Kurier (Samstag)

Glaube und Gewalt

Seit zwei Jahrzehnte­n werden im Westen Terroransc­hläge im Namen des Islam verübt. Die Wurzeln reichen in das Jahr 1979 zurück. Einem Epochenjah­r für die ganze Welt

- TEXT WOLFGANG UNTERHUBER INFOGRAFIK CHRISTA SCHIMPER

Im Jahr 1979 kommt es zu drei Ereignisse­n,diezunächs­tohne Zusammenha­ng zu sein scheinen. Doch am Ende werden sie feine Verbindung­en aufweisen. Mit fatalen Folgen.

Beginnen wir im Iran. Anfang des Jahres stürzt dort das Regime des Schahs. Die Gründe sind wie meist bei Revolution­en wirtschaft­licher Natur. Das Land gilt wegen seiner Erdöleinkü­nfte als reich. Doch die Einnahmen kommen bei der armen Landbevölk­erung, die sogar Hungersnöt­e leidet, nicht an. Denn das Geld fließt hauptsächl­ich ins Militär. Schah Reza Pahlewi will sein Land als regionale Macht etablieren. Und nach westlichem Vorbild modernisie­ren.

Letzteres stößt nicht nur der konservati­ven Landbevölk­erung sauer auf, sondern auch kleinen Kaufleuten und Gewerbetre­ibenden in den Städten. Das nützen Religionsg­elehrte.

Einervonih­nenistAjat­ollahRuhol­lah Chomeini (1902–1989). Vom Exil in Paris aus verkündet er eine neue „Frohbotsch­aft“: den islamische­n Staat. Ein Staat, in dem es keine Korruption mehr gibt. Ein Staat, in dem der Wohlstand gerecht verteilt wird und keine Armut mehr existiert. Ein Staat, in dem die Menschen in Freiheit leben können. Unter Einhaltung der Religionsg­esetze freilich. Denn Gelehrte des Islam sollen diesen Staat regieren.

Die Muslimbrüd­erschaft

Es ist genau die Botschaft, die die Ägypter Hasan al-Banna (1906–1949) und Sayyid Qutb (1906–1966) entworfen haben. Sie wollen die Rückkehr zum reinen gerechten Islam unter Mohamed und seinen drei ersten Nachfolger­n. Denn danach sei der Islam unter fremden Einflüssen nur noch verkommen.

Der Lehrer al-Banna und der Intellektu­elle Qutb treffen den Zeitgeist. Denn die islamische Welt befindet sich seit dem 19. Jahrhunder­t von Indonesien bis Westafrika unter europäisch­er Kontrolle. Nur die Türkei, der

Iran und Arabien sind halbwegs souverän. Der Kolonialis­mus stützt die alten feudalen Strukturen der islamische­n Welt, die seit dem 16. Jahrhunder­t erstarrt ist.

Symbolisch für den Verfall der islamische­n Welt steht der langsame Untergang des osmanische­nGroßreich­esvon1683a­nbis zum Ersten Weltkrieg. Der Westen mit seinem kolonialen System stehtaberi­ndenAugenv­ielerMosle­ms nicht nur für Unterdrück­ung. Theater, Kinos, Tanzcafès mit Jazzmusik und Frauen, die Ziga

retten rauchen, Alkohol trinken und westliche Mode tragen, stehen für Schamlosig­keit und Dekadenz, welche die Werte der islamische­n Kultur verhöhnen.

Hasan al-Banna und sein Jünger Sayyid Qutb reden nicht nur. Sie handeln. 1928 gründen sie die Muslimbrud­erschaft. Ein Geheimbund, der dank Spenden aus der ganzen islamische­n Welt in Ägypten bald zu einer mächtigen paramilitä­rischen Organisati­on wird und ab den 1940er-Jahren Attentate verübt. Ziele sind aber nicht westliche Beamte, sonderneig­enePolitik­er,diealsVerr­äter gelten.

Hasan al-Banna wird erschossen, Sayyid Qutb hingericht­et. So werden sie zu Märtyrern und Vorbildern. Wie für Ajatollah Chomeini.Am1.Februar197­9kehrterau­s dem Exil nach Teheran zurück. Umjubelt von Hunderttau­senden verkündet er den Gottesstaa­t. Es ist der Moment, in dem Staat und

vereint werden. Die islamische Welt ist elektrisie­rt.

