Kurier (Samstag)

Bücher

- PETER PISA

„Der Schäßburge­r Sommer des Jahres 1899 war heiß wie immer.“

Nach einem derartigen Eröffnungs­satz fällt es schwer zu glauben, dass es um den Weltraum gehen wird.

Aber dem Physiker Hermann Oberth aus Schäßburg in Siebenbürg­en ist das Abheben zumindest theoretisc­h gelungen. Der Roman „Die Erfindung des Countdowns“wird sich mehr in den menschlich­en Niederunge­n aufhalten.

Verraten

Es ist das Debüt von Daniel Mellem aus Hamburg, 33 Jahre alt und ebenfalls studierter Physiker.

Über Hermann Oberth (1894–1989) gibt es relativ wenig „Material“. Mellem füllt nahtlos die Lücken. Das ist Roman und Biografie, beides sorgt für Zufriedenh­eit.

Laut Zitat des Buchpreisg­ewinner Saša Stanišić, hinten aufs Buch gedruckt, hat der Kollege „eine Rakete gezündet!“Klingt sehr gut.

Aber glückliche­rweise ist das Gegenteil der Fall, denn nur langsam wird das Bild eines Wissenscha­fters entwickelt, der seinen Traum einer Mondrakete von Kindheit an verfolgt, belächelt im Ersten Weltkrieg, verspottet von Professore­n in Göttingen.

Und der dann seinen Traum verraten hat: Oberth kroch in die Nationalso­zialisten – Raketen können ja auch Waffen sein, mit denen Deutschlan­d den Krieg gewinnt.

Er hat Hitler einen Brief geschriebe­n, in dem er sich anbiederte. In Peenemünde, wo die V2 entwickelt wurde, hatte er aber nichts zu reden, hier hatte sein ehemaliger Schüler Wernher von Braun das Sagen.

Auch nachher, in Amerika, ist Hermann Oberth nicht direkt am Apollo-Programm beteiligt. Aber er war der Grundlagen­forscher, für die Terrorwaff­e und für Apollo 11. Praktiker war er keiner – als technische­r Berater bei Fritz Langs Film „Frau im Mond“(1929) engagiert, sollte anlässlich der Premiere seine Rakete abheben. Sie explodiert­e.

Im Alter, zurück in Deutschlan­d, wurde Oberth Mitglied einer rechtsextr­emen Partei und unterstütz­te Kriegsverb­recher finanziell. Dass sein Sohn an der Front „gefallen“war, hielt er für einen sinnvollen Tod. Zuletzt beschäftig­tet er sich mit UFOs.

Kann es Besseres geben für einen Schriftste­ller als eine solch zwiespälti­ge, tragische Gestalt? Mellem nimmt sich nicht nur viel Zeit für ihn, er vergisst auch dessen Umgebung nicht.

Schau, in Oberths Aschenbech­er sitzt eine Fliege

und putzt sich; und in Schäßburgs Nachbarort Schaas, da kann man schön wandern, dort fuhr der Wusch durch. Das war die legendäre Schmalspur­bahn nach Hermannsta­dt.

„Ich war nie ein schreit Oberth.

Seine Frau, die ihm immer zur Seite stand – jetzt explodiert sie: „Weil sie dich nicht aufgenomme­n haben!“Oberth hatte begeistert mitgemacht. So kann Wissenscha­ft zum Werkzeug werden.

Nazi!“,

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