Kurier (Samstag)

„Nein“zum kompletten Lockdown

„Zugedreht“wird in den Herbstferi­en. Oder im November. Die Gerüchte über Lockdown-Geheimplän­e sprießen. Allein: Dem steht der Rechtsstaa­t entgegen

- VON RAFFAELA LINDORFER UND DANIELA KITTNER

Die Rettung von Wintersais­on und Weihnachte­n reicht als Grund nicht, um Ausgangsve­rbote zu verhängen. Schließung­en von Schulen und Geschäften wären aber möglich

Seit Wochen kursieren Gerüchte, die Regierung würde still und heimlich einen neuen Lockdown vorbereite­n. Nach der Wien-Wahl oder während der Herbstferi­en, die heuer erstmals einheitlic­h vom 24. Oktober bis 1. November stattfinde­n, werde „zugedreht“.

Vor allem die FPÖ streut das, aber auch aus Wirtschaft­skreisen wird kolportier­t: Besser jetzt zehn Tage „zudrehen“, um die Infizierte­nzahlen nach unten zu drücken, dafür können danach Weihnachts­geschäft und Wintertour­ismus florieren.

Ein weiteres Gerücht besagt, die Lebensmitt­elketten seien bereits heimlich angewiesen worden, die Lager und Regale aufzufülle­n. „Das ist eine künstlich erzeugte Unruhe“, dementiert ein Branchensp­recher diese Gerüchte entschiede­n.

Die Verunsiche­rung greift jedoch um sich. So schrieb der Anwalt und bekennende ÖVPWähler Erich Gratz aus Linz einen offenen Brief an Kanzler Sebastian Kurz und appelliert­e, die Wirtschaft nicht „durch einen zweiten Lockdown an die Wand zu fahren“.

All der Nervosität und den Gerüchten bereiten bedeutende Rechtsprof­essoren auf KURIER-Nachfrage ein Ende: Laut dem neuen Covid-19Maßnahme­ngesetz darf es derzeit gar keinen Lockdown geben, schon gar nicht auf Bestellung durch irgendwelc­he Politiker oder Lobbygrupp­en.

Könnte derzeit ein bundesweit­er Lockdown verordnet werden?

Das Gesetz schreibt in Paragraf 5 ganz klar fest, dass der Gesundheit­sminister Ausgangsre­geln nur verordnen darf, wenn ein Zusammenbr­uch des Gesundheit­ssystems unmittelba­r droht. Und davon kann derzeit (zum Glück) keine Rede sein. „Es wäre unverhältn­ismäßig, im gesamten Bundesgebi­et Ausgangsve­rbote zu erlassen, wenn es aus epidemiolo­gischer Sicht auch reichen würde, die Verbote nur auf einzelne Gebiete zu beschränke­n“, sagt der Verfassung­sexperte Bernd-Christian Funk.

Das bestätigt auch Michael Mayrhofer, Professor für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Linz, der zudem im Expertengr­emium von Gesundheit­sminister Rudolf Anschober sitzt: „Ein neuerliche­r Lockdown wäre nach dem Covid19-Maßnahmeng­esetz derzeit nicht zulässig, weil ein Zusammenbr­uch des Gesundheit­ssystems nicht im Raum steht.“

Unter welchen Umständen kann ein territoria­ler Lockdown verordnet werden?

Auch ein territoria­ler Lockdown müsste „epidemiolo­gisch begründet sein“. Sprich: Die Infektions­zahlen müssten hoch, die Spitalskap­azitäten am Limit sein. Bei roter Ampel wäre so ein Lockdown wohl denkbar. Aber: „Das müsste schon sehr gut begründet werden“, betont Mayrhofer – und zwar im Vorhinein. Der Verfassung­sgerichtsh­of

hat das klar eingeforde­rt. Mayrhofer: „Wenn der Gesundheit­sminister den großen Spielraum, den ihm das Gesetz gibt, ausnützt, muss er genau dokumentie­ren, warum er so handelt.“

Könnte Gesundheit­sminister Anschober Reisen (innerhalb Österreich­s) untersagen?

Darüber ließe sich streiten, sagt Verfassung­sexperte Funk. Von den Ausgangsbe­schränkung­en gibt es nämlich Ausnahmen: familiäre oder berufliche Verpflicht­ungen, aber auch „Aufenthalt im Freien zur körperlich­en und psychische­n Erholung“. Und darunter könnte ein Urlaub fallen. Funk erklärt als Beispiel: „Wenn jemand bei einer polizeilic­hen Kontrolle sagt, er fährt nach Tirol, um dort am Berg spazieren zu gehen, dann könnte das zulässig sein.“Es gebe in dem Gesetz „gewisse Unschärfen“, die einem Reisewilli­gen Optionen offenlasse­n.

Anschober könnte aber auf Basis des Epidemiege­setzes bestimmte (Reise-)Gebiete sperren. Das hat er bereits im Frühjahr getan, als einzelne Gemeinden Tirols unter Quarantäne gestellt wurden.

Könnte Anschober alle Hotels schließen, sodass man in den Herbstferi­en nicht reisen kann?

Alle nicht, aber jene in bestimmten (roten) Zonen schon. Bei der Schließung von Betrieben muss zwar nicht der Zusammenbr­uch des Gesundheit­ssystems drohen, aber Anschober müsste nachweisen, dass „gelindere Maßnahmen“nicht reichen. Das würde Reisen – zumindest mit Übernachtu­ng – de facto verunmögli­chen.

Kann man wie in Spanien oder Italien dazu angehalten werden, sich nicht mehr als ein paar Hundert Meter weit von der Wohnung wegzubeweg­en?

Nein, von einer Beschränku­ng des Umkreises zum Wohnort ist im Gesetz nicht die Rede, sagt Funk. Es ist auf Handlungsz­wecke ausgericht­et und so konzipiert, das Betreten und Verweilen zu beschränke­n. Auch Hausarrest kann nicht verordnet werden. Funk: „Zu sagen, dass in den Herbstferi­en alle den privaten Wohnbereic­h nicht verlassen dürfen, gibt das Covid-Maßnahmeng­esetz vom Wortlaut nicht her.“Ein „Hausarrest“ist nur im Sinne einer Quarantäne wegen einer (möglichen) Corona-Infektion möglich.

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 ??  ?? Bernd-Christian Funk: Kein Hausarrest, nur Quarantäne
Bernd-Christian Funk: Kein Hausarrest, nur Quarantäne
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Michael Mayrhofer: Lockdown wäre „derzeit nicht zulässig“

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