Angebot am Markt steigt
Der Neubau von Wohnungen boomt in Wien und übersteigt den Zuwachs an Haushalten. Das lässt in bestimmten Lagen die Kaufpreise und Mieten leicht zurückgehen.
» In Wien wird heuer eine Rekordzahl an neuen Wohnungen fertiggestellt, nämlich 18.500 Einheiten. Das Bevölkerungswachstum hält mit dieser Entwicklung jedoch nicht mit, so Michael Pisecky, Fachverbandsobmann der Wiener Immobilientreuhänder.
Bereits 2019 überstieg das Angebot an Neubauwohnungen in Wien den Haushaltszuwachs, der etwabei4.000Haushaltenlag,beziffert Alexander Bosak, Geschäftsführer
vom Immobilienresearch-Unternehmen Exploreal. Hinzu kommt, dass das Haushaltswachstum sich nach Niederösterreich und ins Burgenland verlagert, weil der Wunsch nach einem Haus im Grünen durch den Shutdown verstärkt wurde. Die Folge: „In Flächenbezirken übersteigt das Angebot die Nachfrage“, konkretisiert Michael Pisecky. Gemeint sind Favoriten, Simmering, Donaustadt, Liesing und Floridsdorf.
Für 2021 sind in Wien ähnlich hohe Fertigstellungszahlen wie heuer absehbar. Das Angebot an Wohnraum ist dann in einem Maße ausreichend, dass in manchen Bezirken die Kaufpreise sogar etwas sinken werden. „Es wird da und dort ein bisschen günstiger werden“, sagt Michael Pisecky und betont: „Die Anbieter werden sich bewegen müssen.“
Der Anteil an Mietwohnungen bei den von Bauträgern neu errichteten Wohnungen ist deutlich größer als jener an Eigentumswohnungen. Da auch in diesem Segment das Angebot an Wohnraum steigt, rechnet Pisecky damit, dass die Mietpreise ebenfalls in den Flächenbezirken unter Druck geraten, etwas billiger werden. „Die Grenze der Leistbarkeit liegt bei 700 Euro“, beziffert Pisecky, wenn pro Haushalt nicht mehr als 40 Prozent des Einkommens fürs Wohnen ausgegeben wird. Bei einem Durchschnittseinkommen
in der Höhe von 1400 bis 1500 Euro netto gehe sich einfach keine höhere Miete aus. „Für die teureren Mietwohnungen werden Mieter gesucht, die 2700 Euro netto verdienen“, rechnet Pisecky vor.
Seit wann der Wohnungsmarkt sich von geringen Angebot und hoher Nachfrage zu hohem Angebot und sinkender Nachfrage entwickelt hat? „Ab 2017 ist die Schere aufgegangen,“beziffert Pisecky. „Davor wurden zu wenig neue
Wohnungen für die Haushaltsentwicklung produziert.“Nach 2017 kamen deutlich mehr neue Wohnungen auf den Markt, als neue Haushalte gegründet wurden. Diese Entwicklung ist kein Wiener Phänomen. Auch in der Steiermark übersteigt das Angebot die Nachfrage, im Burgenland hingegen decken sich Angebot und Nachfrage, geht aus der Bauträgerdatenbank von Exploreal hervor. Im Burgenland ist heuer ein starkes Jahr bei der Fertigstellung neuer Wohnungen, die Wohnbautätigkeit ebbt 2021 jedoch wieder ab, so der Obmann der Fachgruppe Burgenland, Ludwig Bresich. Die meisten Projekte im Burgenland werden in der Region Eisenstadt und Neusiedl am See errichtet.
