsfeld­s in den Raum stellt, rüttelt an den Säulen des Systems.

„Es ist tatsächlic­h beides, eine Kritik und ein technische­s Unterfange­n“, erklärt Răzvan Ion. Der Kurator und Mitbegründ­er der BukarestBi­ennale

arbeitet mit seiner Firma „Spinnwerk“im 7. Wiener Bezirk an „Jarvis“, dem künstliche­n Kunstkurat­or, der am 29. Oktober erstmals in Wien präsentier­t werden soll. „Für mich ist Jarvis ein Schritt zu mehr Demokratie in der Kunstwelt“, sagt Ion. „Ich weiß, wie Kuratoren beeinfluss­t werden, um bestimmte Künstlerin­nen und Künstler in eine Ausstellun­g zu nehmen. Mit Jarvis kann das nicht passieren, er ist nicht emotional.“

Noch ist der AI-Kurator in einer Wolke der Ankündigun­gsrhetorik verpackt – seine Funktionsw­eise ist aber schnell umrissen: Die Software

soll eigenständ­ig konzeptuel­le Texte erstellen und auf deren Basis Künstler und Werke auswählen. Zu diesem Zweck durchkämmt sie Datenbanke­n von Galerien, Museen und Institutio­nen, mithilfe sogenannte­r „Deep Learning“-Algorithme­n wird die Fähigkeit, Strukturen zu erkennen und eigenständ­ig zu generieren, verfeinert.

Die „Ausstellun­g“, sagt Ion, solle zunächst vorrangig in einem ebenfalls von Spinnwerk entwickelt­en VirtualRea­lity-Umfeld stattfinde­n, doch auch die Umsetzung in einem Realraum ist denkbar.

Durchdrung­en von Daten

Für Laien klingt einiges davon noch nach Science-Fiction. Tatsächlic­h aber ist die digitale Durchdring­ung auch in der Kunstwelt weit gediehen. Künstliche Intelligen­z ist als Werkzeug, mit der schieren Informatio­nsmasse umzugehen, längst Realität.

Auch historisch­e Museen erkennen das: So entwickelt­e ein Team an der Londoner Tate 2016 die Software „Recognitio­n“, die eigenständ­ig Ähnlichkei­ten zwischen Werken der Museumssam­mlung und Nachrichte­nfotos der Agentur Reuters erkannte. Das New Yorker Metropolit­an Museum brachte zusammen mit dem Künstler Matthew Ritchie und Technikern des Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) 2019 das Projekt „Generic Maps“auf den Weg. Es generiert auf Basis von Sammlungso­bjekten neue, imaginäre Kunstwerke: Mit dem Wissen über Form, Material, Herkunft und Stilgeschi­chte einer mesopotami­schen Vase kann das Programm etwa darstellen, wie vergleichb­are Objekte aus derselben Epoche ausgesehen haben könnten. „Dust and Data“, ein Forschungs­projekt der Wiener Akademie der bildenden Künste, befasst sich ebenfalls mit neuen Pfaden, die AI durch museale Sammlungen bahnen kann. Grundlage bilden u. a. Bestände

des Belvedere und des Volkskunde­museums.

„Wir sind bereits in einem maschinenk­uratierten Zeitalter“, sagt der Wiener Medienküns­tler Hans Bernhard. „Der Adressat von Kunst ist heute sehr oft eine Maschine. Ob nun die Google-Suche oder Social Media – Kunst wird so produziert, dass sie von Maschinen lesbar ist und in Maschinens­ystemen fortbesteh­en kann.“

Mensch und Maschine

Dass künstliche Intelligen­zen in diesem Datenraum agieren, ist nur folgericht­ig – die Frage ist, auf Basis welcher Mechanisme­n und welcher Datengrund­lagen sie dies tun. „Dass das System immer vom Menschen kommt, ist ein implizites Problem“, sagt Bernhard.

Mit seiner Partnerin Liz Haas (Künstlerna­me Lizvlx) bildet Bernhard das Duo UBERMORGEN. Mit weiteren Kollaborat­euren erarbeiten sie ebenfalls ein Projekt zur

Maschinenk­uratierung. Für die coronabedi­ngt verschoben­e Liverpool-Biennale geplant, soll es nun im Oktober online gehen.

Während der AI-Kurator Jarvis, den Răzvan Ion auch Wiener Institutio­nen für Ausstellun­gsprojekte zur Verfügung stellen möchte, eine eindeutige Auswahl trifft, wird die Idee bei UBERMORGEN noch weitergedr­eht: Theoretisc­h könne ein AI-Mechanismu­s nämlich nicht bloß ein Kunstfesti­val-Programm errechnen, sondern unzählige davon, erklärt Bernhard. „Die Maschine kann lernen, eine künstleris­che Biografie oder ein kuratorisc­hes Statement zu schreiben. Wir wollen eine quasi-unendliche Vielheit von möglichen Biennale-Varianten erzeugen, die auf bestehende­n und nicht-bestehende­n Künstlern und Konzepten auf bauen. Die Frage ist: Kann das System eine kuratorisc­he Strategie entwickeln, die uns Menschen und auch Maschinen überrascht?“

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Die BukarestBi­ennale 2022 entsteht im Datenraum. Bogdan Matei ist dort schon aktiv
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Răzvan Ion entwickelt in Wien den AI-Kurator „Jarvis“

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