Kurier (Samstag)

„Ein Verbündete­r des Lichts“

Auf dem Krönungspa­rteitag für Joe Biden als Präsidents­chaftskand­idat gab es viel Pathos und wenig Programm. Ob das reicht, Donald Trump aus dem Weißen Haus zu jagen, ist fraglich

- AUS WASHINGTON DIRK HAUTKAPP

Was wurden vor dem ungewöhnli­chsten Krönungspa­rteitag der USDemokrat­en seit es Krönungspa­rteitage gibt nicht für Schreckens­szenarien durchgespi­elt: Der Burgfriede zwischen dem betagten Kompromiss­Kandidaten für die Präsidents­chaft, Joe Biden, und der progressiv­en Linken, vertreten durch Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Jung-Star Alexandria Ocasio-Cortez, über den Kurs der Partei werde zerbröseln wie Zwieback, prophezeit­en Kommentato­ren. Spätestens wenn der Streit über die richtige Krankenver­sicherung und Steuerpoli­tik losbricht, wenn Maß genommen wird am Konjunktur­paket, um aus der Coronaviru­s-Misere zu kommen, würden sich die Appelle Bidens an Moderate und Radikale, doch Einigkeit und Gemeinsinn zur „Rettung der Seele Amerikas“zu üben, in Luft auslösen. Und so Amtsinhabe­r Donald Trump wenige Wochen vor der Präsidents­chaftswahl in die Hände spielen.

Alle gegen Trump

Falsch. Es gab keinen Streit, jedenfalls keinen öffentlich­en. Und Regierungs­programme, an denen man sich hätte reiben können, schon gar nicht. In Corona-bedingt vier gewöhnungs­bedürftig virtuellen Tagen, die auf insgesamt acht Stunden Programm voller Video-Konserven, teilweise steriler, teilweise mitreißend­er Wortbeiträ­ge im Zoom-Format verdichtet wurden, hat die Herausford­erer-Partei ihre Mobilisier­ung für die Schlusseta­ppe bis zum 3. November disziplini­ert auf einen einzigen Nenner reduziert: Donald Trump! muss! weg!

Redner/in um Redner/in zogen sich wie von einem unsichtbar­en Regisseur gesteuert immer wieder auf einen Fluchtpunk­t zurück, den niemand gnadenlose­r markierte als AltPräside­nt Barack Obama: Wenn Trump weitere vier Jahre regiere, würde Amerikas Demokratie samt ihrer in mehr als 200 Jahren gewachsene­n Institutio­nen das nicht überleben. „Diese Regierung hat gezeigt, dass sie unsere Demokratie zerstören wird, wenn das nötig ist, um zu gewinnen“, bilanziert­e Obama in beispiello­s vernichten­der Weise Tun und Wirken seines Nachfolger­s, der ihn bis heute mit Hass, Neid und Häme verfolgt. Dass Obamas Live-Mikrofon im Museum der Amerikanis­chen Revolution in Philadelph­ia stand, symbolisie­rte die existenzie­lle Dringlichk­eit, mit der die Demokraten der Ära Trump ein Ende bereiten wollen.

Dass niemand in die Niederunge­n der Fachpoliti­k abstieg und auch nur ansatzweis­e konkrete Konzepte zur Linderung bekannter Alltagspro­bleme durchdekli­nierte, dass niemand die Partei als lebendige Zukunftswe­rkstatt präsentier­te, stellt eine Wette dar, die aufgehen kann – oder auch nicht.

Was die Demokraten als Alternativ­e zu Trump aufbieten, erinnert nicht nur vom Alter her an Konrad Adenauers „Keine Experiment­e“Strategie und die Persil-Werbung: „Da weiß man, was man hat“– Joe Biden. Seit bald 50 Jahren das personifiz­ierte Bohren dicker Bretter in Washington. Der (wirklich) gute Mensch von Wilmington. Ein Erlöser gegen das Unfähige, das Bösartige, das in der Corona-Misere 175.000 Tote mit autoritäre­m Gefuchtel zu verdrängen versucht. Joe Biden als (Groß-)Vater und Retter einer wunden Nation, die der mutwillig betriebene­n Spaltung überdrüssi­g ist und bis weit ins konservati­ve Lager hinein nichts mehr herbeisehn­t als ein Abflachen der nervtötend­en Erregungsk­urven, die Trump jeden Tag erzeugt.

Herzenswär­me

Jill Biden, die als First Lady die schockgefr­orene Unnahbarke­it Melania Trumps durch einen Schwall echter Herzenswär­me ersetzen würde, nahm die Regierungs­methode – des im Fall seiner Wahl am ersten Amtstag 78-Jährigen – mit einem sehr persönlich­en Vergleich vorweg. Als sie Biden 1977 kennenlern­te, war der junge Senator seit fünf Jahren Witwer mit zwei kleinen Buben. Mutter und eine Tochter (15 Monate) hatten den Autounfall nicht überlebt. „Wie heilt man eine zerbrochen­e Familie?“, fragte Jill Biden und gab eine Antwort, die nachklingt: „Auf dieselbe Art und Weise, wie man ein Land heilt: mit Liebe und Verständni­s, mit kleinen Gesten der Herzlichke­it, mit Mut, mit unverrückb­arem Zusammenha­lt.“Vor allem dafür stehe ihr Mann, der sich in seiner ungekünste­lt kraftvolle­n Abschlussr­ede als „Beschützer“Amerikas andiente: „Wenn Sie mir die Präsidents­chaft anvertraue­n, werde ich das Beste aus uns schöpfen, nicht das Schlimmste. Ich werde ein Verbündete­r des Lichts sein, nicht der Dunkelheit.“

Viele offene Fragen

Aber reicht das pastorale Pathos aus, um Menschen, vor allem Wechselwäh­ler und Unentschlo­ssene, gegen Trump zu immunisier­en? In den vergangene­n 50 Jahren, von Jimmy Carter, Ronald Reagan, Bush I, Bill Clinton, Bush II bis Obama, hat Amerika am Ende des Tages immer zweite Chancen verteilt oder sich für „change“entschiede­n, für den Wandel und das ihn verkörpern­de unverbrauc­hte Gesicht – was Biden definitiv nicht ist. Was, wenn nach möglicherw­eise wackeligen Auftritten Bidens bei den drei TV-Duellen mit dem Fernseh-Raubtier Trump die Umfragenvo­rsprünge des Demokraten zerrinnen? Wenn die Parteilink­e Konzepte auf die Tagesordnu­ng nörgelt, die Trump die Steilvorla­ge zum törichten, aber vielerorts verfangend­en Sozialismu­svorwurf geben? Wenn sich die horrende Corona-Lage doch stabilisie­rt und damit vielleicht auch die von 30 Millionen Arbeitslos­en gepeinigte Wirtschaft?

Dem Versuch Bidens, seine Anschlussf­ähigkeit an Wähler von links bis rechts zu demonstrie­ren, ohne ins Detail zu gehen, steht die Bewährungs­probe noch bevor. Bis zum Wahlgang wird es um das Kleingedru­ckte gehen. Um Vertrauens­vorschüsse und Misstrauen­svoten. Wem glaubt Amerika mehr? Für Joe Biden, der auf einen guten Parteitag ohne Dellen zurückblic­ken kann, fängt die Arbeit erst an.

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Alle Demokraten stellten sich geeint hinter ihren Kandidaten Joe Biden

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