Bidens Matchpoint
Joe Biden gilt seit 48 Stunden für viele als Sieger. Aber mehrere Staaten haben die Stimmen noch immer nicht ausgezählt.
Hollywood-Regisseur Alfred Hitchcock hätte es nicht dramatischer anlegen können. Gut 50 Stunden nach dem Schließen der letzten Wahllokale gab es am Freitagabend noch immer keinen neuen US-Präsidenten. Es wurde gezählt, gezählt, gezählt – bis der Krimi seinem finalen Höhepunkt zusteuerte. Und dabei sah es nach einem Happy End für den demokratischen Kandidaten Joe Biden aus, der eine unglaubliche Aufholjagd hingelegt hatte.
Besonders markant war diese im nordöstlichen USBundesstaat Pennsylvania. Dort hatte der amtierende amerikanische Staatschef Donald Trump am Mittwoch den komfortablen Vorsprung von fast einer Dreiviertelmillion Stimmen. Doch je mehr Briefwahlzettel ausgezählt wurden – zuerst wurden die Stimmen ausgewertet, die direkt am Wahltag abgegeben worden waren –, desto mehr schmolz Trumps Guthaben.
Am Freitag schließlich schob sich Joe Biden in Front: Zunächst um rund 14.500 Stimmen – bei mehr als 6,6 Millionen ausgewerteten (96 Prozent Auszählungsgrad). Namhafte Experten waren sich sicher, dass dieser Trend unumkehrbar sei, da sich Briefwähler in den USA mehrheitlich für die Demokraten entscheiden.
Und damit wäre Pennsylvania der Sargnagel für den Republikaner Trump. Denn die dort zu vergebenden 20 Wahlmänner-/frauen würden Biden über die benötigte Marke von 270 hieven (253 Wahlleute hatte er bereits) – und damit auch ins Weiße Haus.
„So sieht es aus, wenn ein Verlierer verliert“
Mary Trump Präsidenten-Nichte
Er wollte sich noch am Freitag Ortszeit mit einer Rede an die Landsleute wenden.
Auch in Nevada (6 Wahlmänner/-frauen) und Georgia (16) lag der Ex-Vize von Barack Obama vorne. In letzterem Bundesstaat kam es zum Fotofinish. Bei einem Auszählungsgrad von 98 Prozent, fast drei Millionen Stimmen, konnte Biden Freitagabend den zunächst scheinbar uneinholbaren Trump um rund 4.235 Stimmen abhängen. Doch dort kommt es Ende November zu einer Neuauszählung.
Offen waren gestern zudem noch die Bundesstaaten Alaska (die 3 Elektoren gingen wohl an Trump), North Carolina (15 Wahlleute – mit leichten Vorteilen für den Amtsinhaber) und Arizona (11), wo die Sache de facto für Biden aber gelaufen war.
Angesichts der hoffnungslosen Lage für Trump schlug dieser in der Nacht zum Freitag verbal und auf Twitter wie wild um sich. Abermals sprach er von einer „gestohlenen Wahl“– ohne freilich Beweise für seine Betrugsvorwürfe zu liefern. Einige TV-Sender kappten daraufhin die Übertragung, Twitter versah seine Tweets mit Warnhinweisen (siehe auch links unten). Klagen wurden en masse eingebracht – einige von Gerichten bereits zurückgewiesen.
Trump-Fans nahmen die Tiraden des Präsidenten umgehend auf und gingen auf die Straßen. Dasselbe taten BidenAnhänger. Die beiden Lager stehen einander unversöhnlich gegenüber, die Stimmung ist aufgeheizt. Unruhen werden befürchtet. Die Behörden nehmen die Sache sehr ernst. So hat das Secret Service laut Washington Post zusätzliche Mitarbeiter abgestellt – um Joe Biden zu schützen.