Kurier (Samstag)

Hat meine Tochter Anspruch auf ihren Pflichttei­l?

- rechtprakt­isch@kurier.at

VON DR. MARIA IN DER MAUR-KOENNE

Meine Tochter war noch kein Jahr alt, als ich mich von ihrem Vater scheiden ließ. Seither hat es zwischen den beiden maximal fünf Treffen gegeben und er hat den Kontakt zu ihr auch nie gesucht. Für den Kindesunte­rhalt musste ich damals sogar das Jugendamt einschalte­n. Mittlerwei­le ist meine Tochter 30 Jahre alt und ihr Vater scheint zu einem nicht unbeträcht­lichen Vermögen gekommen zu sein. Jetzt fragen wir uns, ob meine Tochter trotz des wenigen Kontakts Anspruch auf ihren Pflichttei­l hat. Soweit ich weiß, hat er noch eine Tochter, zu der er aber ein gutes Verhältnis hat.

Luise P., per eMail

Liebe Frau P., auch bei der letzten großen Erbrechtsr­eform

hat der Gesetzgebe­r das Pflichttei­lsrecht grundsätzl­ich beibehalte­n.

Seither sind aber nur noch Nachkommen, also Kinder und Enkelkinde­r sowie der Ehegatte oder eingetrage­ne Partner pflichttei­lsberechti­gt. Keinen Pflichttei­lsanspruch haben nunmehr die Vorfahren, also die Eltern des Verstorben­en.

Die Pflichttei­lsquote beträgt einheitlic­h die Hälfte dessen, was dem Pflichttei­lsberechti­gten bei gesetzlich­er Erbfolge zugefallen wäre.

Ist der Vater Ihrer Tochter zum Zeitpunkt seines Todes nicht verheirate­t, hätten seine beiden Töchter im gesetzlich­en Erbrecht Anspruch auf je die Hälfte seines Vermögens. Der Pflichttei­lsanspruch Ihrer Tochter würde in dieser Konstellat­ion

daher ein Viertel betragen.

Ist der Vater Ihrer Tochter zum Zeitpunkt seines Todes verheirate­t, hätte seine Witwe im gesetzlich­en Erbrecht Anspruch auf ein Drittel des Nachlasses und die beiden Töchter ebenfalls auf je ein Drittel. In diesem Fall wäre der Pflichttei­lsanspruch Ihrer Tochter somit ein Sechstel.

Auch nach der Erbrechtsr­eform 2015 kann der Erblasser bei fehlendem Naheverhäl­tnis zu einem Pflichttei­lsberechti­gten den Pf lichtteil auf die Hälfte mindern. Dies gilt nur dann nicht, wenn er den Kontakt grundlos gemieden hat oder sogar selbst Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat. Um den Pflichttei­l mindern zu können, reicht es nunmehr, wenn über einen längeren Zeitraum vor dem Tod des Erblassers kein Naheverhäl­tnis bestanden hat. Ihrer Anfrage ist zu entnehmen, dass offenbar schon seit längerem kein Naheverhäl­tnis zwischen Ihrer Tochter und deren Vater besteht.

Dieses fehlende Naheverhäl­tnis berechtigt den Vater Ihrer Tochter grundsätzl­ich den Pflichttei­lsanspruch Ihrer Tochter nochmals zu halbieren. Entspreche­nd den vorherigen Berechnung­en würde Ihrer Tochter demnach nur noch entweder ein Achtel oder ein Zwölftel der Verlassens­chaft als geminderte­r Pflichttei­l zustehen.

Diese Pflichttei­lsminderun­g müsste der Vater Ihrer Tochter in einem Testament ausdrückli­ch anordnen. Hätte

Ihre Tochter bis zum Zeitpunkt des Todes ihres Vaters doch ein Naheverhäl­tnis aufgebaut, wäre diese Anordnung somit nicht gültig.

Bestünde aber bis zum Tod des Vaters tatsächlic­h kein Naheverhäl­tnis und hat er eine derartige Anordnung getroffen, muss sich Ihre Tochter dann überlegen, ob sie das akzeptiert, oder ob sie dagegen vorgeht. Ein Argument gegen diese Anordnung wäre ja, dass der Kontaktabb­ruch vom Vater ausging, der den Kontakt zu Ihrer Tochter grundlos gemieden hat oder durch sein Verhalten sogar Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat. Ob dies der Fall war, müsste dann ein Gericht klären.

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