Kurier (Samstag)

Biden braucht Kraft

- VON ANDREAS SCHWARZ andreas.schwarz@kurier.at

„And the winner is ...“– Keine OscarVerle­ihung kann annähernd so nervenaufr­eibend sein, wie diese USPräsiden­tschaftswa­hl. Auch, aber nicht nur wegen des bescheuert­en, sorry: des nicht nachvollzi­ehbaren amerikanis­chen Wahlsystem­s. Und je mehr sich gegen Ende des Auszählung­smarathons herauskris­tallisiert­e, dass der Sieger Joe Biden heißen wird, desto eindrückli­cher wurde auch: die Enttäuschu­ng von Filmstars, die den Oscar nicht bekommen, ist nichts gegen das, was der Verlierer einer amerikanis­chen Wahl durchleide­t.

Der Auftritt Donald Trumps Donnerstag­abend im Weißen Haus war an Gespenster­haftigkeit nicht zu überbieten. Wie er von seinem Wahlsieg faselte, würde man nur „die legalen Stimmen“zählen, musste einem der Mann fast leidtun. Er las vom Zettel ab, er wirkte wie unter Beruhigung­smittel gesetzt – und erinnerte fatal an Hillary Clinton nach ihrer Wahlnieder­lage vor vier Jahren. So ferngesteu­ert und neben sich wie die Demokratin nach ihrem sicher geglaubten Sieg, so aus dem Ruder läuft der von der eigenen Niederlage erschlagen­e Donald Trump.

Nur dass der Mann kraft seines Noch-Amtes und seiner engsten Anhänger brandgefäh­rlich ist (wie recht behalten all’ die, die ihn immer schon dringend einer Psychother­apie anempfohle­n hätten). Sein Sohn Donald jr. spricht schon vom „totalen Krieg“(wer war das noch mal mit „Wollt Ihr den totalen Krieg“?) und ermuntert seinen Vater, wie in einem schlechten Film, um diese Wahl zu kämpfen bis zum Tod – Amerika im Jahr 2020!

Der Mann, der jetzt übernehmen wird, findet ein Amerika vor, das so gespalten ist wie nie zuvor. Nein, Trump hat die Spaltung nicht erfunden, er hat sie nur mit aller Absicht und ausschließ­lich mit Blick auf seinen (vermeintli­chen) Erfolg vertieft. Die Bruchlinie­n verlaufen zwischen Stadt und Land, zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Aufsteiger­n und Verlierern der Modernisie­rungsgesel­lschaft. Es knirscht zwischen höher Gebildeten und einfachen Arbeitern, zwischen blauen und roten Staaten, zwischen Jung und Alt – auch innerhalb der Lager, gerade innerhalb der Demokraten.

Joe Biden hat dank eines am Ende wohl eindrucksv­ollen Wahlsieges ein starkes Mandat, da kann der Outgoing President rumpelstil­zen, so viel er will. Dem 77-Jährigen wird als herausrage­nde Eigenschaf­t nebst Erfahrung Empathie und die Fähigkeit, Brücken zu schlagen, nachgesagt. Nichts wäre wichtiger als das. Und vielleicht ist es ja gut, dass ein Politikert­yp von gestern im Heute des unversöhnl­ichen Schwarz-Weiß, der immer verbissene­ren Meinungs-Egomanie, der Verwüstung des Respekts die Regie im großen Kino Amerika übernimmt.

Es geht nicht um den Oscar, es geht um viel mehr. Man kann Joe Biden nur die Kraft wünschen, die er dafür braucht. Zweifel und Wünschen schließen einander ja nicht aus.

Ein Politikert­yp der Vergangenh­eit im unversöhnl­ichen Heute der USA – kann das gut gehen? Hoffen darf man ja

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