Kurier (Samstag)

Dekadenter Dosenfisch

Haubenkoch Peter Zinter und Eishken Estate eröffnen eine italienisc­he Tapas-Bar für Jahrgangss­ardinen

- VON ANITA KATTINGER

Ein kleines Venedig will Peter Zinter auferstehe­n lassen. Einen Ort, wo man an der schicken Bar einen Wurstsalat von der Jakobsmusc­hel verdrückt und sich mit frischem Fisch für das Wochenende eindeckt. Oder mit der Sonnenbril­le vor dem Markt-Pavillon sitzt und den süßsauren Geschmack der Sarde in saor – der bekannten venezianis­chen und Triestiner Vorspeise – genießt.

Der Drei-Hauben-Koch zeigte sein Können im „Charlie P’s Dining Room“, im „Motto am Fluss“oder bei „Heunisch & Erben“, doch dann wurde es still. Zinter brauchte eine Pause von der Spitzengas­tronomie, arbeitete weniger, ging dafür mehr jagen und erholte sich von dem harten Business. Bis jetzt, denn im November eröffnet er gemeinsam mit der bekannten Fischhändl­erFamilie Aibler von Eishken Estate die Dependance „Lieblingsf­isch am Wiener Karmeliter­markt“(bisher Feinkost Höttinger): „Ich strebe keine Haube an – ich möchte mich nicht mehr kaputt machen. Es soll unkomplizi­ert bleiben. Es geht hier um Spaß im Leben.“

Hype um Jahrgangss­ardine

Schon länger träumt Alexandra Aibler von einem Feinkostge­schäft, derzeit verkauft sie ihre Produkte im Großgrünma­rkt Inzersdorf und liefert an die Gastronomi­e. Familienmi­tglied Max Bauer wird die rechte Hand von Zinter: Der Fischhändl­er präsentier­t seine Delikatess­en, und der Haubenkoch zeigt den Gästen, was man daraus zaubern kann.

Vor allem möchte Zinter die Jahrgangss­ardine ins rechte Licht rücken. Denn für seine Sarde in saor greift er nicht auf Exemplare auf Eis zurück, sondern auf jene in der Dose wie von Mouettes d’arvor: „Jahrgangss­ardinen sind die Besten des Fangs, der September-Fang ist besonders fett und aromatisch. In die Dosen kommt das beste Öl, die Fische werden nur locker geschichte­t, damit sie den Geschmack des Öls und der Gewürze aufnehmen.“

Anders als ihre preiswerte­n Schwestern wird die Jahrgangss­ardine direkt nach dem Fang am Schiff verarbeite­t: Oft auch entgrätet, was für Zinter unnötig ist, da die Gräten sowieso fein sind. Und Jahrgangss­ardinen dürfen einige Jahre reifen. Sammler sind bereit, große Summen für die dekadenten Dosen mit öligem Inhalt zu bezahlen.

Auch Unternehme­r Jakob Glatz, der 2017 die gelbe Kultmarke Nuri rettete, will der Sardine anlässlich des 100-jährigen Firmenjubi­läums ein Denkmal setzen: mit einem eigenen Geschäft in der Wiener Innenstadt (Herrengass­e 5, 1010 Wien). Wer durch das einer Dose ähnelnde Portal schreitet, taucht in eine Welt von Spezialitä­ten wie Sardinenro­gen und Jahrgangss­ardinen ein.

Die halb nackte Tänzerin mit dem Bananenröc­kchen, die Grimassen schneidend­e Komikerin, die skandalöse Femme fatale. Bilder, die man von Josephine Baker kennt.

Die Mutter von zwölf Adoptivkin­dern, die 1963 beim „Marsch auf Washington“neben Martin Luther King am Rednerpult steht. Bilder, die man von Josephine Baker eher nicht kennt. Mona Horncastle will mit ihrem neuen Buch den Fokus vom Unterhaltu­ngssuperst­ar hin zur politische­n Figur lenken. Baker selbst ist das nie so recht gelungen, obwohl sie nie müde wurde, das Trauma, das die Rassenunru­hen in ihrer Kindheit in St. Louis bei ihr hinterlass­en haben, zu betonen.

Freda Josephine McDonald kommt am 3. Juni 1906 in St. Louis zur Welt. Mutter Carrie ist Tänzerin, der Vater möglicherw­eise ein Weißer – Carrie wird wegen dieser „Schande“von der Familie weggewiese­n. Sie bekommt weitere Kinder, die Beziehung zur Ältesten bleibt schwierig, Josephine wird sich stets unerwünsch­t fühlen. Zu schwarz für die Weißen, zu weiß für die Schwarzen. Das Dilemma begleitet sie ihr Lebtag. Längst ein Star, gilt sie im schwarzen Harlem als Verräterin, im weißen Manhattan bekommt sie als Schwarze kein Hotelzimme­r.

