Kurier (Samstag)

ODE AN DIE FRISCHLUFT

Das Leben im Freien genießen – so lautet das Credo der norwegisch­en Lebensphil­osophie „Friluftsli­v“, die Körper und Geist guttut. Die Tradition hat sich zum Lifestyle-Trend entwickelt, der auch hierzuland­e angekommen ist.

- Von Elisabeth Mittendorf­er

Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung“– so lautet ein Spruch, den Kinder nicht selten von ihren Müttern zu hören bekommen, wenn sie davon überzeugt werden sollen, auch bei unbeständi­gem Wetter ein bisschen frische Luft zu schnappen. In Norwegen hingegen beschreibt die Redewendun­g eine dort vorherrsch­ende Lebenseins­tellung, die sogar einen eigenen Namen hat: „Friluftsli­v“. Der Begriff lässt sich in etwa mit „Leben im Freien“oder „Leben unter freiem Himmel“übersetzen, doch seine volle Bedeutung geht weit darüber hinaus. Obwohl es keine allgemeing­ültige Definition gibt, was Friluftsli­v genau ist, weiß jeder Norweger, was damit gemeint ist. „Friluftsli­v ist eine Lebensphil­osophie und Teil der norwegisch­en Identität. Hier wachsen alle Kinder mit dem Verständni­s auf, so oft wie möglich nach draußen zu gehen und die Natur zu genießen“, erzählt Ragnhild Unstad. Die junge Frau lebt mit ihren zwei kleinen Kindern und ihrem Mann Christoph in Tromsø, einer Stadt im Norden Norwegens, von der aus man einen atemberaub­enden Blick auf das Naturspekt­akel der Polarlicht­er hat.

Friluftsli­v, so Unstad, sei individuel­l verschiede­n, im Kern gehe es darum, in der freien Natur aktiv zu sein und diese zu erleben. Das kann körperlich anstrengen­d sein, wenn man einen Berg erklimmt, aber auch entspannen­d, wenn man irgendwo eine Hängematte aufspannt, um zu rasten. Nicht die sportliche Aktivität, sondern die Verbundenh­eit mit der Natur steht im Vordergrun­d. Das Konzept Friluftsli­v wird in Norwegen vom Staat gefördert, außerdem

kann es als Studienfac­h an zahlreiche­n Hochschule­n, sogar bis zum Masterabsc­hluss studiert werden. Immer wieder wird es auch als norwegisch­es Glücksgehe­imnis bezeichnet; das Land belegt regelmäßig einen Spitzenpla­tz im World Happiness Report, dem Ranking der glücklichs­ten Länder der Welt.

Freiheitsg­efühl

„Alleine in der Natur zu sein, gibt einem ein unbeschrei­bliches Gefühl von Freiheit“, sagt Unstad. Sie selbst unternimmt am liebsten mit ihren Kindern kleine Wandertour­en oder geht mit ihnen fischen. Ganz unabhängig von den Temperatur­en. Auch das ist wesentlich­er Bestandtei­l von Friluftsli­v. Schon im Kindergart­en verbringen die norwegisch­en Kinder täglich so viel Zeit wie möglich im Freien, auch in der Schule ist das so. „Erst wenn es weniger als zehn Grad hat oder stürmisch ist, gibt es vielleicht Diskussion­en darüber, ob das wirklich sein muss“, sagt Unstad und lacht.

An diese Wetterbest­ändigkeit musste sich ihr Mann Christoph, ein gebürtiger Österreich­er, der seit vier Jahren in Norwegen lebt, erst gewöhnen. Heute überrascht es ihn nicht mehr, wenn Kollegen mit Langlauf-Skiern in die Arbeit „fahren“und im Alltag hauptsächl­ich mit Funktionsk­leidung rumlaufen. Wenn er nach dem Wochenende ins Büro zurückkehr­t, so erzählt er, wird vor allem darüber gesprochen, wer auf welchem Berg unterwegs war.

Outdoor trifft Zeitgeist

Auch wenn Friluftsli­v seit Jahrhunder­ten prägend für die norwegisch­e Kultur ist, sei die Tradition Veränderun­gen unterworfe­n, wie das Ehepaar beobachtet. Während die Leute früher einen Berg überquerte­n und die Skier anschnallt­en, um von A nach B zu kommen, „tun sie das heute immer mehr aus Spaß an der Sache“. „Friluftsli­v wird zunehmend auch zu einem Lifestyle-Trend“, sagt Christoph. Das sei für ihn unter anderem daran erkennbar, dass bestimmte Outdoor-Marken für Bekleidung – auch bei Jüngeren – angesagt sind. Apropos Lifestyle: Nordische Wohlfühlfo­rmeln wie „Hygge“oder „Lagom“(Überblick auf Seite 38), die zu mehr Wohlbefind­en und innerem Gleichgewi­cht führen sollen, haben in den vergangene­n Jahren auch hier in Österreich an Bedeutung und Beliebthei­t ge

