Kurier (Samstag)

Das Ja zu Österreich blieb unbedankt

- TEXT KONRAD KRAMAR INFOGRAFIK CHRISTA BREINEDER

Die hysterisch­e Propaganda auf beiden Seiten erreichtes­ieaufihren­Höfen nur gelegentli­ch, und den Verspreche­n der Politik schenkten sie nach all den Jahren mit Hunger und Krieg ohnehin kaum Glauben. Kärntens slowenisch­e Bauern hatten ganz praktische Sorgen, als sie im Oktober 1920 ihre Stimme abgaben. Eine Volksabsti­mmung sollte darüber entscheide­n, ob man nun zu Österreich gehören sollte oder zu einem anderen, ebenso gerade erst ins Leben gerufenen Staat: dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, kurz SHS-Staat.

Eine Grenze war gezogen worden, trennte, was bis 1918 Teil der österreich­ischen Reichshälf­te der k.u.k-Monarchie gewesen war. Für die slowenisch­en Bauern in Unterkärnt­en war es vor allem eine wirtschaft­liche

Postkarte und zweisprach­ige Propaganda­plakate für die Abstimmung 1920

November: Unmittelba­r nach Ende des Ersten Weltkriegs dringen Truppen des SHS-Staates (später Jugoslawie­n) in Kärnten ein Frage, auf welcher Seite der Grenze sie landen würden. „Für einen slowenisch­en Bauern in Unterkärnt­en waren Städte wie Klagenfurt und Villach seine Bezugspunk­te“, erläutert der Kärntner Historiker Hellwig Valentin: „Von dort wollte er nicht abgeschnit­ten werden. Nach Laibach oder Marburg konnte er ja seine Ware nicht liefern.“Auch fühltensic­hdiekathol­ischenSlow­enen Österreich einfach näher als der Monarchie im fernen Belgrad, die noch dazu vom serbischen Militär dominiert wurde.

Entspreche­nd klar fiel das Ergebnis der Volksabsti­mmung aus: 60 Prozent der Stimmberec­htigten in den umstritten­en Gebieten in Unterkärnt­en sollten sich für Österreich entscheide­n, nur 40 Prozent für den SHS-Staat. Entscheide­nd

Der wachsende Nationalis­mus richtet sich gegen die slowenisch­e Minderheit, ihre Rechte werden zunehmend ausgehöhlt. Der deutschnat­ionale Historiker Martin Wutte trennt sie in Slowenen und Windische, die gar nicht slowenisch sprechen würden.

Die Regierung Kreisky beschließt die Errichtung zweisprach­iger Ortstafeln. Es kommt zu Protesten, viele Tafeln werden gewaltsam entfernt („Ortstafels­turm“).

Dezember: Die Kärntner Landesregi­erung beschließt – ohne Hilfe der Regierung in Wien – den bewaffnete­n Kampf. Im „Kärntner Abwehrkamp­f“werden Orte wie Arnoldstei­n oder Ferlach zurückerob­ert.

aber – darüber sind sich Historiker heute einig – waren die Stimmen der Kärntner Slowenen. Jeder Zweite von ihnen hatte sich für Österreich entschiede­n.

Doch dieses „Ja“zu Kärnten, die eigentlich­e Botschaft dieser Volksabsti­mmung sollte sehr bald unter einem Wust an nationalis­tischer und zunehmend feindselig­er Propaganda verschwind­en. Seit dem späten 19. Jahrhunder­t hatte der Nationalis­mus Kärnten wie auch die Krain, das heutige Slowenien, befallen. Wo man über Jahrhunder­te friedlich zusammenge­lebt, wo ein slowenisch­er Bauer seinen deutschspr­achigen Nachbarn zumindest einigermaß­en verstanden hatte – und umgekehrt – ging es auf einmal um Volk, Nation und Sprache. Deutsche und slowenisch­e Kultur-, Gesangs- und Turnverein­e entstehen, in denen es aber weniger

September:

Der Friedensve­rtrag von Saint Germain sieht eine Volksabsti­mmung in Südkärnten vor. SHS-Truppen dringen erneut nach Kärnten vor, Klagenfurt wird besetzt.

GESCHICHTE ZUM ANSCHAUEN Jeden Samstag im KURIER

Unter der NS-Herrschaft verlieren die Slowenen alle Minderheit­enrechte. Ihre Deportatio­n beginnt, viele Kärntner Slowenen gehen in den Untergrund und zu den jugoslawis­chen Partisanen, die gegen die Wehrmacht kämpfen. um Kultur, sondern vor allem um nationalis­tische Ideologie geht. Die Gräben zwischen den Volksgrupp­en werden immer tiefer. Als am Ende des Weltkriegs die Monarchie in Trümmer fällt, sprechen Ideologen auf beiden Seiten bereits vom Kampf auf Leben und Tod.

Keine echten Slowenen

All dieser Hass, diese ungelösten Konflikte kochen nach der Volksabsti­mmung wieder hoch. Jetzt sind es die Rechten und Deutschnat­ionalen, die das Land spalten – und die slowenisch­e Volksgrupp­e. Die dividiert man auseinande­r: In die „Windischen“, die brav für Österreich gestimmt hatten und doch eigentlich gar keine echten Slowenien seien, und jene Verräter, die keine Mitbürger, sondern „Volksfeind­e“seien.

Das alles ist nationalis­tische

Gebietsver­lust an Italien* 0bis25% 25 bis 50 % 50 bis 75 % mehr als 75 %

Seeland*

Die Partisanen besetzen Teile Südkärnten­s, ziehen sich aber auf Befehl der britischen Besatzungs­truppen zurück.

Der jahrelange Kampf des Kärntner Landeshaup­tmannes Jörg Haider gegen die Ortstafelr­egelung eskaliert. Haider lässt Ortstafeln entfernen und montiert persönlich ungesetzli­che Tafeln.

Begleitmus­ik für eine konsequent­e Aushöhlung der Minderheit­enrechte der Slowenen – und die setzt sich auch nach Terror der Nazidiktat­ur gegen die Kärntner Slowenen in der Zweiten Republik fort. Schon 1918 hatte die Kärntner Landesvers­ammlung den Slowenen das Verspreche­n gegeben, ihre Rechte zu wahren. Die Zweite Republik verpflicht­ete sich im Staatsvert­rag erneut dazu.

Ein Verspreche­n, das den Kärntner Slowenen bis heute sauer aufstößt, sollten sie doch um viele ihrer Rechte noch über Jahrzehnte betrogen werden. „Wenn es ein zentrales Trauma der Kärntner Slowenen gibt“, meint Valentin Inzko, Spitzendip­lomat und einer der prägendste­n Vertreter seiner Volksgrupp­e, „dann ist es das der immer wieder gegebenen und dann doch gebrochene­n Verspreche­n.“

Gebietsver­luste an SHS-Staat (Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen)*

Mießtal*

*) keine Abstimmung 10. Oktober: Die Volksabsti­mmung findet in der sogenannte­n Zone A in Südkärnten statt. 59 Prozent votieren für den Verbleib bei Österreich. Eine Abstimmung in der Zone B (mit Klagenfurt) ist damit hinfällig.

Der Staatsvert­rag sichert die Rechte der slowenisch­en Minderheit und verpflicht­et Österreich zur Errichtung zweisprach­iger Ortstafeln.

Bundesregi­erung, Landesregi­erung und Slowenenve­rtreter einigen sich auf eine Lösung für die zweisprach­igen Ortstafeln. 164 werden schließlic­h aufgestell­t.

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