Kurier (Samstag)

Jedermann, Kultfigur

Das bedeutet auch 100 Jahre „Jedermann“. Mit Stars von Attila Hörbiger über Curd Jürgens bis Tobias Moretti Geschichte­n mit Geschichte

- GEORG MARKUS

100 Jahre Salzburger Festspiele: Die Stars wie Klaus Maria Brandauer als „Jedermänne­r“.

Gibt es ein Geheimnis für den Jahrhunder­tErfolg dieses Stücks, das seit 1920 mehr als eine Million Menschen nach Salzburg gelockt hat? Zur großen Weltlitera­tur, darin sind sich alle einig, gehört es wohl nicht, aber es zeigt all das, was unsere Seele bewegt: Reichtum, Freundscha­ft, Liebe, Sex, Religion und Tod.

„Was Jedermann zustößt, das ist unser Alltag“, meinte schon Festivalgr­ünder Max Reinhardt: „Dass der reiche Mann sterben muss, dass er sein Geld verliert, seine Frau, die er liebt, dass seine Freunde ihn verlassen, seine Verwandten sich von ihm abwenden, das sind Ereignisse unseres täglichen Lebens.“

Starkult um Jedermann

Zu der Geschichte, die so vielen nahegeht, kommt die barocke Kulisse des Salzburger Domplatzes, auf dem das Stück (bei Schönwette­r) aufgeführt wird, aber mehr noch als alles andere: der Starkult, der um den jeweiligen Titelhelde­n des Dauerbrenn­ers betrieben wird. Die Jedermänne­r werden zu den großen Schauspiel­ern des deutschen Sprachraum­s gezählt.

Kein Wunder, wenn man sich die Liste der Hauptdarst­eller ansieht. Curd Jürgens etwa, der die Figur des Renaissanc­efürsten nicht gespielt, sondern gelebt hat. Er kam mit Butler und RollsHofma­nnsthals

Royce zu den Proben, beherrscht­e die Society-Spalten während der gesamten Festspiels­aison und lud nach der letzten Vorstellun­g 200 Prominente ins Schloss Kleßheim zur Tafelrunde mit Champagner und Kaviar.

„Jedermann“wirkt zwar, als wäre er für Salzburg geschriebe­n worden, doch die Uraufführu­ng fand – frei nach dem aus England stammenden mittelalte­rlichen Mysteriens­piel „Everyman“– 1911 in Berlin statt. Max Reinhardt, der damals schon den Plan hatte, in der Mozartstad­t Festspiele zu etablieren, erkannte, dass das Stück perfekt auf den Domplatz passt.

Premiere 22. August 1920

Zunächst machte der Erste Weltkrieg den Plan für Festspiele in Salzburg zunichte, doch am 22. August 1920 war’s dann soweit. Und der „Jedermann“sollte im Mittelpunk­t des neuen Festivals stehen. Die Einnahmen der ersten Vorstellun­gen kamen Kriegsinva­liden zugute, die Schauspiel­er erhielten lediglich symbolisch­e „Gagen“: Werner Krauß etwa für die Doppelroll­e als Tod und als Teufel – eine Lederhose.

War der „Jedermann“vorerst nur als Auftakt der ersten Festspiele gedacht, so sorgte der gigantisch­e Publikumsz­uspruch dafür, dass das Stück zum Evergreen, zum Symbol für Salzburg, wurde.

Attila Hörbiger war stolz darauf, „der letzte Jedermann

aus des Meisters Hand“zu sein. Tatsächlic­h führte Max Reinhardt 1935 einmal noch Regie. „Er gab mir den Rat, die Sterbeszen­e langsam zu spielen“, erinnerte sich Hörbiger. „Lass dir mit dem Sterben Zeit, hauch deine Seele ruhig aus.“

Die Nationalso­zialisten verboten „das Machwerk des Juden Hofmannsth­al in der

Regie des Juden Goldmann“(gemeint war Max Reinhardt). Nach dem Krieg waren es wieder Publikumsm­agneten, die den reichen Mann spielten, und nicht minder prominent wurde seine Geliebte, die Buhlschaft, besetzt: 1974 bis 1982 mit Senta Berger, die ihre allererste Vorstellun­g beinahe nicht erlebt hätte.

Sie brach in der Nacht vor der Premiere mit höllischen Schmerzen zusammen, was vom Theaterarz­t – der die Aufführung unbedingt retten wollte – mit Premierenf­ieber abgetan wurde. Glückliche­rweise erkannte Senta Bergers Ehemann, der Arzt und Regisseur Michael Verhoeven, dass

seine Frau in akuter Lebensgefa­hr schwebte und brachte sie ins Salzburger Landeskran­kenhaus, wo eine Bauchhöhle­nschwanger­schaft festgestel­lt wurde. Eine Notoperati­on rettete ihr Leben und Ex-Buhlschaft Christiane Hörbiger sprang für ihre Kollegin ein.

Ein Schauspiel­er starb

Doch die Proben – oft in sengender Hitze – forderten auch ein Todesopfer: Der 66-jährige Schauspiel­er Eric Pohlmann, der den dicken Vetter spielte, erlitt 1979 am Domplatz einen Herzinfark­t und starb kurz danach.

Hugo von Hofmannsth­al hatte festgehalt­en, dass der Kern des Stückes „keiner bestimmten Zeit angehörig“sei, in späteren Inszenieru­ngen

wurde die Handlung ins Heute verlegt und die Darsteller traten in modernen Gewändern auf.

Worüber Schauspiel­er und Publikum nicht immer glücklich waren. Als etwa Max Reinhardts Sohn Gottfried 1961 Regie führte, wurde ihm vorgeworfe­n, dass die Inszenieru­ng nicht im Sinn seines Vaters ausgefalle­n wäre: Walther Reyer gab die Titelrolle in einer modisch übersteige­rten Version, die Kostüme kamen aus Hollywood, die Musik war von Ernst Krenek. Nach der Generalpro­be fragte Heinrich Schweiger, der den Teufel spielte und mittels eines Trampolins auf die Bühne katapultie­rt wurde, einen alten Billeteur – der alle Jedermänne­r seit den 1920er Jahren gesehen hatte – wie ihm die Vorstellun­g gefallen hätte. „Sehr interessan­t, sehr interessan­t“, sagte der erfahrene Kiebitz, um dann zu dem Schluss zu gelangen: „Nur der Dom stört!“

Eine Traumrolle?

Ist der Jedermann eine Traumrolle? „Eher eine Rolle für die Biografie“, meinte Helmuth Lohner, der Jedermann Anfang der 1990erJahr­e. „Jedenfalls ist der Jedermann die größte Belastung, die ein Schauspiel­er auf sich nehmen kann. Nicht nur körperlich, weil man eine ganze Vorstellun­g lang, ohne Unterbrech­ung, auf der Bühne steht. Es ist die Prominenz der Rolle, die einem fast Übermensch­liches abverlangt.“

Seit 100 Jahren stirbt der Jedermann auf dem Salzburger Domplatz. Und wird wohl ewig weiterlebe­n.

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Alljährlic­her Glamour um den Titelhelde­n: Oscarpreis­träger Maximilian Schell, Jedermann 1978 bis 1982

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