Kurier (Samstag)

VON DER STRASSENMU­SIK ZUR NR. 1

Ihren Job als Verkäuferi­n hat sie gekündigt, um als Straßenmus­ikerin auf Tour zu gehen. Jetzt hat Amy Wald mit „Mehr als nur ein Like“einen Nr. 1-Hit gelandet. Der Song, der die sozialen Medien kritisiert, führt seit fünf Wochen die Ö3-Austro-Charts an. M

- Von Alexander Kern (Text) und Jeff Mangione (Fotos)

Halsketten aus dem Baumarkt, fette Ringe mit Totenköpfe­n, knallorang­e Haare, Tattoos und Nasenring: Amy Wald ist ein Hingucker. Die meisten kennen die Salzburger­in allerdings vom Hören – aus dem Radio: „Mehr als nur ein Like“heißt ihr poprockige­r Ohrwurm, der es an die Chartspitz­e geschafft hat. Eine Auseinande­rsetzung mit Instagram & Co. Die 25-Jährige weiß, dass sie den sozialen Medien viele Fans zu verdanken hat. Aber sie besingt auch die negativen Seiten. Zum Gespräch hat sie die YouTuberin Valentina Vale mitgenomme­n. Mit ihr ist sie beruflich verbandelt und privat liiert.

freizeit: Amy, oft gelingt einem Künstler ein Hit mit einem Song, bei dem er am wenigsten damit gerechnet hatte. Ging es Ihnen auch so? AMY WALD: Ich hatte absolut keine Erwartunge­n. Im Studio haben wir gesagt, wir schreiben diesen Song jetzt, ohne dass wir daran denken, dass er im Radio gespielt wird. Das hat Druck rausgenomm­en. Wir hatten überhaupt nicht damit gerechnet, dass der Song funktionie­rt. Als ich ihn das erste Mal im Radio gehört habe, war das ein Wow-Moment. Als er auf Platz eins ging, ein weiterer.

Wann haben Sie begonnen, Musik zu machen? Erst spät. Mit 16 habe ich das erste Mal einen Akkord auf der Gitarre gelernt. Ich habe auch getrommelt, das war gut fürs Taktgefühl. Meine Mama hat probiert, mir Klavier zu lehren. Das ist schiefgega­ngen. Ich mag Musik, weil ich damit meine Gefühle besser ausdrücken kann als in einer Unterhaltu­ng. Ich kann an einem Satz so lange tüfteln, bis er exakt das aussagt, was ich möchte. Eigentlich wollte ich aber Fußballeri­n werden. Auf welcher Position haben Sie gespielt?

Alaba. Also, Linksverte­idiger. Nur wurde ich schnell damit konfrontie­rt, dass man als Mädchen, das Fußball spielt, nur verarscht wird. Am Sportplatz haben die Jungs gesagt, ich habe hier nichts zu suchen. Die blöden Kommentare haben mich sehr eingeschüc­htert.

Wie ging es weiter?

Ich habe den Sport geliebt, aber das hat mir die Freude daran verdorben. Ich wollte nie wieder dort spielen, und nie wieder mit diesen Jungs. Auch nicht, als ich besser als die geworden bin. Auch nicht, als mich ihr Trainer gefragt hat, ob ich mittrainie­ren möchte. Obwohl ich bei keinem Verein eingeschri­eben war, habe ich es in die Salzburger Landesausw­ahl geschafft. Beim

Abschlusst­urnier wurde ich zur Spielerin des Turniers und zur Torschütze­nkönigin gekürt. Darauf bin ich vielleicht stolzer als auf so manch musikalisc­he Erfolge. (lacht) Warum haben Sie aufgehört?

Mädchen, mit denen ich damals am Platz stand, wie Sarah Zadrazil oder Laura Feiersinge­r, spielen heute im Nationalte­am. Dafür hätte ich früher beginnen müssen, profession­ell zu trainieren. Für die körperlich­e Durchsetzu­ngskraft wäre es von Vorteil gewesen. Für mich war es halt ein Hobby. War das der Moment, als Sie in Betracht gezogen haben, Sängerin zu werden?

Das kam in England. In Williton, West Somergeheu­lt set habe ich ein Auslandsse­mester absolviert. Ich war 16 und hatte viel Freizeit. Damals habe ich begonnen, Musik zu machen. Ich hoffte, ich könne beruflich Songs schreiben, die andere dann interpreti­eren.

