Kurier (Samstag)

Das außerirdis­che Alphabet ist wieder ein Stück reicher geworden

Josef Winklers Sammlung beiläufige­r Prosa ist ausgewogen, damit sich auch Neulinge in seiner Welt zurechtfin­den

- P.PISA

Begib dich auf die Reise oder Drahtziehe­r der Sonnenstra­hlen. Wie Peter Handke sucht Josef Winkler – Österreich­ischer Staatsprei­s 2007, Büchner-Preis 2008 – das außerirdis­che Alphabet.

In seinen Todesfanta­sien ist er dem Ziel nahe gekommen, im Requiem an die schweigend­e Mutter („Mutter und der Bleistift“, Suhrkamp, 2013), im Verschwind­enlassen des tyrannisch­en Vaters („Laß dich heimgeigen, Vater“, Suhrkamp, 2018).

Und so ist es auch in seiner sogenannte­n „Kleinen Prosa“– besser: in den beiläufige­n Texten.

Etwa wenn „die Gummihaut deines schwarzen Schwimmanz­uges“sagt: „DU fehlst mir.“Und wenn Winkler „den Reißversch­luss über dem linken Augapfel des kleinen schwarzen Kopfes“öffnet.

Aber in dieser Sammlung ist auch weniger Sprachraus­chiges des Kärntners vertreten. Eine gute Mischung ist es geworden.

Er begab sich auf die Reise zu den kroatische­n Felsen, wo „Winnetou“erschossen wurde – die Bücher Karl Mays waren Lebensrett­er im kreuzförmi­gen Dorf Kamering, „sonst hätte alles absterben können, und ich hätte zu religiösen Büchern greifen können/müssen, sonst gab es nichts. Dann wäre aus mir ein Bischof geworden oder Kardinal. Ob das für die Kirche lustig geworden wäre?“ (Winkler in

Die Erleuchtun­g kam mit 15, als er Camus’ „Pest“las: Seine Welt wird künftig die Literatur sein. einem

Bitte Wüstling

KURIERGesp­räch)

Auch ist sein Text über den nahezu blinden Maler und Bildhauer Degas für WinklerEin­steiger geeignet – eine Anekdote wird verarbeite­t, ein Dialog mit ihm.

Degas: „Ich will, dass man mich für einen Wüstling hält!“– „Aber eigentlich sind Sie doch ein feiner Mensch, Degas?“– „Ich will kein feiner Mensch sein!“

Und er erzählt Romane nach, er verwinkler­t sie, er erzählt auch den Film

„Lourdes“von Jessica Hausner nach, und er steigt in ein Gemälde des Klagenfurt­ers Alois Köchl. Außerdem: Kann es einen schöneren Schrecken zum Gedankenma­chen geben als bei Winklers Beschreibu­ng vom „weichen Gaumen des Toten, der seine eigene Asche kaut“?

Josef Winkler: „Begib dich auf die Reise oder Drahtziehe­r der Sonnenstra­hlen“Suhrkamp. 200 Seiten. 16,50 Euro

KURIER-Wertung: āāāāά

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„Dann wäre aus mir ein Bischof geworden oder Kardinal“: Josef Winkler, 67
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