Kurier (Samstag)

Der Nebel sieht plötzlich so schön aus

Haruki Murakami, neu übersetzt und ungekürzt und ohne Menschen im Ziegenmaul

- P.PISA

Die Chroniken des Aufziehvog­els. Murakamis Roman ist jetzt nicht mehr 700, sondern 1.000 Seiten lang, und wenn man schlecht gelaunt ist, kann man sagen: Fein, das sind also noch 300 Seiten, bei denen man sich fragt, was das alles soll.

Im Jahr 1998 war von der englischen Version ins Deutsche übersetzt worden, der englische Verleger hatte Kürzungen verlangt. Nun wurde Murakami direkt aus dem Japanische­n herübergeh­olt, und schon ist der Grant verschwund­en.

Denn plötzlich ist der Dampf vom japanische­n Dampfplaud­erer wohltuend; und der Nebel des Nebelwerfe­rs sieht sehr schön aus.

Der Unterschie­d zur ersten Übersetzun­g ist gewaltig. „Die Chroniken des Aufziehvog­els“haben die Musik zu Suche und Leere bekommen, von denen der Roman vielleicht handelt.

Knarr und kreisch

Wer weiß denn schon, wovon er wirklich handelt! Muss man sich auskennen, um in der Literatur Erhellende­s zu entdecken?

Allein warum der Erzähler Toru Okada „Aufziehvog­el“genannt wird, ist komplizier­t.

Passend wäre die Antwort: Er macht ungern etwas allein, er braucht etwas, das ihn in Schwung bringt.

Toru Okada selbst

„erklärt“:

So ein Aufziehvog­el sitzt auf einem Baum und zieht jeden Morgen die Welt auf, knarr und kreisch.

Kann durchaus sein, dass es eine andere Welt ist. Dass manche Menschen (oder Vögel?) jederzeit aus sich heraustret­en können und dann etwas anderes sehen.

Toru Okadas Ehefrau verschwind­et.

Haruki Murakami: „Die Chroniken des Aufziehvog­els“Übersetzt von Ursula Gräfe. DuMont Verlag. 1.000 Seiten. 35 Euro

KURIER-Wertung: āāāāά Ihr Kater ist schon weg. Zu Spaghetti passt Rossinis Oper „Die diebische Elster“. Eine Unbekannte will Telefonsex. Ein Mädchen in der Nachbarsch­aft weiß alles über Glatzen. Eine esoterisch angehaucht­e Frau hat den Kater gesehen. Ihre Schwester ist vergewalti­gt worden. Im tiefen Brunnen denkt Toru Okada über alles nach und wäre fast verdurstet.

Einiges wird am Ende aufgelöst, anderes verliert sich im Chaos, das den Lesegenuss kaum schmälert.

Und es ist himmlisch, dass keine kleinen Kerle aus dem Maul einer toten Ziege klettern müssen wie in Haruki Murakamis zweitem Mammutbuch „1Q84“.

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Im Jänner folgen im DuMont Verlag Erzählunge­n: Murakami
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