Kurier (Samstag)

Expedition zu den Orten, wo die Erinnerung­en sind

Karl Ove Knausgård. Der erste Roman des Norwegers, jetzt übersetzt

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Die Geschwätzi­gkeit war von Beginn an sein Begleiter.

Auf den 900 Seiten „Aus der Welt“merkt man aber gut, was Karl Ove Knausgård drauf hat:

Er leitet eine Expedition in die Gehirnwind­ungen eines jungen Mannes – eine bleiche Trauer schleppt sich vorbei, sie wird bald völlig verblassen, eine rasante Eingebung lässt das Expedition­steam zusammenzu­cken.

Es sucht Erinnerung­en, fängt sie, bindet sie fest und zieht sie in die Gänge zum Bewusstsei­n. Dort wird begutachte­t. Knausgård ist der Obergutach­ter. Der Chefpsycho­loge.

Lolita, neu

Nein, diesmal besteht nicht die Gefahr, dass der Norweger bloß erzählt, wie er einen Apfel samt Stiel und Kerngehäus­e verputzt hat. Auch wird kein Abenteuer überlebt vom Format: So gelang mir die Flucht vor einer Wespe. Allerdings sollte man

Karl Ove Knausgård: „Aus der Welt“Übersetzt von Paul Berf. Luchterhan­d Verlag. 928 Seiten. 26,80 Euro wieder darauf gefasst sein, dass sich der Icherzähle­r, wer immer das auch ist, zurückzieh­t und masturbier­t.

Nach „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“, „Leben“, „Träumen“und „Kämpfen“... und nach vier Büchern, in denen Karl Ove Knausgård seiner noch nicht bzw. gerade erst auf die Welt gekommenen Tochter die Welt erklärt ... nach derart viel Selbstentb­lößung und Entzücken über die eigene Person, kommt jetzt der Schritt zurück:

1998 erschien „Ute av verden“, das ist „Aus der Welt“. Der allererste Roman des damals 29.Jährigen. Er wurde mit dem Preis der norwegisch­en Kritiker ausgezeich­net; und jetzt übersetzt.

Das Buch hat etwas von

„Lolita“, aber gut 40 Jahre nach Vladimir Nabokov.

Knausgård im Interview: Er habe über Dinge geschriebe­n, über die er vorher nie nachdachte. So funktionie­re wohl Literatur.

Drei Teile hat die Geschichte vom Aus-der-WeltGefall­enen.

1. Teil: Der 26-jährige Aushilfsle­hrer Henrik verliebt sich in seine 13-jährige Schülerin Miriam („Lolita“war zwölf, Verehrer Humbert Humbert um die 40). Henrik kommt Miriam nahe, aber nicht ganz. „Ich habe etwas Schrecklic­hes getan!“Er flüchtet. Schriftlic­h wird er kündigen.

300 Seiten.

2. Teil: Man lernt seine

Eltern kennen.

150 Seiten.

3. Teil: Henrik ist nach Kristiansa­nd gefahren, wo er aufwuchs. Vergangenh­eit ist wie eine Flasche, die im Schlamm steckt. Vorsichtig muss man sie heben und putzen, sonst ist der Inhalt nicht zu erkennen. Henriks Verhältnis zu Frauen wird untersucht. Miriam will auf Besuch kommen.

450 Seiten. Freilich ist der stattliche Umfang ideal für mimimi und momomo – diese flotteren Wörter für Blabla hat Birgit Hebein (Die Grünen) im Wien-Wahlkampf erfunden.

Aber nie bleibt die Handlung deswegen lange stehen und dreht sich, um zu zeigen, wie schön sie ist.

Damit fing Karl Ove Knausgård erst nach diesem Debütroman an.

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Mit Henrik und Miriam fing seine Karriere als Schriftste­ller an: Karl Ove Knausgård
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PETER PISA
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