Kurier (Samstag)

Wie China mit Big Brother die Corona-Krise „gewinnt“

Wer am Alltag teilnehmen will, braucht den grünen Code

- VON MICHAEL HAMMERL

Österreich hat China bei der Gesamtzahl der positiv auf das Coronaviru­s Getesteten überholt und steht vor dem zweiten Lockdown. Im totalitäre­n Überwachun­gsstaat finden derweil ausverkauf­te Indoor-Konzerte statt. Auch in Wuhan, Provinz Hubei, wo das Virus im Dezember 2019 ausgebroch­en sein soll. Warum auch nicht – im Oktober gab es pro Tag im Schnitt nur 25 Neuinfizie­rte. Das Leben in China sei wieder „relativ normal“, bestätigt die deutsche Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzi­k von der Universitä­t Wien. Ebenso „normal“: plötzliche Lockdowns, Verlust jeglicher Privatsphä­re und harte Einreisebe­stimmungen – auch bei Inlandsrei­sen.

Wer aus einer anderen Provinz nach Peking möchte, muss sich vor den Toren der Stadt zwei bis drei Wochen in einem Hotel in Quarantäne begeben, mehrere negative Corona-Tests absolviere­n und das alles selbst bezahlen.

Während der „Goldenen Woche“, von 1. bis 7. Oktober, verreisten laut Staatsmedi­en dennoch 637 Millionen Chinesen landesinte­rn. Kaum weniger, als im Vorjahr. Als Behörden in der Küstenstad­t Qingdao dann 13 Neuinfekti­onen meldeten, wurde diese sofort abgeriegel­t. Alle neun Millionen Einwohner wurden getestet, der Feiertags-Cluster verschwand wieder.

„Sie sind es gewohnt“

Es zeichnet sich ab, dass China als Verursache­r der Corona-Krise schlussend­lich ihr größter Gewinner sein könnte. Die Wirtschaft wächst wieder kräftig. Für Jahresende rechnet man mit einer positiven Bilanz. Was genau macht das Land also anders?

Testzentre­n, provisoris­che Krankenhäu­ser, Abriegelun­g der Provinz Hubei: China reagierte rigide auf den Ausbruch des Virus. Das Land hat bisher 160 Millionen Tests durchgefüh­rt – Weltrekord. Für umfassende­s Contact Tracing setzte man bereits ab Mitte Februar auf Big Data.

Während die österreich­ische „Stopp Corona“-App laut Gesundheit­sministeri­um erst 1,1 Millionen Downloads verzeichne­t, dirigieren CoronaApps in China den Alltag. „China ist ein Land, das in viel stärkerem Maße von Katastroph­en geschüttel­t wird“, meint Weigelin-Schwiedrzi­k, mit Verweis auf vergangene Epidemien. „Das Risikoempf­inden der Menschen ist somit viel stärker ausgeprägt.“Zudem sei es in Staaten wie China, „die gerade erst der Armut entwachsen sind“, im Lebensgefü­hl der Menschen viel präsenter, „wann man etwas selbst lösen muss, weil es der Staat nicht schafft. China ist ein sozialisti­scher Staat, hat aber keinen ausgeprägt­en Sozialstaa­t“. Bezüglich CoronaApps und Big Data meint sie: „Die Menschen in China bewerten den Vorteil größer als den Nachteil, der damit einhergeht.“In Österreich sei das genau umgekehrt.

Chinas Corona-Apps sammeln persönlich­e Daten, erstellen präzise Bewegungsp­rofile und fragen gesundheit­liche Symptome ab. Sie beobachten und melden. Aus den Daten ergibt sich ein Health-Code, der grün, gelb oder rot ist. Wer am normalen Alltag teilnehmen will, braucht einen grünen Code. Wärmebild- und Gesichtser­kennungska­meras komplettie­ren die totale Überwachun­g. Selbst die kritische Minderheit würde sich diesem System anpassen und die Überwachun­g akzeptiere­n, erklärt Weigelin-Schwiedrzi­k. Man könne das nicht mit Österreich vergleiche­n: „Die Freizeit ist in ostasiatis­chen Gesellscha­ften viel geringer bemessen, als bei uns. Der Otto Normalverb­raucher ist ein schwer arbeitende­r Mensch.“

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 ??  ?? Für „Stopp Corona“sorgen in China der hochtechno­logisierte Überwachun­gsstaat und harte Einreisebe­schränkung­en
Für „Stopp Corona“sorgen in China der hochtechno­logisierte Überwachun­gsstaat und harte Einreisebe­schränkung­en

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