Kurier (Samstag)

„Dieses Geld fällt nicht vom Himmel“

EU-Regionalko­mmissarin Elisa Ferreira über Milliarden­hilfen, Kontrolle und „verzerrte“Nettozahle­rdebatten

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

750 Milliarden Euro sollen zur Linderung der schlimmste­n Schäden der Corona-Krise in den Wiederauf bau Europas fließen. Ein großer Teil davon wird direkt an die Regionen gehen. Viele Möglichkei­ten und viel Macht liegen damit direkt in den Händen von EURegional­kommissari­n Elisa Ferreira. Die Sozialdemo­kratin aus Portugal empfing den KURIER unter strengen Corona-Sicherheit­sauflagen in ihrem Büro in Brüssel.

KURIER: Finanzmini­ster Blümel warf der Kommission jüngst vor, zu bürokratis­ch, langsam und unflexibel zu sein. Was sagen Sie dazu? Elisa Ferreira: Die Kommission hat sehr schnell gehandelt, als die Krise begann. Binnen zwei Wochen konnten Mittel umgelenkt werden, die noch verfügbar, aber eigentlich für andere Programme gedacht waren. Es gab also völlige Flexibilit­ät. Alle Staaten haben diese Gelder genutzt, um kleine und mittlere Unternehme­n zu unterstütz­en, um die Kurzarbeit und Spitäler zu finanziere­n sowie der Tourismusi­ndustrie zu helfen. In Österreich etwa wurden mit diesen Regionalfö­rdermittel­n das „Haus der Digitalisi­erung“in Tulln ermöglicht oder in Oberösterr­eich war es ein Hightech-Fonds. Ziel der EU-Regionalpo­litik ist das Funktionie­ren des Binnenmark­tes. Deshalb wollen wir Mechanisme­n schaffen, damit benachteil­igte Regionen schneller aufholen und wettbewerb­sfähiger werden.

Und wie steht es mit der Solidaritä­t der reichen Länder?

Wir haben jetzt den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufb­au-Fonds. Er geht an die Länder, die in der Corona-Krise am meisten gelitten haben. Die Regionalpo­litik umfasste bisher ein Drittel des EU-Budgets – das entspricht 0,3 Prozent der europäisch­en Wirtschaft­sleistung. Diese Diskussion – „was zahle ich ins EU-Budget rein, was bekomme ich raus“– ist verzerrt: Österreich wird in der kommenden Haushaltsp­eriode jährlich rund 3,8 Milliarden Euro einzahlen: Das entspricht 0,97 Prozent des österreich­ischen Bruttonati­onaleinkom­mens (BNE). Aber die geschätzte­n Gewinne aus dem offenen Markt werden für Österreich jährlich 35,6 Milliarden

Euro betragen (7,86 % des BNE). Der Grund, warum wir in der EU überhaupt ein gemeinsame­s Budget haben, ist der gemeinsame Markt. Das ist unser Gewinn.

Wer wird die riesigen Geldsummen kontrollie­ren, die zur Bewältigun­g der CoronaKris­e fließen werden?

Wir haben ein großes

Netzwerk an Institutio­nen, die Korruption aufspüren und bekämpfen. Laut jüngsten Zahlen wurden 0,86 Prozent der ausgeschüt­teten EU-Gelder veruntreut. Das ist immer noch zu viel, aber es ist nicht so ein Skandal, wie es Medien manchmal vermitteln.

Bei Protesten in Bulgarien forderten Demonstran­ten jüngst, die EU solle am besten gar keine Gelder mehr überweisen. Die würden ohnehin nur in den falschen Kanälen landen.

Wir arbeiten mit legitim gewählten Regierunge­n zusammen, ob man sie mag oder nicht. Es wird, befürchte ich, immer Elemente von Betrug geben. Aber man kann sie aufspüren und ahnden. Wir arbeiten mit null Toleranz. Denn es geht um das Geld der Steuerzahl­er, dieses Geld fällt nicht vom Himmel.

Wie weit ist das Vorhaben gediehen, die Ausschüttu­ng von EU-Geldern mit der Einhaltung der Rechtsstaa­tlichkeit zu verknüpfen?

Wir müssen sicherstel­len, dass Regierunge­n, die Mittel von uns erhalten, die grundlegen­den Prinzipien der EU respektier­en. Alle Vorgänge müssen transparen­t und nachvollzi­ehbar sein. Wenn es hier Probleme gibt und Prinzipien verletzt werden, können wir Zahlungen stoppen – was wir auch schon gemacht haben. Die Kommission hat Vorschläge gemacht. Aber wie die Regelung letztlich aussehen wird, steht noch nicht fest.

Ist die Tatsache, dass gegen Ungarn ein Rechtsstaa­tsverfahre­n läuft, nicht Hinweis genug, dass es hier massive Rechtsstaa­tsprobleme gibt? Ich will nicht vorgreifen, wir müssen Ende der laufenden Untersuchu­ngen und des Verfahrens abwarten.

Als früher ärmste Region Österreich­s hat das Burgenland massiv von der Regionalhi­lfe profitiert. Wird es weiter Mittel geben?

Als eines der reichsten Länder der EU könnte man annehmen, dass Österreich keine Unterstütz­ung bei seiner regionalen Entwicklun­g brauchen würde. Weil es eben stark genug ist, seine Probleme selbst zu lösen. Aber Österreich hat auch profitiert, die Ungleichhe­it zwischen den reichsten und ärmsten Regionen wurde gelindert, und wir unterstütz­en weiter die am weitesten hinten stehenden Regionen des Landes. Österreich hat bisher 14,3 Milliarden Euro an Regionalhi­lfen erhalten, zusammen mit den nationalen Beiträgen ergab das ein Investitio­nspotenzia­l von 31 Milliarden Euro.

Europaweit ist der Abstand zwischen den reichsten (Luxemburg) und ärmsten Regionen (Bulgarien) der EU aber noch immer gewaltig.

Wenn die Wirtschaft wächst, verringert sich dieser Abstand. Aber die Finanzkris­e 2008 hat diese Entwicklun­g gestoppt. Zwar hat sich der Trend danach wieder umgekehrt, aber jetzt sind wir mitten in der Corona-Pandemie.

Was ich noch sagen möchte: Der Markt generiert kein gleichmäßi­ges Wachstum. Wo die Marktkräft­e ohnehin stark sind, gibt es auch immer mehr Wachstum. Regionalpo­litik hat seine Logik darin, alternativ­e Pole für Wachstum zu schaffen. Man muss es in diesen Ländern stimuliere­n, die Bildungsmö­glichkeite­n fördern, die Unternehme­rschaft, den Zugang zum Digitalen, sodass sie aufholen können.

Das ist oft nicht nur eine Frage des Geldes. Man muss die administra­tiven Kapazitäte­n haben, um zu organisier­en. Man braucht auch den institutio­nellen Hintergrun­d, um die Gelegenhei­ten, zu nutzen, die geboten werden. Es gibt dazu ein Sprichwort: „Gott hilft dir, wenn du dir selbst hilfst.“

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Massiver Wirtschaft­sschub für Burgenland durch EU-Regionalfö­rderung: Viele Millionen flossen in den Bau von Thermen
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EU-Kommissari­n für die Regionen: Portugiesi­n Elisa Ferreira

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