Jedermann, Kultfigur
Das bedeutet auch 100 Jahre „Jedermann“. Mit Stars von Attila Hörbiger über Curd Jürgens bis Tobias Moretti Geschichten mit Geschichte
100 Jahre Salzburger Festspiele: Die Stars wie Klaus Maria Brandauer als „Jedermänner“.
Gibt es ein Geheimnis für den JahrhundertErfolg dieses Stücks, das seit 1920 mehr als eine Million Menschen nach Salzburg gelockt hat? Zur großen Weltliteratur, darin sind sich alle einig, gehört es wohl nicht, aber es zeigt all das, was unsere Seele bewegt: Reichtum, Freundschaft, Liebe, Sex, Religion und Tod.
„Was Jedermann zustößt, das ist unser Alltag“, meinte schon Festivalgründer Max Reinhardt: „Dass der reiche Mann sterben muss, dass er sein Geld verliert, seine Frau, die er liebt, dass seine Freunde ihn verlassen, seine Verwandten sich von ihm abwenden, das sind Ereignisse unseres täglichen Lebens.“
Starkult um Jedermann
Zu der Geschichte, die so vielen nahegeht, kommt die barocke Kulisse des Salzburger Domplatzes, auf dem das Stück (bei Schönwetter) aufgeführt wird, aber mehr noch als alles andere: der Starkult, der um den jeweiligen Titelhelden des Dauerbrenners betrieben wird. Die Jedermänner werden zu den großen Schauspielern des deutschen Sprachraums gezählt.
Kein Wunder, wenn man sich die Liste der Hauptdarsteller ansieht. Curd Jürgens etwa, der die Figur des Renaissancefürsten nicht gespielt, sondern gelebt hat. Er kam mit Butler und RollsHofmannsthals
Royce zu den Proben, beherrschte die Society-Spalten während der gesamten Festspielsaison und lud nach der letzten Vorstellung 200 Prominente ins Schloss Kleßheim zur Tafelrunde mit Champagner und Kaviar.
„Jedermann“wirkt zwar, als wäre er für Salzburg geschrieben worden, doch die Uraufführung fand – frei nach dem aus England stammenden mittelalterlichen Mysterienspiel „Everyman“– 1911 in Berlin statt. Max Reinhardt, der damals schon den Plan hatte, in der Mozartstadt Festspiele zu etablieren, erkannte, dass das Stück perfekt auf den Domplatz passt.
Premiere 22. August 1920
Zunächst machte der Erste Weltkrieg den Plan für Festspiele in Salzburg zunichte, doch am 22. August 1920 war’s dann soweit. Und der „Jedermann“sollte im Mittelpunkt des neuen Festivals stehen. Die Einnahmen der ersten Vorstellungen kamen Kriegsinvaliden zugute, die Schauspieler erhielten lediglich symbolische „Gagen“: Werner Krauß etwa für die Doppelrolle als Tod und als Teufel – eine Lederhose.
War der „Jedermann“vorerst nur als Auftakt der ersten Festspiele gedacht, so sorgte der gigantische Publikumszuspruch dafür, dass das Stück zum Evergreen, zum Symbol für Salzburg, wurde.
Attila Hörbiger war stolz darauf, „der letzte Jedermann
aus des Meisters Hand“zu sein. Tatsächlich führte Max Reinhardt 1935 einmal noch Regie. „Er gab mir den Rat, die Sterbeszene langsam zu spielen“, erinnerte sich Hörbiger. „Lass dir mit dem Sterben Zeit, hauch deine Seele ruhig aus.“
Die Nationalsozialisten verboten „das Machwerk des Juden Hofmannsthal in der
Regie des Juden Goldmann“(gemeint war Max Reinhardt). Nach dem Krieg waren es wieder Publikumsmagneten, die den reichen Mann spielten, und nicht minder prominent wurde seine Geliebte, die Buhlschaft, besetzt: 1974 bis 1982 mit Senta Berger, die ihre allererste Vorstellung beinahe nicht erlebt hätte.
Sie brach in der Nacht vor der Premiere mit höllischen Schmerzen zusammen, was vom Theaterarzt – der die Aufführung unbedingt retten wollte – mit Premierenfieber abgetan wurde. Glücklicherweise erkannte Senta Bergers Ehemann, der Arzt und Regisseur Michael Verhoeven, dass
seine Frau in akuter Lebensgefahr schwebte und brachte sie ins Salzburger Landeskrankenhaus, wo eine Bauchhöhlenschwangerschaft festgestellt wurde. Eine Notoperation rettete ihr Leben und Ex-Buhlschaft Christiane Hörbiger sprang für ihre Kollegin ein.
Ein Schauspieler starb
Doch die Proben – oft in sengender Hitze – forderten auch ein Todesopfer: Der 66-jährige Schauspieler Eric Pohlmann, der den dicken Vetter spielte, erlitt 1979 am Domplatz einen Herzinfarkt und starb kurz danach.
Hugo von Hofmannsthal hatte festgehalten, dass der Kern des Stückes „keiner bestimmten Zeit angehörig“sei, in späteren Inszenierungen
wurde die Handlung ins Heute verlegt und die Darsteller traten in modernen Gewändern auf.
Worüber Schauspieler und Publikum nicht immer glücklich waren. Als etwa Max Reinhardts Sohn Gottfried 1961 Regie führte, wurde ihm vorgeworfen, dass die Inszenierung nicht im Sinn seines Vaters ausgefallen wäre: Walther Reyer gab die Titelrolle in einer modisch übersteigerten Version, die Kostüme kamen aus Hollywood, die Musik war von Ernst Krenek. Nach der Generalprobe fragte Heinrich Schweiger, der den Teufel spielte und mittels eines Trampolins auf die Bühne katapultiert wurde, einen alten Billeteur – der alle Jedermänner seit den 1920er Jahren gesehen hatte – wie ihm die Vorstellung gefallen hätte. „Sehr interessant, sehr interessant“, sagte der erfahrene Kiebitz, um dann zu dem Schluss zu gelangen: „Nur der Dom stört!“
Eine Traumrolle?
Ist der Jedermann eine Traumrolle? „Eher eine Rolle für die Biografie“, meinte Helmuth Lohner, der Jedermann Anfang der 1990erJahre. „Jedenfalls ist der Jedermann die größte Belastung, die ein Schauspieler auf sich nehmen kann. Nicht nur körperlich, weil man eine ganze Vorstellung lang, ohne Unterbrechung, auf der Bühne steht. Es ist die Prominenz der Rolle, die einem fast Übermenschliches abverlangt.“
Seit 100 Jahren stirbt der Jedermann auf dem Salzburger Domplatz. Und wird wohl ewig weiterleben.