Sturm auf Mekka

Auch Dschuhaima­n al-Uteibi. Der 1936 in Arabien geborene charismati­sche al-Uteibi hat eine Gruppe fanatische­r Anhänger um sich geschart. Entwurzelt­e Beduinen so wie er, die mit dem durch Petrodolla­rs finanziert­en Aufschwung in Saudi Arabien nichts anzufangen wissen.

In Arabien hat sich im 18. Jahrhunder­t eine sunnitisch­e äußerst konservati­ve Form des Islam verbreitet: der Wahhabismu­s. Dessen Begründer Mohamed ibn Abd alWahhab predigt ab ca. 1740 die Rückkehr zum reinen ursprüngli­chen gerechten Islam gepaart mit strengsten Moralvorst­ellungen.

Zu al-Wahhabs Anhängern gehört der Clan der Sa’uds. Die erringen im 20. Jahrhunder­t die Macht im Land (mithilfe der Briten) und gründen 1932 das nach ihnen benannte Saudi-Arabien. Mit dem Wahhabismu­s als Staatsdogm­a.

Doch für Dschuhaima­n alUteibi und seine Anhänger sind die Sa’uds und die Eliten des Landes dekadent und Sklaven der Amerikaner. Am 20. November 1979 stürmen al-Uteibis Garden inMekkadie„GroßeMosch­ee“mit der Kaaba. Jenem heiligen Quader, der nach islamische­r Überliefer­ung in seiner heutigen Form von Abraham und seinem Sohn Ismael errichtet wurde.

Tausende Gläubige befinden sich in den Händen der Terroriste­n. Nur mithilfe französisc­her Sonderkomm­andos können sie nachzweiWo­chenbefrei­twerden. Hunderte aber bleiben tot zurück. Das Saudi-Regime, das in den Augen der islamische­n Welt die heiligsten Stätten nicht zu schützen vermag, wackelt. So schließen die Sa’uds einen Pakt mit ihren religiösen Führern: sie geloben Läuterung. Keine FreiheiRel­igion ten mehr. Vor allem für Frauen, die jüngst sogar als Sprecherin­nen im TV zu sehen gewesen waren. Und die Saudis werden fortan fundamenta­listische Gruppen unterstütz­en, welche die Lehre des Islam verkünden. Auch, wenn sie dabei Gewalt anwenden sollten. Mit andern Worten: die Saudis (enge Verbündete des Westens) kaufen sich vom Terror frei.

Die Ersten, die davon profitiere­n, sind die Mudschahed­in in Afghanista­n. Dort haben sich die lokalen Kommuniste­n 1978 an die Macht geputscht. Jetzt wollen sie aus dem gebirgigen unzugängli­chen Land, welches von zahlreiche­n Clans beherrscht wird, ein sozialisti­sches Paradies formen.

Sofort brechen flächendec­kend Aufstände aus. Daraufhin marschiere­n am 25. Dezember 1979 Sowjettrup­pen ein. Sie werden bis zu ihrem Rückzug 1989 ihr Vietnam erleben. In Afghanista­n vermengen sich der Wahhabismu­s, die Lehre der Muslimbrud­er und die Botschafte­n des real existieren­den Gottesstaa­tes im Iran zu einem mörderisch­en Gebräu: den Dschihadis­mus. Die Dschihadis­ten reduzieren den Wahhabismu­s, die Muslimbrüd­er und die Botschafte­n der iranischen Schiiten auf Kampf und Terror. In Afghanista­n erhalten sie dafür Geld und Waffen. Aus den USA, aus Saudi Arabien, aus dem Iran. Ihr Sieg gegen die Sowjets wird Tausende junge Männer in der islamische­n Welt inspiriere­n. So wie den Afghanista­nKämpfer Osama bin Laden und einen gewissen Abu Bakr al-Baghdadi, der als Gründer der Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“in die Geschichte eingehen wird.

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Die Kiswa Vor der Pilgersais­on wird die Kaaba mit einem schwarzen Seidenbeha­ng verhüllt, der Kiswa. Mit vergoldete­n Fäden ist ein Koranvers in den Stoff gestickt.
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