Grundsätzlich werden die Bauträgerprojekte kleiner und umfassen in Wien durchschnittlich 60 Wohnungen pro Projekt, auch die Wohnflächen sinken auf durchschnittlich 64 Quadratmeter. Die meisten Wohnungen, die in der Bundeshauptstadt von Bauträgern neu errichtet werden, umfassen ein bis zwei Zimmer und sind mit einer Freifläche – Balkon, Terrasse, Loggia oder Gartenanteil – ausgestattet. Die Freifläche ist durchschnittlich 8,9 Quadratmeter groß. Die Stellplätze, die pro Neubauprojekt errichtet werden, gehen leicht zurück. Im Vergleich dazu werden im Burgenland mehr Stellplätze errichtet (1,4 pro Wohnung, die durchschnittliche Wohnnutzfläche ist mit 69 Quadratmetern ebenfalls etwas größer. Die Projekte sind kleiner (16 Wohnungen). Exploreal hat sich auch angeschaut, welche Wohnungen aktuell in den Bundesländern im Angebot sind (siehe Grafik). Verglichen wurde der Median (Mittelwert)-Kaufpreis und die Größe der Wohnungen. «
Einfamilienhäuser in Wien sind in der Grafik günstiger als Reihenhäuser und Doppelhaushälften, weil die Anzahl bei Bauträger-Neubauprojekten gering ist, sodass die preislichen Unterschiede stark schwanken
» Im Yppenviertel in Ottakring und Hernals entsteht ein besonderes Wohnprojekt. Zwischen Ottakringer Straße, Bergsteiggasse, Geblergasse und Helblinggasse entsteht das Projekt Apfelbaum. Es soll ein inklusives Dorf in der Stadt werden. „Ichhabe2009begonnen,Grundstücke aufzukaufen“, erzählt Clemens Rauhs, Geschäftsführer vom Bauträger Liv. Finanziert werden soll das Projekt aus den Einnahmen des Bauträgergeschäfts. „Mit
Martin Praschl und Azita Goodarzi von P. Good Architekten
der Zeit ist das Projekt gewachsen.“Rauhs erzählt, wie die Idee für das inklusive Projekt entstanden ist: „Wir haben selbst ein Kind mit Behinderung und wollten ihm und anderen ein selbstbestimmtes
Leben, Wohnen und Arbeiten ermöglichen.“
Fünf Bauplätze stehen nun für das Projekt zur Verfügung. Die bestehenden Gründerzeithäuser werden sockelsaniert und modernisiert, eines abgerissen, zwei neu errichtet. „Bei den Altbauten werden die Dachgeschoße ausgebaut“, sagt Azita Goodarzi von Praschl & Goodarzi Architekten. Für rund 280 Menschen entstehen hier Mietwohnungen, Wohngemeinschaften und Apartments für Studierende, aber auch innovative Wohnformen wie Wohnen im Verbund oder betreutes Wohnen. FastjedeWohneinheitistmiteiner privaten Freifläche ausgestattet. ZielisteinebunteDurchmischung
unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen, die auch die Inklusion von Menschen mit besonderen Bedürfnissen umfasst.
„Das Besondere an diesem Projekt ist, dass es mitten im städtischen Raum entsteht“, sagt Martin Praschl von Praschl & Goodarzi Architekten. Derzeit wird der Innenhof, der dann Platz für einen
Neubau bietet und begrünt wird, als Parkplatz genutzt. Wenn das Projekt fertig ist, steht hier ein großzügiger, parkähnlicher Innenhof für die Bewohner zur Verfügung, Dachgärten laden zum Urban Gardening sein, alles ist barrierefrei zugänglich. Dem Bauherren ist wichtig, dass sich die Bewohner hier treffen und vernetzen.
Die Erdgeschoßzonen der Neuund Altbauten bieten Platz für Handel, Gastronomie, Büros, Ordinationen, ein Gesundheitszentrum und Ateliers. „Dadurch soll das Stadtbild belebt werden,“so Rauhs. „Mein Ziel ist es, solide Werte zu schaffen und leistbares Wohnen zu ermöglichen“, betont er. Derzeit wird die Ausschreibungsphase
abgeschlossen und der Baustart vorbereitet, 2021 ist Baubeginn. Das Projekt, das ein Gegenmodell zur Ausgrenzung und Vereinsamung darstellt, wird von der internationalen Bauausstellung IBA_WIEN 2022 als Kandidat präsentiert, der neue Maßstäbe für die Zukunft des sozialen Wohnbaus setzt. «