Wie China mit Big Brother die Corona-Krise „gewinnt“
Wer am Alltag teilnehmen will, braucht den grünen Code
Österreich hat China bei der Gesamtzahl der positiv auf das Coronavirus Getesteten überholt und steht vor dem zweiten Lockdown. Im totalitären Überwachungsstaat finden derweil ausverkaufte Indoor-Konzerte statt. Auch in Wuhan, Provinz Hubei, wo das Virus im Dezember 2019 ausgebrochen sein soll. Warum auch nicht – im Oktober gab es pro Tag im Schnitt nur 25 Neuinfizierte. Das Leben in China sei wieder „relativ normal“, bestätigt die deutsche Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik von der Universität Wien. Ebenso „normal“: plötzliche Lockdowns, Verlust jeglicher Privatsphäre und harte Einreisebestimmungen – auch bei Inlandsreisen.
Wer aus einer anderen Provinz nach Peking möchte, muss sich vor den Toren der Stadt zwei bis drei Wochen in einem Hotel in Quarantäne begeben, mehrere negative Corona-Tests absolvieren und das alles selbst bezahlen.
Während der „Goldenen Woche“, von 1. bis 7. Oktober, verreisten laut Staatsmedien dennoch 637 Millionen Chinesen landesintern. Kaum weniger, als im Vorjahr. Als Behörden in der Küstenstadt Qingdao dann 13 Neuinfektionen meldeten, wurde diese sofort abgeriegelt. Alle neun Millionen Einwohner wurden getestet, der Feiertags-Cluster verschwand wieder.
„Sie sind es gewohnt“
Es zeichnet sich ab, dass China als Verursacher der Corona-Krise schlussendlich ihr größter Gewinner sein könnte. Die Wirtschaft wächst wieder kräftig. Für Jahresende rechnet man mit einer positiven Bilanz. Was genau macht das Land also anders?
Testzentren, provisorische Krankenhäuser, Abriegelung der Provinz Hubei: China reagierte rigide auf den Ausbruch des Virus. Das Land hat bisher 160 Millionen Tests durchgeführt – Weltrekord. Für umfassendes Contact Tracing setzte man bereits ab Mitte Februar auf Big Data.
Während die österreichische „Stopp Corona“-App laut Gesundheitsministerium erst 1,1 Millionen Downloads verzeichnet, dirigieren CoronaApps in China den Alltag. „China ist ein Land, das in viel stärkerem Maße von Katastrophen geschüttelt wird“, meint Weigelin-Schwiedrzik, mit Verweis auf vergangene Epidemien. „Das Risikoempfinden der Menschen ist somit viel stärker ausgeprägt.“Zudem sei es in Staaten wie China, „die gerade erst der Armut entwachsen sind“, im Lebensgefühl der Menschen viel präsenter, „wann man etwas selbst lösen muss, weil es der Staat nicht schafft. China ist ein sozialistischer Staat, hat aber keinen ausgeprägten Sozialstaat“. Bezüglich CoronaApps und Big Data meint sie: „Die Menschen in China bewerten den Vorteil größer als den Nachteil, der damit einhergeht.“In Österreich sei das genau umgekehrt.
Chinas Corona-Apps sammeln persönliche Daten, erstellen präzise Bewegungsprofile und fragen gesundheitliche Symptome ab. Sie beobachten und melden. Aus den Daten ergibt sich ein Health-Code, der grün, gelb oder rot ist. Wer am normalen Alltag teilnehmen will, braucht einen grünen Code. Wärmebild- und Gesichtserkennungskameras komplettieren die totale Überwachung. Selbst die kritische Minderheit würde sich diesem System anpassen und die Überwachung akzeptieren, erklärt Weigelin-Schwiedrzik. Man könne das nicht mit Österreich vergleichen: „Die Freizeit ist in ostasiatischen Gesellschaften viel geringer bemessen, als bei uns. Der Otto Normalverbraucher ist ein schwer arbeitender Mensch.“