Kurier (Samstag)

So weit ist die Impfstoff-Forschung

Elf Hersteller haben ihr Produkt bereits in der letzten Testphase vor der Zulassung. In den kommenden Wochen werden weitere Firmen solche „Phase-3-Studien“starten. Die Zuversicht ist groß

- VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND PILAR ORTEGA (GRAFIK)

„Der aktuelle Stand der Impfstoff-Forschung ist vielverspr­echend.“Mit dieser Aussage steht der Virologe und Impfstoffe­xperte Otfried Kistner, der als unabhängig­er Konsulent Firmen und auch WHO-Gremien berät, nicht alleine da. Die Zuversicht vieler Experten ist groß.

? Wie viele Impfstoffe sind

bereits in der finalen (dritten) Testphase?

Elf. Darunter sind vier chinesisch­e Präparate (siehe Grafik). Ebenso der erste russische Impfstoff („er hat wahrschein­lich aus politische­n Gründen die russische Zulassung vor der Phase-3-Studie bekommen“, sagt Kistner). Die anderen fünf Impfstoffk­andidaten wurden in Europa und den USA entwickelt. Unter den elf ist auch ein australisc­her Tuberkulos­e-Impfstoff, der gegen SARS-CoV-2 getestet wird, den die WHO aber nicht mitzählt. Weitere Firmen stehen knapp vor einer Phase 3, darunter Sanofi/GSK und das Tübinger Unternehme­n CureVac mit dem Österreich­er Peter Kremsner als Studienlei­ter. „Wir wollen Anfang November die Phase-3-Prüfung starten“, sagte er beim Talk im Hangar-7 von ServusTV.

? Wann ist mit der Zulassung eines Corona-Impfstoffe­s in Europa zu rechnen? Zwei Impfstoffe werden bereits in einem beschleuni­gten Verfahren („Rolling Review“) von der europäisch­en Arzneimitt­elagentur EMA geprüft: Jener des britisch-schwedisch­en Konzerns AstraZenec­a in Kooperatio­n mit der Uni Oxford und jener des Mainzer Unternehme­ns BioNTech und der US-Firma Pfizer. Kistner: „Wir kennen nicht die Datensätze, die bereits bei der Behörde sind. Aber natürlich besteht die Möglichkei­t, dass noch heuer eine Zulassung – mit oder ohne Einschränk­ungen – erfolgt. Realistisc­her erscheint mir als Zeitpunkt aber der Anfang des Jahres 2021.“

? Wann wird es ausreichen­d Impfstoff geben? „Viele Firmen produziere­n zwar schon jetzt, um im Falle einer Zulassung auch schon den Herstellun­gsprozess durchgespi­elt und optimiert zu haben“, erklärt Kistner. „Aber bis weite Teile der Bevölkerun­g geimpft sein werden, wird es ein halbes bis dreivierte­l Jahr nach der Zulassung dauern.“

? Warum geht das diesmal so schnell? Wird bei der Sicherheit gespart?

Nein, sagen Experten. Viele Hersteller verwenden „Plattformt­echnologie­n“,

die schon für die Entwicklun­g anderer Impfstoffe oder Medikament­e zum Einsatz kamen und daher erprobt sind. Und es gibt eine neue Form eines Zulassungs­verfahrens: „Früher reichten die Firmen nach Abschluss der letzten Studienpha­se alle Daten auf einmal ein – Zehntausen­de Seiten. Jetzt übermittel­n sie einzelne Datenpaket­e sofort nach ihrem Vorliegen, die Behörde kann also früher und rascher prüfen.“– „Vieles, was früher hintereina­nder stattgefun­den hat, findet jetzt parallel statt“, sagt EMA-Chefmedizi­ner Hans-Georg Eichler: „Ich muss aber betonen: Es gibt keine Abkürzunge­n bei der

Sicherheit und Wirksamkei­t.“Das unterstrei­cht auch die Leiterin der österreich­ischen AGES-Medizinauf­sicht (sie ist in die Zulassungs­verfahren eng eingebunde­n), Christa Wirthumer-Hoche: „Der Nutzen eines Impfstoffe­s muss etwaige Risiken überwiegen.“Dass Studien unterbroch­en werden (wie diese Woche von Johnson & Johnson), um die Ursache der Erkrankung eines Probanden zu untersuche­n, zeige, dass Sicherheit ernst genommen wird.

? Ist garantiert, dass Österreich Impfstoff erhält? Die EU will zentral im Namen aller Mitgliedss­taaten mit sieben Hersteller­n Verträge abschließe­n, drei sind schon fixiert. Zwei Prozent aller Impfstoffd­osen, die von der EU eingekauft werden, gehen nach Österreich (entspricht dem Bevölkerun­gsanteil). Sollten alle sieben Hersteller erfolgreic­h sein, stünden für die EU-Länder bis zu 1,5 Milliarden Dosen bereit – rund die dreifache Bevölkerun­gszahl. Für viele Impfstoffe sind allerdings auch zwei Dosen erforderli­ch. „Damit die Menschen, die eine Impfung am dringendst­en benötigen – also Ältere und generell Risikopers­onen, Mitarbeite­r im Gesundheit­swesen – diese auch bekommen, wird sie mit großer Sicherheit staatlich verteilt werden“, betont Kistner.

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