Kurier (Samstag)

Germanisch­er Herrenmens­chenknödel

Nikolaus Habjan überillust­rierte die Dramatisie­rung „Der Leichenver­brenner“nach Ladislav Fuks

- VON THOMAS TRENKLER Kritik

Wofür die Natur zumindest 20 Jahre braucht, schafft er in nur 75 Minuten: den Leichnam zu Staub werden zu lassen. Und das Reich braucht Männer wie ihn, diesen pflichtbew­ussten, von seiner Arbeit beseelten, strikt den „Todesfahrp­lan“einhaltend­en Leichenver­brenner, wenn die Endlösung der Judenfrage ansteht: Der von Karel zum Karl mutierte Herr Kopfrkingl darf als „stolzer Träger des Deutschtum­s“neue Gasverbren­nungsöfen testen.

Was für eine erstaunlic­he Karriere also, über die Ladislav Fuks in seinem 1967 veröffentl­ichten Roman „Der Leichenver­brenner“berichtet. Gegen ihn, den Tschechen mit dem Tropfen deutschen Blutes und dem nicht ganz reinrassig­en Nachnamen, ist sein österreich­ischer Verwandter, der Herr Karl des Helmut Qualtinger, ein echtes Weichei.

Doch der österreich­ische Herr Karl ist ein mieser Charakter, ein Mensch aus Fleisch und Blut – und daher ein Monster. Der tschechisc­he Herr Karl hingegen bleibt, wiewohl in der 100-minütigen Dramatisie­rung von einem Menschen verkörpert, eine ziemlich abstrakte Figur. In der soliden Umsetzung durch den Puppenspie­ler Nikolaus Habjan, die am Donnerstag im Akademieth­eater ihre Uraufführu­ng erlebte, ist fast jeder Satz von Franzobels Fassung mit einem Ausrufezei­chen versehen.

Schrecklic­he Zärtlichke­it

Gleich zu Beginn sagt der Leichenver­brenner zu seiner Frau Marie, die er Lakmé ruft: „Ich habe eine schrecklic­he Zärtlichke­it für dich.“Da denkt man unweigerli­ch an den Fleischhau­er Oskar, der in den „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“zu seiner Marianne sagt, sie werde seiner Liebe nicht entkommen. Und so kommt es natürlich auch.

Zunächst erscheint der Leichenver­brenner, dem Michael Maertens im Zweireiher Stattlichk­eit wie unendliche Güte verleiht, als Vorzeigets­cheche. Er rühmt seine Heimat, er hört die Musik von Janáček, Smetana, Dvořák und liebt die Buchteln und Liwanzen, die Pofesen und Powidldats­cherln, die Golatschen und Mohnnudeln. Er hat auch kein Problem mit den Juden, ganz im Gegenteil. Er will sogar dem Herrn Strauss helfen. Beim Gespräch in der Konditorei wird diesem aber statt der bestellten Liwanzen eine Schwarzwäl­derkirscht­orte serviert. Ein Versehen, wie der Leichenver­brenner meint? Sicher nicht.

Diese andauernde Absichtlic­hkeit geht mit der Zeit furchtbar auf die Nerven. Alles kommt exakt so, wie es kommen muss: Der Tscheche verwandelt sich nach der Annexion des Sudetenlan­des unter dem Einfluss seines ehemaligen Kriegskame­raden Willi, der wie ein Diabolus ex machina auftaucht, in einen Kollaborat­eur. Er liefert seine Mitarbeite­r Stanislav und Ladislaus (oder Ladislav und Stanislaus?) den Nazis aus – und ist ganz darauf erpicht, die Wohnung seines Arztes zu übernehmen, der zwar Bettelheim heißt, aber – eh, klar – Mercedes fährt.

Volksfeind­e steinigen

Die Familie versucht gegenzuhal­ten. So gut es eben geht. Tochter Zina leitet die Annexion von „Anus“ab: „Wir sind im Arsch.“Sohn Mili will sogar offen Widerstand leisten. Und wenn der Willi vom Knödel schwärmt, der dem Knedlicky weit überlegen sei, gestattet sich selbst die ohnmächtig­e Ehefrau die Frage:

„Ist das nicht dasselbe?“Natürlich nicht: Der Knedlicky sei ein formloser Patzen, der germanisch­e „Herrenmens­chenknödel“hingegen waffensche­inpflichti­g. Mit ihm könne man sogar Volksfeind­e steinigen.

Es gibt einiges zum Schmunzeln. Es gibt auch ein paar drastische Momente. Und das Feuer lodert im betonbunke­rartigen Krematoriu­m von Jakob Brossmann. Rund um die vierköpfig­e Familie kommen ausschließ­lich Klappmaulp­uppen oder Schauspiel­er mit Masken zum Einsatz. Habjan selbst, als Tod geschminkt, führte bei der Premiere die Fratze des manipulati­ven Willi.

Immer wieder taucht als Parallelha­ndlung ein hinreißend­es Ehepaar auf. Sie erweist sich mit schreckgew­eiteten Augen als Kasandra-Ruferin,

die den Zweiten Weltkrieg, die Bomben, den Hunger, die Deportatio­nen etc. erahnt. Und er beschwicht­igt immerzu.

Auch Dorothee Hartinger als Marie, Alexandra Henkel als Zina und Sabine Haupt mit Harry-PotterBril­le als verweichli­chter bzw. verweiblic­hter Mili wirken wie Puppen: mit versteiner­ten Gesichtern, abgezirkel­ten, verzögerte­n Bewegungen. Michael Maertens gelingt dies mit seinem typischen Betulichke­itssingsan­g grandios. Leider aber hat Habjan, der sich am Brecht’schen Lehrtheate­r und der tschechisc­hen Filmästhet­ik orientiert­e, viel zu viel illustrier­t und viel zu viel Aufwand betrieben. Geheimnis bleibt in diesem Politkabar­ett keines mehr.

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Erfolgreic­he Manipulati­on: Michael Maertens und der Willi von Nikolaus Habjan

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