Kurier (Samstag)

„Sollten mehr Demut vor dem Alten haben“

Die Historiker­in Roberta Rio will das Wissen über die Wirkung von Orten und Gebäuden wiederbele­ben

- VON ELISABETH MITTENDORF­ER

Orte wirken stärker auf Menschen als bisher gedacht – das ist die Grundthese der Historiker­in Roberta Rio. Im Auftrag von Privatpers­onen und Unternehme­n recherchie­rt sie die Geschichte von Grundstück­en, Häusern, Gebäuden, aber auch Städten und Regionen, um wiederkehr­ende Muster aufzuspüre­n.

KURIER: Ihr soeben erschienen­es Buch heißt „Der Topophilia Effekt“. Was hat es damit auf sich?

Topophilia ist ein griechisch­es Wort und bedeutet die Liebe zu Orten. In der Vergangenh­eit wurde es verwendet, um die emotionale Beziehung zwischen Orten und Menschen zu beschreibe­n. Der Topophilia-Effekt geht darüber hinaus. Es ist ein Sammelbegr­iff für die Wirkungen, die Orte auf Menschen haben; auf ganz unterschie­dlichen Ebenen – die berufliche, die gesundheit­liche, aber auch die emotionale.

Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

Durch meine persönlich­e Lebensgesc­hichte. Einige Jahre nach meiner Promotion zur Historiker­in erkrankte meine Mutter schwer. Wir waren orientieru­ngslos. In dieser Situation fiel mir ein, dass der berühmtest­e Arzt des Altertums, Hippokrate­s, empfahl, bei chronische­n Krankheite­n den Ort zu wechseln. Die Wirkung von Orten auf ihr Leben war vielen Menschen in allen Epochen bewusst. Die Römer prägten dafür den Begriff „Genius Loci“, der Geist des Ortes. Unsere Vorfahren haben etwas wahrgenomm­en, ohne messbare Parameter dafür zu haben.

Zum Beispiel?

Viele Völker nahmen an, dass dort, wo sich die Katze hinlegt, kein schlechter Platz für den Menschen sein kann. Die Etrusker ließen für ihre Besiedelun­gsstrategi­e Schafe auf Flächen weiden und untersucht­en nach einer gewissen Zeit die Leber, die sogenannte Leberschau. Wenn die Leber beschädigt war, galt der Ort als ungeeignet, um dort zu leben.

Und heute?

Nach der Aufklärung verschwand dieses Bewusstsei­n. Wir sollten mehr Demut vor dem Alten haben, auch vor diesem Volkswisse­n. Ich möchte, dass wir es wiederentd­ecken und Naturwisse­nschafter dazu einladen, interdiszi­plinäre Arbeiten rund um dieses Thema zu starten.

Welche fasziniere­nden Fallbeispi­ele sind Ihnen bereits untergekom­men?

Eine Kundin hat mich beauftragt, die Geschichte des Hauses zu recherchie­ren, in dem sie mit ihrem Mann lebte. Seit sie dort wohnten, war die Beziehung von Streit geprägt. Ich habe herausgefu­nden,

Historiker­in erklärt wie Orte und Gebäude unser Leben beeinfluss­en und wie man damit umgeht.

18. 10. um 15.45 Uhr (WH alle 4 Std.) auf schauTV; KURIER.at dass dort ein Gerichtsho­f war. Die Menschen sind Hunderte Jahre mit ihren Streitange­legenheite­n dorthin gekommen. Einige gehen zur Paarberatu­ng, andere eben zu einer Historiker­in.

Grenzt es nicht an Esoterik, Eheproblem­e darauf zurückzufü­hren?

Ich bin Historiker­in, mit Esoterik hat meine Arbeit nichts zu tun. Ich beschäftig­e mich mit Geschichte und Statistike­n. Auf der Suche nach sich wiederhole­nden Mustern forsche ich in Archiven, die nur zum Teil frei zugänglich sind. Natürlich spreche ich auch mit den Menschen vor Ort. So entsteht ein statistisc­hes Datenmater­ial, das ich an meine Kunden liefere. Was die Menschen damit machen, ist ihre Angelegenh­eit.

Was gilt es zu beachten, wenn man in ein neues Haus oder eine neue Wohnung zieht?

Auf den ersten Eindruck vertrauen. Wir wissen sofort, ob ein Ort gut oder schlecht für uns ist. Wobei kein Ort per se gut oder schlecht ist. Wir können ihn nur gut oder schlecht nutzen. Unsere Vorfahren haben zum Beispiel die Grundstück­e für Friedhöfe ganz bewusst gewählt. Sie sind nicht zum Wohnen geeignet.

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Roberta Rio, geboren in Italien, lebt in Villach und Bayern
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Roberta Rio: Roberta Rio, geboren in Italien, lebt in Villach und Bayern KURIER Talk Roberta Rio,

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