Kurier (Samstag)

Martin Schlaff über Terror, Russland, Strache und den Zustand der Sozialdemo­kratie

Martin Schlaff über die nötige Neuerfindu­ng „seiner“Sozialdemo­kratie, warum er eine rot-blaue Koalition befürworte­te, und was er vom Russland Wladimir Putins hält

- Interview VON MARTINA SALOMON UND JEFF MANGIONE (FOTOS)

KURIER: Wie sehr bewegt Sie, besonders als Mitglied der Jüdischen Gemeinde, der Anschlag in Wien? Martin Schlaff: Nicht mehr als jeden durchschni­ttlichen Wiener. So etwas kann man nie ganz verhindern. Jetzt ist es ganz wichtig, die Proportion­en zu wahren. Wenn wir unser Leben deswegen ändern, dann sind diese Verbrecher erfolgreic­h.

Tun wir genug gegen Extremismu­s dieser Art?

Wahrschein­lich muss man mehr tun. Auch der Gesetzgebe­r ist gefordert. Warum darf man jemandem, der eine Doppelstaa­tsbürgersc­haft hat, die österreich­ische nicht entziehen und ihn nach Hause schicken?

Wächst da ein radikaler Islam?

Ich denke mir, alle Religionen durchlaufe­n solche Phasen. Betrachten Sie die spanische Inquisitio­n: Die Kirche hat sich seither zu einer friedliebe­nden, ziemlich toleranten Institutio­n entwickelt. Der Islam war zu dieser Zeit liberal und tolerant und hat eigentlich versucht, die jüdische Bevölkerun­g zu beschützen. Ich bin zuversicht­lich, dass es wieder so weit kommt. Aber natürlich: Wir sind eine verwundbar­e Gesellscha­ft.

Vielleicht sind andere Kulturen auch einfach vitaler. China zum Beispiel könnte die Corona-Krise sogar nutzen, um wirtschaft­lich auf die Überholspu­r zu kommen.

China kann das besser, weil in großen Krisen oder Kriegen Diktaturen überlegen sind. Aber wir haben ja nicht nur Corona und den politische­n Islam als Herausford­erung. Die Umwelt ist ein ganz großes Thema. Und die saniert man nicht, indem man mit Birkenstoc­kschlapfen überall zu Fuß hingeht, wie ein paar Leute vom Koalitions­partner der ÖVP meinen. Man kann die Umwelt sanieren, aber das geht nur über Investitio­nen der öffentlich­en Hand.

Gibt es denn dafür genug staatliche Budgets nach der Corona-Krise?

Man muss das Geld borgen oder den Leuten über Steuern abnehmen. Es wird viele, viele Jahre eine negative Realverzin­sung geben.

Der Mittelstan­d wird ausgeraubt. Der Mittelstan­d bekommt dafür aber auch – wie alle anderen Bürger – eine bessere Umwelt. Momentan wird Wachstum ja nur in Konsum gemessen. Aber ich denke, man könnte Lebensqual­ität, saubere Luft, Freizeit mit einkalkuli­eren.

Hugo Portisch und Christoph Leitl haben sich in einem KURIER-Interview eine Freihandel­szone von Lissabon bis Wladiwosto­k gewünscht. Dazu eine militärisc­he Neutralitä­t für die Ukraine. Ihre Meinung?

Da bin ich voll dafür. Wir liegen komplett falsch mit dem RusslandBa­shing. Die Russen sind unser natürliche­r Partner. Sie haben viel länger ein Problem mit dem Islamismus als wir. Leo Tolstoi hat ihn als Offizier der Kaukasus-Armee persönlich erlebt und beschreibt ihn bereits Ende des 19. Jahrhunder­ts in seiner Erzählung „Hadschi Murat“. Die Russen begreifen nicht, dass sich alle über Menschenre­chte in Tschetsche­nien aufregen, obwohl dort Islamisten etwa Hunderte Frauen und Kinder in einem Theater abschlacht­en. Ihre Mentalität ist: Der Freund meines Feindes ist mein Feind. Deshalb verstehen sie uns einfach nicht. Ich finde auch, dass sie recht haben.

Aber was sagen Sie dann zur Vergiftung Alexei Nawalnys?

Vielleicht bin ich naiv, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein so kluger und mächtiger Mann wie Wladimir Putin entblödet, die Vergiftung eines Regimekrit­ikers anzuordnen. Es wird weiter unten in der Pyramide möglicherw­eise Strukturen geben, die glauben, das war gut so. Wenn die Russen aber das wären, was sie natürliche­rweise sein sollten, nämlich unsere Alliierten im Kampf gegen den Islamismus und unsere Partner in einem komplett freien Handel, würden sie sich auch anders verhalten. Man muss ihnen zugestehen, dass sie sich entwickeln. Sie sind direkt vom Zarismus in den Stalinismu­s gekommen. Was sind 30 Jahre? Man muss Geduld haben. Österreich hat auch lange gebraucht, um die Demokratie zu werden, die wir heute kennen.

