GÖTTLICHES GEMÜSE
Sie ist wunderschön, schmeckt köstlich und erinnert einen immer irgendwie an Italiens Küche: die Artischocke. Etwa wenn sie als Aufstrich für die Bruschetta mit einem Gläschen Prosecco daherkommt. Oder in einer anderen kulinarischen Variante.
Der Wind bläst mir einen Haufen bunter Blätter entgegen, als ich an diesem herbstlichen Novembertag über den Markt spaziere. Vor Erols Gemüsestand bleibe ich stehen und schaue ganz verzückt auf die Steigen voller Artischocken, von Babygröße zur ausgewachsenen Riesenblüte. Sie sind mit ihren pflaumenfarbenen Blättern so wunderschön, dass ich am liebsten ein Foto von ihnen in meine Küche hängen würde. Bei ihrem Anblick denke ich gerne an die Jahre zurück, die ich in Padua gelebt habe. Dort am wunderschönen Obst- und Blumenmarkt saßen die Artischockenfrauen den ganzen Winter über vor Holzfässern und ließen die geputzten Böden ins Zitronenwasser plumpsen.
Zeus und die Artischocke
Die Artischocke ist ein sagenumwobenes Gemüse: Zeus verliebte sich in ein wunderschönes Mädchen namens Cynara und verwandelte sie in eine Göttin. Oben im Olymp bekam sie allerdings schreckliches Heimweh und wollte wieder auf die Erde zurück. Der Göttervater war darüber so wütend, dass er sie in eine stachelige Distelblume – die Artischocke – verwandelte. Kein Wunder, dass wir heute die Artischocke als Göttin aller Gemüsesorten bezeichnen. Aber zurück zum Marktstand. Eine schicke Dame sagt: „Oh, Artischocken, sie erinnern mich immer an Rom. Dort gibt es viele verschiedene Sorten, auch dornenlose, und am allerbesten schmecken sie zweimal in Öl frittiert. Die Speise heißt „Carciofi alla giudia“und wird in den Lokalen im ehemaligen jüdischen Viertel serviert. Wär ich jetzt gern dort!“„Gegen Fernweh hilft am besten, Lieblingsspeisen aus dem Urlaub zu kochen“, sagt ein älterer Herr. „Ich mach mir gleich nächstes Wochenende einen Artischockenaufstrich, der ist ruck-zuck fertig. Und servier’ ihn als Bruschetta auf getoastetem Brot, mit einem Gläschen Prosecco bin ich gedanklich sofort in Italien!“
Lila Blüte
Ich aber plane, es meiner frankophilen Cousine gleichzutun und eine große Artischocke in Zitronenwasser zu kochen und mit meiner berühmten blitzschnellen Mayonnaise zu servieren. Zuhause breche ich die harten äußeren Blätter des Blütengemüses ab und erzähle dabei der Mittleren von der heimischen Silberdistel, die ich als Kind bei Wanderungen als Jägerbrot gegessen habe. „Apropos Distel“, sagt sie da, „sie ist für mich das Symbol des Feminismus und steht für Kraft und Widerspenstigkeit, darum möchte ich mir eine auf den Unterarm tätowieren lassen!“Mir wird ein bisschen blümerant ob dieser Aussage, aber ich gebe mir einen Ruck und sage: „Na dann vielleicht eine Artischocke, die blüht so schön lila!“„Viel zu wenig stachelig, und außerdem schmeckt sie zu gut, das wär ja wohl eher was für dich!“„Kommt nicht in Frage“, meine ich, „Wenn schon ein Tattoo, dann ein Guglhupf“. Aber das ist eine andere Geschichte.