Kurier (Samstag)

Die Sünden und die Schönheit von Amerika

In der spektakulä­ren Horrorseri­e ist Rassismus das wahre Monster – aber es gibt auch welche mit Hautschupp­en

- VON MARIETTA STEINHART

In der ersten Folge von „Lovecraft Country“werden die afroamerik­anischen Helden von einem blutrünsti­gen Monster auf einer dunklen Landstraße verfolgt – kein speichelnd­es Tier mit Tentakel, sondern ein weißer Polizist, den es juckt, drei Schwarze zu lynchen, bevor die Sonne untergeht. Die neue Horrorseri­e, die in den USA der 1950er-Jahre spielt, weiß, dass einige Monster keine Tentakel haben – und sie auch nicht unbedingt der Vergangenh­eit angehören.

„Ich bin ein 30 Jahre alter schwarzer Mann, der im Süden, in Texas, aufgewachs­en ist und vieles da hat die Mentalität rassistisc­her Ideologien“, sagt Jonathan Majors, der zuletzt in Spike Lees Kriegsdram­a „Da 5 Bloods“zu sehen war. In einem Videointer­view erzählt der charismati­sche Hauptdarst­eller dem KURIER, warum das Gefühl von Gefahr für Schwarze seit der Sklaverei keine Allegorie, sondern eine bittere Realität ist. „Als amerikanis­cher Staatsbürg­er ist es die ganze Zeit an der Oberfläche“, nickt er.

Er spielt den schüchtern­en, aber tapferen Atticus Freeman, der gerade aus dem Koreakrieg zurückgeke­hrt ist und eine Schwäche für Science Fiction hat. Er liebt es, dass die Helden Abenteuer in anderen Universen erleben, Widrigkeit­en trotzen, Monster besiegen und die Welt retten. Aber er ist sich auch schmerzlic­h dessen bewusst, dass die Helden in diesen Geschichte­n selten so aussehen wie er: „Ich habe das Gefühl, dass die Serie wirklich die Sünden und die Schönheit unseres Landes zeigt“, sagt Majors.

Retourkuts­che

Der Titel der zehnteilig­en Serie, die ab Montag auf Sky zu sehen ist, bezieht sich auf H. P. Lovecraft, den amerikanis­chen Schriftste­ller, der das Genre des „kosmischen Horrors“erfunden hat. Was aber nur wenige vielleicht wissen, ist, dass er auch das

Lynchen von Schwarzen im Süden für notwendig hielt.

„H. P. Lovecraft schrieb ein Gedicht über die Erschaffun­g von Niggers“, erzählt die Schauspiel­erin Aunjanue Ellis, die Atticus’ Tante spielt. „Er war ein Mann, der unglaublic­h rassistisc­h war … Die Paranoia und die Eindringli­nge in seinen Geschichte­n, das waren schwarze Menschen.“Die bloße Tatsache, dass die Helden und Heldinnen der Serie alle schwarz sind, ist an sich schon eine raffiniert­e Retourkuts­che. „Es würde H. P. Lovecraft verrückt machen!“, lacht die 51-jährige Schauspiel­erin.

Matt Ruff, ein weißer Autor, hat das Genre gescheit auf den Kopf gestellt und die afroamerik­anische Showrunner­in Misha Green („Undergroun­d“) hat seinen Roman aus dem Jahr 2016 für den US-Bezahlsend­er HBO adaptiert. In dieser Geschichte bekommt Atticus die Chance, ein Abenteuer zu erleben – genau wie in den Fantasy-Romanen, die er so liebt. Dabei wirken die fantastisc­hen

Monster nur halb so gefährlich wie eine platinblon­de, rassistisc­he Sekte.

Bluttriefe­nd

Nach einer makabren Odyssee auf der Suche nach Atticus’ vermisstem Vater (Michael Kenneth Williams), mit seinem Onkel (Courtney B. Vance) und einer Freundin aus Kindheitst­agen (die großartige Jurnee Smollett aus „Birds of Prey“), gibt es eine Spukhausge­schichte und eine Indiana-Jones-artige Jagd nach einem Schatz – alles eingewicke­lt in dunkle, bluttriefe­nde Sozialkrit­ik.

Jordan Peele ist ausführend­er Produzent der Serie und ähnlich wie seine großartige­n Filme „Get Out“und „Wir“verwendet „Lovecraft Country“die sehr unterhalts­amen Bausteine der Fantasie und des Horrors, um den Zuschauer in eine tiefere Geschichte zu locken.

Es fühlt sich zutiefst passend an für eine Zeit, in der Schwarze wieder auf die Straße gehen müssen, um ihr Land daran zu erinnern, dass auch ihre Leben zählen. In der eingangs erwähnten Szene werden Atticus und seine Gefährten von einem Polizisten festgenomm­en, der sie für Raubüberfä­lle verantwort­lich machen und dann für einen Fluchtvers­uch in den Rücken schießen will (dieser Plan wird zum Glück von Monstern verhindert, die die weißen Männer verschling­en).

Und irgendwie könnte man auch das fremdartig­e Virus, das in den vergangene­n Monaten in unsere Welt eingedrung­en ist, als „außerirdis­che Invasion“betrachten, sagt Aunjanue Ellis. „Wenn wir diese schwierige­n Fragen nicht gestellt hätten, wenn wir als schwarze Amerikaner eine Serie gemacht hätten, die nicht darauf hindeutet, dass wir alles niederbren­nen müssen, wäre das meiner Meinung nach in vielerlei Hinsicht unverantwo­rtlich. ‚Lovecraft Country‘ ist die richtige Art von Serie für den Moment, in dem wir leben.“

Info: „Lovecraft Country“ist in der Nacht auf Montag bei Sky abrufbar.

 ??  ?? In „Lovecraft Country“begibt sich Protagonis­t Atticus (Jonathan Majors, rechts) auf eine düstere Reise. Die US-Serie ist hierzuland­e ab Montag bei Sky abrufbar
In „Lovecraft Country“begibt sich Protagonis­t Atticus (Jonathan Majors, rechts) auf eine düstere Reise. Die US-Serie ist hierzuland­e ab Montag bei Sky abrufbar

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