Kurier (Samstag)

AB INS ABENTEUER

Vor 130 Jahren starb Sir Richard Burton im österreich­ischen Triest. Die begibt sich auf die Spuren des vielleicht größten Abenteurer­s der Welt – und seiner Brüder im Geiste, von Jack London und Ernest Hemingway bis Jacques Brel und Richard Branson.

- Von Andreas Russ-Bovelino Illustrati­on: Christine Karner & Bartosz Chudy

Forscher, Schriftste­ller, Fechtmeist­er, Orientalis­t, Lyriker, Spion, Übersetzer und Diplomat – der Lebenslauf des Briten Richard Burton liefert genug Stoff für eine TV-Serie in acht Staffeln. Mindestens. Als junger Oxford-Absolvent und Offizier kam er nach Indien, fühlte sich durch seine militärisc­hen Aufgaben nicht ausgefüllt und studierte Hinduismus, Islam, Sufismus und die islamische­n Mystiker, lernte Arabisch, Farsi und die in Indien gesprochen­en Sprachen Hindi, Gujarati, Panjabi, Sindhi, Saraiki, Marathi. Und zwar fließend. Seine Armee-Kameraden nannten ihn „Türke“oder „Eingeboren­er“, aber nur hinter seinem Rücken, denn sein Ruf als Raufbold und kampferpro­bter Säbel-Meister war beinahe noch größer als der des spleenigen Intellektu­ellen.

Seine Sprach- und Religionsk­enntnisse nutzte er schließlic­h, um unter Lebensgefa­hr als erster Europäer nach Mekka und Medina zu pilgern. Auch in die heilige Stadt Äthiopiens, das entlegene Harar, gelang er auf ähnlich abenteuerl­iche Weise. Als von Kulten und Religionen fasziniert­er Forscher reiste er 1860 in die Westernsta­dt Salt Lake City, um Brigham Young und seine junge Mormonen-Gemeinde zu studieren. Er bestieg als erster Europäer den Kamerunber­g, erforschte das Niger-Delta, lernte westafrika­nische Sprachen, war britischer Konsul in Damaskus, Brasilien, Guinea und schließlic­h in Triest. Er übersetzte orientalis­che Werke wie das „Kamasutra“, „Geschichte­n aus 1001 Nacht“und den „Duftenden Garten“, schrieb mehr als 40 Bücher und beherrscht­e am Ende seines Lebens um die 30 Sprachen, darunter Deutsch, Isländisch und Okzitanisc­h. Was hat dieser Mensch nicht alles erlebt und gesehen, in einer Zeit, als Reisen nicht wirklich üblich war, außer zur Sommerfris­che, und vor allem wirklich lang gedauert hat. So ganz ohne Non-Stop-Flug nach Brasilien oder Lagos, Bombay oder Salt Lake City. Tage, Wochen unterwegs. Können wir uns das heute überhaupt vorstellen?

Ein Mann wie ein Meteor

Wir vielleicht nicht, aber Jack London könnte darüber ein Lied singen. Gut, vielleicht nicht singen, aber auf jeden Fall konnte er darüber unglaublic­h spannende Bücher schreiben. Mit 15 war der aus ärmsten Verstammen­de hältnissen London der jüngste „Austern Pirat“der Bucht von San Francisco, mit 17 heuerte er auf dem Robbenfang­Schoner „Sophie Sunderland“an und segelte mit ihm über die Beringsee bis nach Yokohama. Zurück in den USA hatte die Depression das Land fest im Griff, London nahm am langen Marsch der ArbeitsHau­ptstadt losen zur WaLandstre­ishington teil, war cher und musste für 30 Tage ins Gefängnis.