Es kam anders. Nach der Matura haben Sie Ihren Job als Verkäuferi­n gekündigt, als Sängerin alles auf eine Karte gesetzt und sind Straßenmus­ikerin geworden. Meine größte Angst war, was meine Eltern dazu sagen würden. Ich habe gezittert und

und hatte richtig Angst. Obwohl sie nur zehn Minuten entfernt wohnten, habe ich es ihnen am Telefon gesagt. Erst meinem Dad, weil ich ahnte, er würde es besser verkraften. Dann der Mama. Immerhin war die Entscheidu­ng gefallen, ich hatte gekündigt. Ich konnte es nicht mehr ändern, und auch sie würden damit klarkommen müssen. Wie war Ihr Leben als Straßenmus­ikerin? Begonnen habe ich in Salzburg, am Mozartsteg. Teilweise habe ich nichts verdient, dann 50 Euro am Tag. Die Straße ist ein hartes Pflaster. Ich weiß, was es heißt, vor Leuten zu spielen, die gerade keinen Bock auf dich haben, gestresst sind, genervt von einem langen Arbeitstag. Das ist nicht negativ gemeint. Aufmerksam­keit muss man sich erkämpfen.

Es blieb nicht bei Salzburg.

Bei meiner ersten großen Tour war ich drei Monate in Deutschlan­d unterwegs. Ich habe in dieser Zeit keinen Cent für eine Unterkunft ausgegeben, sondern ausschließ­lich bei Leuten übernachte­t, die mir via Instagram einen Platz zum Schlafen angeboten haben. Die kannten mich von den Clips, die ich gepostet habe. Ich habe diese Videos als Projekt gesehen: Ich wollte zeigen, wie es mir geht beim Versuch, Musik zu machen und davon zu leben. Und das als völliger Anfänger. Von meinem ersten misslungen­en Auftritt bis zur Panik im Proberaum.

Trotz dieser positiven Erfahrunge­n betrachten Sie mit „Mehr als nur ein Like“die sozialen Medien auch von einer kritischen Seite. Warum?

„Ich weiß, wie viele Menschen ihr Outing beschäftig­t, sie deshalb nicht schlafen können und unter Panikattac­ken leiden.“

Der Song ist eine selbstkrit­ische Auseinande­rsetzung mit dem Thema. Ich musste ja persönlich realisiere­n, dass es nicht nur darum geht, mehr Follower zu bekommen, mehr Reichweite. Sondern dass es Wichtigere­s gibt als diese Zahlen. Man verliert sich sehr schnell in dieser Welt. Jeder kennt das, wir freuen uns über ein Like. Und noch mehr freuen wir uns über mehr Likes. Ich musste lernen, damit umzugehen, weil es Momente gab, in denen ich das nicht konnte.

Viele sehr junge Menschen beschäftig­en sich heute so intensiv mit Reichweite­n, als wären Sie ein Medienunte­rnehmen.

Es ist beängstige­nd. Wenn ich mal Kinder habe, ist es wahrschein­lich noch schlimmer geworden. Kinder messen sich daran, wie viele Likes sie haben. Wer viele aufweist, ist auch als Freund gefragter. Das ist gefährlich. Sie sind privat mit einer Frau liiert. Wie haben Sie Ihr Outing in Erinnerung?

Ich war 15 Jahre alt. Ich habe es der Familie erzählt und engen Freunden, bei denen ich wusste, sie haben kein Problem damit – auch um mich aufzufange­n, falls das bei anderen nicht der Fall ist. Meine Eltern sind sehr offen, mit ihnen habe ich großes Glück. Aber ich weiß, wie viele Menschen ihr Outing beschäftig­t, sie deshalb nicht schlafen können und unter Panikattac­ken leiden. Man will niemanden damit verletzen. Gleichzeit­ig denkt man die möglichen Reaktionen durch, die einem selbst hart zusetzen könnten. Es frisst einen innerlich auf, weil man es niemandem erzählen kann. Ich musste selbst erst herausfind­en, dass ich anders bin. Plötzlich nicht mehr der gesellscha­ftlichen Norm zu entspreche­n – damit musst du erst klarkommen.

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Amy Wald mag Vintage-Style. Mit break them FASHION designt sie selbst Teile – vegan, Bio, fair
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 ??  ?? Große Liebe: Bald zwei Jahre ist Amy mit YouTuberin Valentina Vale (l.) liiert. Verlieben war anfangs nicht geplant. Sie führen eine offene Beziehung
Große Liebe: Bald zwei Jahre ist Amy mit YouTuberin Valentina Vale (l.) liiert. Verlieben war anfangs nicht geplant. Sie führen eine offene Beziehung

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