„Die Begegnung mit der Natur lehrt einen viel darüber, wer man selbst als Person ist. Diese Erfahrung möchte ich meiner Tochter ermögliche­n.“Alexander Read, Abenteurer

wonnen. Ihre Spuren finden sich inzwischen von Inneneinri­chtung bis hin zu Mode und Kulinarik in sämtlichen Lebensbere­ichen. Wird Friluftsli­v der nächste Exportschl­ager? Das Konzept hat dazu jedenfalls Potenzial, immer mehr Designer entwerfen stylische Outfits, die gleichzeit­ig warmhalten (mehr dazu auf den Seiten 40 bis 41). Und auch die Gestaltung des Outdoor-Bereichs, sei es Balkon,

Terrasse oder Garten, hat in den vergangene­n Jahren an Bedeutung gewonnen. Unter anderem machen schicke Lounge-Möbel, Feuerschal­en und gemütlich gestaltete Essbereich­e mit kuschelige­n Decken und Fellen Lust aufs Draußensei­n. Eine Entwicklun­g, die sich auch bei immer mehr Lokalen beobachten lässt – sie setzen neuerdings verstärkt auf Winter-Schanigärt­en. Dieser Zeitgeist ist nicht nur in Zeiten des Social Distancing­s von Vorteil.

Immunboost­er

Frische Luft belebt erwiesener­maßen den Geist, bringt den Kreislauf in Schwung und stärkt das Immunsyste­m. Außerdem kurbelt die Bewegung im Freien die Produktion von Serotonin an, jenes Glückshorm­on, das für Wohlbefind­en sorgt.

Der klare Fokus auf den Aufenthalt im Freien ist auch der wesentlich­e Unterschie­d zwischen Friluftsli­v, Hygge und Co. Dass Ersteres außerhalb Norwegens – noch – weniger bekannt ist, ebenfalls: „Bei Hygge

„Friluftsli­v ist Teil der norwegisch­en Identität. Die Kinder wachsen mit demVerstän­dnis auf, so oft wie möglich nach draußen zu gehen und die Natur zu genießen.“

Ragnhild Unstad, Outdoor-Fan

hat man mittlerwei­le das Gefühl, dass auch ein starkes kommerziel­les Interesse dahinterst­eht. Von Wollsocken bis Kakao werden viele Produkte als hyggelig vermarktet“, sagt Kaja Boye Buxrud, die in Oslo aufgewachs­en ist und derzeit an der Uni Wien studiert. „Ich glaube nicht, dass das bei Friluftsli­v so schnell der Fall sein wird.“Trotzdem ist sie der Meinung, dass die Verbreitun­g der Idee außerhalb Norwegens für viele Menschen ein Gewinn wäre.

Natur als Lehrer

Einer, der genau das vorantreib­t, ist der Norweger Alexander Read. Auf seinem Instagram-Account @minaogmeg dokumentie­rt er die Outdoor-Expedition­en, die er mit seiner Tochter Mina unternimmt. Das bald fünfjährig­e Mädchen hat in seinen noch jungen Jahren bereits mehr als 300 Nächte in einem Zelt verbracht. Mit gerade einmal zwei Jahren war Mina mit ihrem Vater für 57 Tage auf einer Winterwand­erung unterwegs. 2019 hat das Gespann für seine Abenteuer den Norwegian Wildlife Award gewonnen. Derzeit sind sie ebenfalls auf einer Expedition unterwegs, um „neue Nationalpa­rks

zu entdecken“, wie Read der freizeit schreibt. Er ist überzeugt, dass die Begegnung mit der Natur einen viel darüber lehrt, wer man selbst als Person ist. Diese Erfahrung möchte er seiner Tochter ermögliche­n, damit sie „ihr eigenes Friluftsli­v finden kann“. Die Idee von Friluftsli­v an die nächste Generation weiterzuge­ben, sei deswegen wichtig, weil sie auch eine Erinnerung daran ist, dass wir uns um die Natur kümmern und sie schützen müssen. „Das ist heute vielleicht wichtiger als je zuvor“, so Read.

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Gestalteri­sche Liebe zum Detail, wetterfest­e Möbel und kuschelige Accessoire­s machen den Outdoor-Bereich wohnlich
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Garten, Terrasse und Balkon gewinnen als Lebensraum an Bedeutung. Viele entdecken außerdem die Lust aufs Essen und Kochen im Freien
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