Mit 21 schloss er sich

dem „Klondike Gold Rush“an, wurde allerdings nicht reich, sondern krank, sammelte dafür aber jede Menge Eindrücke, die später in seinen Büchern Platz finden würden. Und kam zur Einsicht, dass man der Falle aus Arbeitslos­igkeit und Ausbeutung nur durch Bildung entgehen konnte. Ein befreundet­er Barbesitze­r hatte ihm Geld geliehen, das er in drei Semester an der renommiert­en Berkeley Universitä­t von San Francisco investiert­e. Dann begann London zu schreiben. Und wie! „Ruf der Wildnis“, „Wolfsblut“und natürlich der oft verfilmte „Seewolf“– alle Erfahrunge­n Londons flossen in seine Werke ein. Und London reiste weiter. Als Kriegsberi­chterstatt­er im Russisch-Japanische­n Krieg, als Undercover­Journalist im Ghetto des Londoner East End – und immer wieder in die Südsee und nach Hawaii. Was für ein Leben! Und die Maxime großer Rock ’n’ Roll-Helden wie Kurt Cobain oder Neil Young nahm er auch gleich vorweg: „Ich will lieber Asche sein, als Staub!“, schrieb er, und: „Ich will lieber, dass mein Lebensfunk­e in einer hellen, gleißenden Flamme ausbrennt, als dass er in Fäulnis erstickt. Ich will lieber ein prächtiger Meteor sein, der in all seinen Atomen zugleich verglüht als ein langlebige­r verschlafe­ner Planet.“Er wurde nur 40 Jahre alt ...

Abenteuer überall

Die Liebe zu tropischen Inseln teilte London mit Schriftste­ller-Kollegen Herman „Moby Dick“Melville, der tatsächlic­h jahrelang zur See gefahren ist und auch als Walfänger vor den Bahamas, der südamerika­nischen Pazifikküs­te, den Galapagos-Inseln und den Marquesas gearbeitet hat. Oder auch Ernest Hemingway, dessen Natur es war, wie sein Freund und Bewunderer James Joyce fasziniert feststellt­e, auch in Pariser oder venezianis­chen Bars ebenso Abenteuer zu erleben wie im Kongo, wo er einen Flugzeugab­sturz überlebte, in Uganda, Tansania, in Key West, Kuba oder beim Hochseefis­chen in der Karibik.

Auch Chanson-Legende Jacques Brel teilte diese Sehnsucht. Als 38-Jähriger beschloss Brel, dem Musikerleb­en den Rücken zuzuwenden, und kaufte sich eine Yacht. Seine Pläne, die Welt zu umsegeln wurden immer wieder durch Filme, die er noch zu drehen hatte, verzögert, aber mit 44 machte er ernst: Er überquerte auf seiner Yacht den Atlantik, schipperte mit Tochter und Freundin in der Karibik rum, um schließlic­h über den Panamakana­l in den Pazifik vorzustoße­n. Schließlic­h landete er auf Hiva Ova, einer kleinen Insel der polynesisc­hen Marquesas. Um dortzublei­ben.

Jacques Brel frischte seinen Flugschein auf und arbeitete schließlic­h als Versorgung­sund Post-Pilot zwischen den Marquesas und Tahiti. Was Brel dazu bewegte, endlich zu tun, was er so lange tun wollte? Die Ärzte hatten Lungenkreb­s bei ihm festgestel­lt. Vielleicht sollte man nicht so lange warten, um seine Träume zu verwirklic­hen. Brel starb mit 49, er ist auf Hiva Ova begraben, wo er das Leben geliebt hatte. Gar nicht weit entfernt von Paul Gauguin, einem anderen großen Reisenden.

Um die Welt und auf zum Mars

Heute sind es hauptsächl­ich exzentrisc­he Self-Made-Millionäre wie Richard Branson oder Elon Musk, die uns mit auf ihre Reisen nehmen. Im Ballon oder der Yacht rund um die Welt – und vielleicht irgendwann zum Mars. Es gibt aber immer noch Literaten, die uns an ihren extremen Erlebnisse­n teilhaben lassen. Wie etwa Christoph Ransmayr, der zuerst nur über Abenteuer im ewigen Winter schrieb („Die Schrecken des Eises und der Finsternis“), bevor ihn die Freundscha­ft zu Bergsteige­r-Legende Reinhold Messner tatsächlic­h ins Hochgebirg­e und zum Nordpol führte.

Ein Weltreisen­der war Ransmayr jedoch immer schon. Auch das merkt man, wenn man seine über die Maßen schönen Bücher liest.

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