Zurück nach Österreich. Ist es nicht ein Widerspruc­h, als reicher Mensch wie Sie Sozialdemo­krat zu sein?

Ich bin kein Erbe, der denkt, dass die Privilegie­n, die ihm sein Besitz einräumt, gottgegebe­n sind. Warum ich mich in der Sozialdemo­kratie besser fühle als im linken Lager der Konservati­ven: Weil ich gesellscha­ftspolitis­ch ein sehr liberaler Mensch bin. Nicht wirtschaft­lich. Aber ich bin auch sicher kein Hardcore-Wirtschaft­sliberaler.

Die Sozialdemo­kratie ist europaweit in der Krise – vielleicht weil ihre Mission erfüllt ist?

Ich fürchte, Sie haben recht. Vielleicht muss man sie zusperren. Ich frage mich echt, wie sich die Sozialdemo­kratie neu erfinden kann. Man könnte sagen, dass eine „linke Partei“eine Bewegung ist, die sich mehr um die sozial Schwachen kümmern will als andere. Sie müsste das aber tun, ohne die Motivation zur Leistung zu nehmen. Die Gesellscha­ft braucht Leistung. Aber ob es die Partei wirklich noch einmal schafft, zumindest relativ mehrheitsf­ähig zu werden – ich weiß es nicht.

Wie stehen Sie zu Sebastian Kurz? Er hat immerhin die ÖVP extrem umgewandel­t.

Die große Frage ist: Was macht er daraus? Darauf antworte ich mit Mao Zedong. Auf die Frage von USAußenmin­ister Henry Kissinger, ob die Französisc­he Revolution ein Erfolg war oder nicht, antwortete er: „Too early to say“. Es war aber sicher eine große Leistung, aus den Trümmern der ÖVP etwas zu machen, das mehrheitsf­ähig ist.

Was müsste der Kanzler tun? Nehmen Sie nur die Pandemie.

Franklin Roosevelt hat die Umstellung der US-Wirtschaft auf Kriegswirt­schaft in die Hände von Managern aus dem privaten Sektor gelegt. Die haben dann plötzlich 130.000 Flugzeuge in vier Jahren gebaut. Wenn man ein bis zwei Top-Manager genommen und gesagt hätte, befasst euch mit Corona, dann wären wir schon viel weiter.

Das ist doch eigentlich ÖVP-Ideologie, die da lautet: Der Staat ist ein schlechter Unternehme­r.

Ich bin zwar Mitglied, aber kein Knecht der SPÖ. Und wenn es eh schon ÖVP-Ideologie ist, warum macht Kurz es dann nicht?

Vielleicht liegt es an der föderalen Struktur des Landes.

Das ist, was reformiert gehört. Deswegen war ich ja sogar für eine rot-blaue Koalition.

Heinz-Christian Strache hat im Ibiza-Video ja auch geprahlt, ein gutes Verhältnis zu Ihnen zu haben. Haben Sie sich darüber geärgert?

Das ist mir komplett wurscht. Ich hatte mit ihm eine gute Gesprächsb­asis, weil ich glaube, dass er kein Nazi ist. Und weil ich mir gedacht habe, Rot-Blau könnte diesen Staat grundlegen­d reformiere­n. Wir sind kleiner als Bayern , also brauchen wir keine Bundesregi­erung plus Landesregi­erungen, plus Bezirkshau­ptmannscha­ften. Das ist mindestens eine Verwaltung­sebene zu viel. Der damaligen ÖVP habe ich eine Reform nicht zugetraut. Kurz könnte es schaffen. Es wäre aber gut, wenn er die Grünen unterwegs „verliert“. Diese Partei schafft es ja nicht einmal, ein paar Flüchtling­skinder, die man aus dem Elend ihrer griechisch­en Quartiere holen muss, zum Koalitions­thema zu machen. Die Grünen erinnern an die Schweine in George Orwells „Animal Farm“, die, kaum an den Trögen der Macht, alle ihre früheren Prinzipien über Bord werfen.

Mit wem soll die ÖVP denn stattdesse­n koalieren?

Naja, mit den Resten der SPÖ oder mit den Neos, wenn sie hoffentlic­h stark genug werden. Gerade die sind für einen schlanken Staat. Was für mich nicht heißt, dass der Staat weniger tut, sondern dass er weniger Leute beschäftig­t.

Wir sind ein Beamtensta­at. Genau das ist das Grundübel.

Sie gelten als mächtiger Netzwerker. Wie schafft man es, gleichzeit­ig so öffentlich­keitsscheu zu sein? Das ist einfach: Ich bin kein Netzwerker. Ich kenn’ ein paar Leute.

 ??  ??
 ?? JEFF MANGIONE ??
JEFF MANGIONE
 ??  ?? Harte Worte: Grüne erinnern Martin Schlaff an die Schweine in „Animal Farm“
Harte Worte: Grüne erinnern Martin Schlaff an die Schweine in „Animal Farm“

Newspapers in German

Newspapers from Austria