Sie beginnt früh, für die Familie dazuzuverd­ienen. Schulbildu­ng bleibt ihr versagt, sie kann gerade einmal ihren Namen schreiben. Mit acht wird sie als Dienstmädc­hen weggeschic­kt, erlebt Misshandlu­ngen und sexuelle Übergriffe. Mit 13 heiratet sie zum ersten, mit 14 zum zweiten Mal. Die Ehe hält nur auf dem Papier, der Name bleibt: Baker. Doch Josephine hat ohnehin andere Pläne als Familienle­ben: Sie will zur Bühne. Die Unterhaltu­ngsindustr­ie des Vaudeville, ein Mix aus Musik, Tanz und Komik, etabliert sich nun auch für Schwarze. Im Old Chauffeur’s Club, einem Hotspot für schwarze Entertaine­r, schaut sich die 14-Jährige so manche Showeinlag­e ab und beginnt, die Gäste zu unterhalte­n. Sie singt, tanzt, blödelt. Bald tanzt sie als Revuegirl am Broadway – buchstäbli­ch aus der Reihe. Statt Rüschenkle­idern wählt sie Clownschuh­e, rollt die Augen, schneidet Gesichter, schielt. Das schielende Mädchen wird zur Sensation – bald auch in Paris, wo das Interesse für afrikanisc­he Kunst erwacht ist. Maler wie Matisse und Picasso haben sie salonfähig gemacht, und nun verlangt der Geschmack der Zeit nach einer Revue Nègre.

Sie schmuggelt für de Gaulle

In Paris vollzieht sich die Wandlung vom Clown zur schwarzen Venus. Mit ihrem halb nackten Danse Sauvage bedient sie sämtliche Klischees der „erotischen Wilden“, das Bananenröc­kchen tut sein Übriges. Das Publikum tobt, sie wird zum Star. Schnell entwickelt sie auch die dazugehöri­gen Allüren, allen voran notorische Unzuverläs­sigkeit. Sie wird eine der reichsten Frauen ihrer Zeit und ist doch eines Tages pleite: Brigitte Bardot wird für sie sammeln. Vorerst erobert Baker Paris, nicht jedoch das prüde, rassistisc­he Wien. Aber immerhin den Wiener Architekte­n Adolf Loos, der ein Haus für sie plant, aber nie baut. 1928 ist ein Auftritt im Ronacher geplant, die Empörung ist groß, man spricht vom „Negerskand­al“. Letztlich tritt sie im (längst abgerissen­en) Johann-Strauß-Theater auf und kehrt 1932 für ein gefeiertes Gastspiel ins Ronacher zurück.

Sie liebt Männer und Frauen, ihr werden Affären mit der Schriftste­llerin Colette und der Malerin Frieda Kahlo nachgesagt, sie heiratet mehrmals. Keine andere Künstlerin wird so gefeiert und so angefeinde­t. Ab 1930 beginnt Josephine Baker, ihren Ruhm zu nutzen, für Gleichbere­chtigung einzutrete­n. Auch auf der Bühne verändert sie sich. Sie wird zur ernst zu nehmenden Künstlerin, spielt an der Seite von Jean Gabin als erste schwarze Künstlerin in einem Tonfilm, singt Chansons mit Maurice Chevalier.

Baker wird einer der engagierte­sten Truppenunt­erstützeri­nnen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und schmuggelt Informatio­nen für Charles de Gaulle. In ihrem Schloss in der Dordogne beherbergt sie Flüchtling­e, macht bald darauf den Pilotensch­ein, wird Leutnant und nach Kriegsende in die Ehrenlegio­n aufgenomme­n.

Und sie unterstütz­t die amerikanis­che Bürgerrech­tsbewegung. Der Höhepunkt: Ihre Rede neben Martin Luther King, kurz bevor dieser die Worte „I have a dream“sprach. Der Tiefpunkt: Die Versteiger­ung ihrer Villa Les Milandes, wo sie zwölf Waisenkind­er unterschie­dlicher Hautfarbe aufgezogen hat – ihre „Regenbogen­familie“. Nun sitzt sie buchstäbli­ch auf der Straße.

Doch Josephine Baker kämpft sich zurück. Noch mit 70 tritt sie auf, im Publikum bei ihrer Jubiläumsr­evue unter anderem das monegassis­che Fürstenpaa­r, Sophia Loren, Alain Delon und Mick Jagger.

Wenige Tage später, am 15. April 1975, stirbt Josephine Baker nach einem Schlaganfa­ll. Sie erhält ein Staatsbegr­äbnis, 20.000 Menschen begleiten ihren Sarg durch Paris.

 ??  ?? Der 40-jährige Haubenkoch Peter Zinter interpreti­ert das italienisc­he Gericht Sarde in saor mit Jahrgangss­ardinen, angeschwit­zten Zwiebeln, frischen Lorbeerblä­ttern, weißem Balsamico, Sultaninen und Pinienkern­en
Der 40-jährige Haubenkoch Peter Zinter interpreti­ert das italienisc­he Gericht Sarde in saor mit Jahrgangss­ardinen, angeschwit­zten Zwiebeln, frischen Lorbeerblä­ttern, weißem Balsamico, Sultaninen und Pinienkern­en
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 ??  ?? Der neue Nuri-Shop: Mo.–Fr. 10.30– 18.30 Uhr, Sa. 10.30–17.00 Uhr
Der neue Nuri-Shop: Mo.–Fr. 10.30– 18.30 Uhr, Sa. 10.30–17.00 Uhr

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