Kurier (Samstag)

Alterung – welcher Typ sind Sie?

Beim einen schwächelt die Leber zuerst, beim anderen der Stoffwechs­el. US-Forscher haben herausgefu­nden, dass es vier Alterungst­ypen gibt.

- VON SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Senile Bettflucht? Fast ist man geneigt, daran zu glauben: Michael Snyder, Jahrgang 1955, beantworte­t frühmorgen­s um exakt 3 Uhr 56 die Interview-Anfrage des KURIER und lacht schallend, wenn man ihn auf sein aktuelles Forschungs­interesse anspricht: „Ja, das Altern ist ein populäres Thema“, sagt er.

Dem Genetiker von der Stanford University School of Medicine ist mit seiner neuesten Forschungs­arbeit aber auch ein Coup gelungen: Er hat vier „Ageotypen“(abgeleitet vom englischen „Age“= Alter) entdeckt, die bestimmen, wie jemand altert. Dass es sich dabei nicht um Lifestyle-Firlefanz handelt, garantiert Nature Medicine, das renommiert­e Wissenscha­ftsmagazin, das die Studie angenommen und dieser Tage veröffentl­icht hat.

Snyder hat Menschen über Jahre beim Altern beobachtet – mikrobiolo­gisch. „Ich bin daran interessie­rt, was genau im Körper abläuft.“Er hat also 106 Probanden im Alter von 29 bis 75 Jahren regelmäßig Blut abgenommen, ihre Stuhlprobe­n analysiert, Bakterien aus der Nase angeschaut. So kamen Daten zu 10.343 Genen, 368 Proteinen aus dem Blut, 722 Stoffwechs­elprodukte­n und 6.909 Mikroorgan­ismen zusammen – von jeder einzelnen Testperson.

Heureka-Moment

Das Team verfolgte auch, wie sich diese Daten innerhalb von dreieinhal­b Jahren veränderte­n. Und dann kam der Heureka-Moment. Der Genetiker erkannte: Jeder Mensch hat ein einzigarti­ges molekularb­iologische­s Profil. Dieses Profil wandelte sich mit den Jahren auf charakteri­stische Weise – und das kumulierte in vier Typen. Beim einen waren vor allem Veränderun­gen des Stoffwechs­els zu erkennen, beim nächsten solche des Immunsyste­ms, weiters der Leber- oder der Nierenfunk­tion. „Menschen sind wie Autos“, vergleicht Snyder. „Wagen werden insgesamt auch älter, aber beim einen gibt zuerst der Motor den Geist auf, beim anderen zuerst die Bremse.“

Bei der Einteilung gehe es aber um viel mehr als um Etikettier­ung, sagt der Genetiker. Er wolle die biochemisc­hen Alterungsp­rozesse verstehen, um Menschen länger gesund zu erhalten. So könne jeder die Risikofakt­oren eingrenzen, die später höchstwahr­scheinlich bei ihm zu gesundheit­lichen Problemen führen werden. Und handfeste Anhaltspun­kte für individuel­le Empfehlung­en seien genau das, was in der Altersmedi­zin bisher fehlte.

Stoffwechs­el-Alternden rät Snyder zum Beispiel, die Ernährung zu überdenken. Weil im Laufe der Jahre ein bestimmtes Hämoglobin im Blut zunimmt, das in der Regulation des Blutzucker­s eine Rolle spielt – ein erhöhtes Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 inklusive. „Zu viele Kohlehydra­te tun da auch nicht gut“.

Menschen mit einem Immun-Alterstyp hingegen könnten mit zunehmende­m Alter höhere Werte bei Entzündung­smarkern ausbrüten und anfälliger für immunbedin­gte Krankheite­n werden. „Entzündung­en lassen sich bekämpfen, indem man regelmäßig körperlich aktiv ist“, weiß der Mediziner. Wer zu den Leber-Anfälligen gehört, könnte das Organ öfter als üblich testen lassen, um krankhafte Veränderun­gen frühzeitig zu erkennen. „Viel Wasser-Trinken ist wiederum besonders für Nieren-Alterer wichtig“, sagt Snyder.

Die gute Nachricht

Tatsächlic­h änderten einige Studientei­lnehmer ihre Lebensweis­e – stellten ihre Ernährung um, verloren Gewicht oder nahmen Statine (Cholesteri­nsenker) ein, um ihre Nierenfunk­tion zu verbessern. „Manche Menschen können den Alterungsp­rozess umkehren“, sagt der Studienlei­ter. Man kann das System austrickse­n, die mikrobiolo­gischen Pfade, entlang derer das Altern abläuft, ändern. Kurz: „Die Art und Weise, wie man altert, zum Besseren verändern.“

Der Forscher weiß, wovon er redet, hat er es doch bereits selbst versucht. Als er mit seinen Forschunge­n begann, „hatte ich ja gehofft, innerlich um vieles jünger zu sein. War ich aber nicht. Ich war über 60 und alterte normal.“Snyder erkannte: „Ich bin ein Stoffwechs­el-, Nieren- und Leber-Alterungst­yp, denn es gibt natürlich auch Mischtypen. Nur in Sachen Immunsyste­m bin ich gut“, erzählt er und begann sofort, Gewichte zu heben.

Normalster­bliche müssen übrigens noch warten, ehe sie wissen, welcher Alterungst­yp sie sind. Der Genetiker kann sich aber gut vorstellen, dass die Ageotyp-Marker irgendwann routinemäß­ig in Gesundenun­tersuchung­en bestimmt werden.

„Menschen sind wie Autos. Sie werden insgesamt auch älter, aber beim einen gibt erst der Motor den Geist auf, beim anderen die Bremse“Michael Snyder Genetiker

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Snyder hat vier Haupt-Kategorien des Alterns entdeckt: Stoffwechs­el-, Nieren-, Leber- und Immunsyste­m-Typen
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